Bei der WM gegen Frankreich:Marokkos Fußball: Jetzt sind die Frauen dran
von Frank Hellmann
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Marokkos Fußballerinnen werden zu Vorbildern. Auch wenn sie noch nicht so populär sind wie die Männer, hat das WM-Achtelfinale gegen Frankreich eine historische Dimension.
Ekstase nach dem Schlusspfiff im Parallelspiel Südkorea gegen Deutschland: Marokkos Torhüterin Khadija Er-Rmichi (links) und Stürmerin Fatima Tagnaout feiern Marokkos Einzug ins Achtelfinale.
Quelle: Colin Murty / AFP
Vielleicht kommt dieses Telefon bald auch noch ins FIFA-Museum. Geschichte geschrieben hat der Apparat ja schon, als er am vergangenen Donnerstag im Perth Oval auf dem Rasen lag. Drumherum hatten sich die Fußballerinnen Marokkos, die gerade ihr letztes Gruppenspiel gegen Kolumbien gewonnen hatten, versammelt.
Aber da liefen ja noch die letzten Minuten von Deutschland gegen Südkorea. "Wir haben es auf den Boden gelegt und gebetet", erzählte die Torschützin Anissa Lahmari später: "Und dann sind wir vor Freude explodiert."
Lahmari hat irgendwann mit ihren Mitspielerinnen nur noch gelacht, wie so etwas möglich ist. Nun wartet auf den Novizen aus Nordafrika ein Achtelfinale gegen Frankreich in Adelaide (Dienstag, 13 Uhr MESZ/live im ZDF).
Pedros auf Regraguis Spuren
Wer den Coup ergründen will, muss Reynald Pedros zuhören. Ein Trainer aus Frankreich, der in seinem Habitus an Volksheld Walid Regragui erinnert, der mit der Männer-Nationalmannschaft in Katar ins Fußball-Geschichtsbuch kam.
Marokkos Männer-Nationaltrainer Walid Regragui hat mit seiner Mannschaft alle überrascht. Im WM-Halbfinale gegen Frankreich soll die Reise aber noch nicht zu Ende sein.
von Frank Hellmann
Die Parallelen in der Persönlichkeit sind frappierend: Beide Fußballlehrer, beide Typ Sozialarbeiter, die auch Lehrer an einer Problemschule im Pariser Großraum sein könnten.
Auch die Frauen im K.o.-Spiel gegen Frankreich
Pedros hatte sich vor der Reise nach Down Under häufiger mit Regragui ausgetauscht, um einige Erfahrungen für seine Mission zu übernehmen. Es mutet fast kitschig an, dass sich jetzt die Kreise schließen.
Reynald Pedros, Trainer der marokkanischen Frauen-Fußballnationalmannschaft: Im Achtelfinale soll nicht Schluss sein.
Quelle: EPA/Richard Wainwright
Der Siegeszug der "Löwen vom Atlas" endete bei der WM 2022 erst im Halbfinale gegen Frankreich, gegen denselben Gegner müssen auch die "Löwinnen" ran. Für die Ambitionen von Pedros ("Unser Ziel ist es nicht, im Achtelfinale aufzuhören") ist die Konstellation wie gemacht.
Pedros ein ausgewiesener Frankreich-Kenner
Schließlich kam er vor knapp drei Jahren als ein Coach nach Marokko, der mit den Frauen von Olympique Lyon zuvor zweimal die Champions League gewann. Dem 51-Jährigen muss niemand erzählen, wo die Schwachstellen bei "Les Bleues" liegen könnten.
Auch bei seinen Spielerinnen bestehen viele Schnittmengen. Sechs seiner Akteure spielen in Frankreich, von denen aber nur die Mittelfeldspielerin Lahmari und das Talent Sarah Kassi in der ersten Liga zum Einsatz kamen.
Torhüterin Khadija Er-Rmichi steht für die Wandlung
Pedros hat das nicht davon abgehalten, eine Einheit zu formen, die aus der Überforderung im ersten WM-Spiel sofort Stärke gewonnen hat. Da sei man "auf Zehenspitzen" ins Spiel gegangen, erst danach habe man richtig Widerstand geleistet.
Am besten illustriert Torhüterin Khadija Er-Rmichi die Wandlung: War die 33-Jährige gegen Deutschland noch Schwachpunkt, stellte sie den Rückhalt gegen Südkorea und Kolumbien.
Sie widmete das Weiterkommen König Mohammed VI., was seinen Grund hatte: Der eng mit dem Königshaus verbandelte Fußballverband übernimmt für seine Vereine einen Großteil der Gehälter der Spielerinnen.
Mehr Geld für Marokkos Frauen und Mädchen
Es hat ein komplettes Umdenken stattgefunden: In den Frauen- und Mädchenfußball sollen in den nächsten Jahren noch viel mehr Mittel fließen. Was früher fast geächtet wurde, wird jetzt geachtet.
Nicht zu unterschätzen ist die gesellschaftliche Botschaft: Unternehmerin Souad Soulimani, die einen Radiosender betreibt, der sich an die Bewohner in französischen Arbeitervierteln richtet, hat im "Figaro" einen Gastbeitrag über die Vorbildrolle marokkanischer Spielerinnen verfasst und schrieb dort: "Wie wäre es, wenn auch ein Frauenteam vom ganzen Volk getragen wird. … Der Wille ist derselbe, um der Welt zu zeigen, wie sehr man sich der Erwartung des Landes bewusst ist."
Sie ist überzeugt, dass die Fußballerinnen für viele junge Frauen unter den 15- bis 24-Jährigen - eine Altersgruppe, die in Marokko sechs Millionen der Gesamtbevölkerung stellt - eine Inspiration bilden werden.