WM-Viertelfinale gegen Kolumbien:Englands Sarina Wiegman: Titelreife Trainerin
von Frank Hellmann, Sydney
|
Englands Teammanagerin Sarina Wiegman ist im WM-Viertelfinale die letzte Frau auf der Trainerbank. Viele halten die Niederländerin auch für die Beste.
Mit zwölf Trainerinnen hat die WM begonnen, eine ist übriggelieben: Sarina Wiegman.
Quelle: reuters/Dan Peled
Sarina Wiegman ahnt, was auf Englands Nationalteam an einem für Australien besonderen Wochenende bei der WM zukommt. Denn vor dem Viertelfinale ihrer Engländerinnen gegen Kolumbien (Samstag, 12.30 Uhr MESZ/live ZDF) türmen sich für die Lionesses im Olympic Park in Sydney gleich zwei gelbe Wände auf.
Quasi-Heimspiel für Englands-Gegner Kolumbien
Zunächst werden einheimische Fans zu den großen Leinwänden auf das Gelände vor dem Australia Stadium gelockt, um hier das dreieinhalb Stunden vorher beginnende erste Viertelfinale zwischen Australien und Frankreich aus Brisbane zu verfolgen (Samstag, 9 Uhr MESZ/live ZDF).
Dann werden sich die gelb-grün gekleideten Anhänger der "Matildas", die bekanntermaßen ein Faible für Außenseiter haben, vermischen mit weiteren Menschenmassen in gelben Jerseys, die später im riesigen Oval mit Inbrunst die Kolumbianerinnen unterstützen.
Die "Cafeteras" haben nämlich in Down Under stets Heimspiele. Allein im Großraum Sydney sind 11.000 Landsleute beheimatet, die lautstarke Unterstützung ist also Englands Gegner gewiss.
ZDF-Reporterin Amelie Stiefvatter berichtet über die Stimmung während der Fußball-WM im Gastgeberland Australien. Außerdem: Die neue Favoritenrolle der Japanerinnen.10.08.2023 | 2:33 min
Chloe Kelly trifft mit 111 km/h
Aber wenn jemand Widrigkeiten umgeht, dann ja wohl Wiegman. Die 53-Jährige ist geübt, auf alles eine Antwort zu haben. Der amtierende Europameister will auch ohne seine gesperrte Entdeckung Lauren James seinen Weg gehen.
Mögen die Leistungen so wellenhaft wie das Meer am Bondi Beach sein, die Engländerinnen sind eben noch nicht untergetaucht wie die USA oder Deutschland.
Denn sogar fürs unbeliebte Elfmeterschießen schien die Trainerin gegen Nigeria (4:2) einen Plan ausgetüftelt zu haben. Statistiker haben herausgefunden, dass Chloe Kelly ihren finalen Versuch mit 111 km/h in die Maschen feuerte. Niemand hatte in der Women’s Super League (WSL), der englischen Profiliga, vergangene Saison ein Tor mit derart viel Karacho erzielt.
Sekunden später reckte Wiegman an der Linie beide Arme in den Himmel. "Ich bin heute um zehn Jahre gealtert", gab die Niederländerin zu.
England macht fast alles anders als Deutschland
Sie schreibt also einfach an ihrer Erfolgsgeschichte weiter. Europameisterin 2017 und Vizeweltmeisterin 2019 mit den Niederlanden, Europameisterin 2022 mit England: Sie scheint instinktiv zu wissen, was sie tun muss.
Anders als Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg spürt Wiegman, was es für diese WM braucht: Nämlich ziemlich genau das Kontrastprogramm zu den heimgereisten Deutschen.
Quartier in ansehnlichem Ort
Beim Quartier entschied sich ihr Verband wie der DFB für die Central Coast. Doch anstatt in ein Dorf wie Wyong, wo sich allenfalls trinkfeste Autoliebhaber wohlfühlen, aber bestimmt nicht junge Sportlerinnen, ging es nach Terrigal. Ein schöner Badeort mit ein bisschen Abwechslung.
In der Nähe ist der Fußballverein Central Coast Mariners beheimatet, der australische Überraschungsmeister, der sein Stadion zur Verfügung gestellt hat.
Keinerlei Social-Media-Aktivitäten für Team England
Hier gibt Wiegman ihre Anweisungen. Eine lautete übrigens, dass ihre Spielerinnen alle Social-Media-Aktivitäten während der WM einstellen.
Während deutsche Spielerinnen stets um Klicks und Likes wetteifern, zählen bei englischen Akteuren nur Pass- und Zweikampfquoten. Wiegman hat den Leistungsanspruch der "Lionesses" ganz nach oben geschraubt, aber sie bringt das ohne Verbissenheit rüber.
Wiegman die einzige Trainerin im Viertelfinale
Die in Den Haag aufgewachsene, von ihrer Zeit an der Universität North Carolina in den USA geprägte Persönlichkeit gibt gerade die Benchmark auf der Bank.
Nur: Sie ist jetzt bei dieser WM die einzige Frau. In die WM starteten 20 männliche und zwölf weibliche Trainer. Ein Umstand, der die zweifache Mutter ziemlich stört:
Bei der EM vor einem Jahr duellierte sie sich bekanntlich im Finale mit Voss-Tecklenburg. Nun wartet auf Wiegman vor dem Einzug ins WM-Halbfinale eben der Deutschland-Bezwinger. Und zwei gelbe Wände. Reißt ihr Team auch diese ein, ist es endgültig ein Titelfavorit.