Sportsoziologin zur WM: Was beim Frauenfußball anders ist

    Interview

    Sportsoziologin forscht bei WM:Was beim Frauenfußball anders ist

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    Sportsoziologin Christiana Schallhorn forscht bei der Frauen-WM über Stimmung, Vielfalt und toxische Kultur auf den Rängen. Was ist der Unterschied zum Männerfußball?

    Australien, Sydney: Fußball, Frauen: WM, England - Kolumbien, Finalrunde, Viertelfinale: Kolumbiens Lorena Bedoya Durango (M) kämpft mit Englands Alessia Russo (l) und Keira Walsh um den Ball.
    Viertelfinale: Kolumbiens Lorena Bedoya Durango (M) kämpft mit Englands Alessia Russo (l) und Keira Walsh um den Ball.
    Quelle: dpa

    ZDFheute: Sie reisen gerade für eine wissenschaftliche Untersuchung als Sportsoziologin durch Australien und führen eine Befragung durch. Wozu?
    Christiana Schallhorn: Frauenfußball ist seit einiger Zeit weltweit im Aufschwung, immer mehr Nationen professionalisieren gerade den Frauenfußball, auch die Medien haben ein größeres Interesse. Während beim Männerfußball aber länderübergreifend die Bedeutung der Sportart ähnlich ist, zeigen sich beim Frauenfußball große Unterschiede, insbesondere auch durch kulturelle Einflüsse.

    Sportsoziologin Christiana Schallhorn
    Quelle: pr.

    Christiana Schallhorn, 39, ist Junior-Professorin für Sportsoziologie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Aktuell führt sie bei der WM in den australischen Spielorten Sydney und Melbourne eine Befragung durch, um herauszufinden, welchen Stellenwert der Frauenfußball in verschiedenen Ländern hat. Dazu spricht sie Fans vor allem in der Nähe von Fanfesten oder Sportbars an, aber auch in der Stadt, in der Bahn, am Flughafen.

    Hinter einem QR-Code ist ein umfangreicher Fragebogen hinterlegt, den Fans digital in drei Sprachen beantworten können. Seit Jahren forscht sie zur Berichterstattung von Sportgroßereignissen und deren Wirkung bei Rezipierenden.

    ZDFheute: Sie erfragen, ob die Spielerinnen weniger Schauspielerei betreiben. Wird das immer nur behauptet?
    Schallhorn: Die von uns formulierten Fragen und Aussagen sind erste Ergebnisse einer Vorstudie, bei der wir bereits Fans aus Deutschland und Australien befragt haben. Das wollen wir jetzt mit einer größeren Stichprobe validieren. Wissenschaftlich sind manche Eindrücke schwer zu belegen, dann müsste man beispielsweise genau die Zeit messen, wie lange Männer und Frauen nach Foulspielen liegen bleiben.
    ZDFheute: Wer sich in den Stadien umsieht, bekommt sofort den Eindruck, dass Vielfalt in der Besucherschaft herrscht.
    Schallhorn: Ja. Man sieht Familien mit Kindern, junge und ältere Menschen, Frauen wie Männer in den Stadien. Man hat das Gefühl, es ist eine ganz bunte Mischung, die alle das gemeinsame Ziel verfolgen, ihre Spielerinnen zu unterstützen. Und besonders ist ja auch, dass die Spielerinnen mit sehr vielen Themen offen umgehen.
    ZDFheute: Auch mit Homosexualität?
    Schallhorn: Das ist eins von vielen Themen. Die Fankultur beim Frauenfußball betrachtet sich auch unter anderem deshalb als sehr inklusiv, weil jede*r unabhängig vom Geschlecht und der sexuellen Orientierung willkommen ist. Das hat man beim Männerfußball meist nicht, wo beispielsweise Homosexualität bei Spielern und Fans oft noch ein Tabuthema ist. Im Frauenfußball ist das anders.

    Die meisten Fußballerinnen gehen offen mit ihrer Sexualität um. Fans, die sich der LGBTQ+-Gemeinschaft zugehörig fühlen, schätzen es einen Sport zu haben, bei dem sie sich unabhängig von der sexuellen Orientierung und ihres Geschlechts akzeptiert fühlen.

    Sportsoziologin Christiana Schallhorn

    ZDFheute: Bei einigen WM-Spielen war die Stimmung gar nicht mehr viel anders als bei den Männern, wenn beispielsweise Kolumbien gespielt hat. Im Fragebogen taucht dazu der Begriff "toxische Männlichkeit" auf. Warum?
    Schallhorn: Diese Bezeichnung wurde in unserer Vorstudie von vielen Befragten verwendet. Toxische Männlichkeit meint hier ein sehr dominantes, aggressives bis hin zu gewalthaltiges Verhalten, was als typisch "männlich" empfunden wird, aber natürlich auch von Frauen ausgelebt werden kann.
    Das Verhalten der kolumbianischen Fans muss man davon differenzieren. Das ist in deren Fankultur normal und ein Zeichen guter Unterhaltung und keineswegs mit Aggressivität gleichzusetzen. Pfiffe und Buhrufe sind in Südamerika oft nur Teil der Unterhaltung.
    Kolumbianische Fans jubeln.
    Kolumbiansche Fans jubeln.
    Quelle: AP

    ZDFheute: Wie nehmen Sie persönlich die WM wahr?
    Schallhorn: Ich war hier erst ein bisschen enttäuscht, dass außerhalb der Stadien und Fanmeilen relativ wenig Stimmung war. Das liegt auch daran, dass nur die Spiele der Matildas, der australischen Fußballerinnen, im frei empfangbaren Fernsehen laufen. Dann aber haben die Australierinnen ganz viel angestoßen – und jetzt stehen sie im Halbfinale: Sam Kerr ist ein Superstar auf diesem Kontinent.



    Man bekommt mit, dass viele Mädchen sie bewundern, ihr nacheifern wollen. Solche Identifikationsfiguren sind ganz wichtig. Gerade Mädchen brauchen im Fußball solche Vorbilder, um mit alten Stereotypen zu brechen. Insofern haben die Matildas schon jetzt ganz, ganz viel erreicht.
    ZDFheute: Wie erklären Sie die Tatsache, dass der Frauenfußball so einen unterschiedlichen Stellenwert hat?
    Schallhorn: Das hängt natürlich viel mit der kulturellen Bedeutung des Sports und insbesondere des Fußballs zusammen. Aus meiner Sicht wird Fußball auch in Deutschland von vielen immer noch klassisch als Männersport betrachtet, während Australien eher vom "beautiful game", vom schönen Spiel spricht. Hier ist Fußball fast schon weiblich konnotiert. In Australien ist der Frauenfußball populärer als der Männerfußball.
    Amelie Stiefvatter
    ZDF-Reporterin Amelie Stiefvatter berichtet über die Stimmung während der Fußball-WM im Gastgeberland Australien. Außerdem: Die neue Favoritenrolle der Japanerinnen.10.08.2023 | 2:33 min
    In den USA sind die Frauen auch deutlich erfolgreicher als die Männer im Fußball. In den arabischen Ländern war und ist es mitunter immer noch schwierig, wenn Mädchen Fußball spielen wollen. Es gibt also Diskrepanzen beim Zugang zu diesem Sport.
    Das Interview führte Frank Hellmann
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