Colin Bell: "Wir haben gegen Deutschland Mini-Chance"

    Interview

    Südkorea-Trainer Colin Bell :"Wir haben gegen Deutschland Mini-Chance"

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    Südkoreas Nationaltrainer Colin Bell äußert sich zum Spiel gegen Deutschland. Er regt nach der WM gravierende Veränderungen im Verband an, um konkurrenzfähig zu bleiben.

    Südkorea-Trainer Colin Bell
    Südkorea-Trainer Colin Bell glaubt vor dem Spiel gegen Deutschland an eine Chance für sein bislang bei der Frauen-WM in Australien so enttäuschendes Team.
    Quelle: reuters

    ZDFheute: Wie sehr reizt es Sie, jetzt ausgerechnet gegen Deutschland bei der Frauen-WM in Australien den Spielverderber spielen zu können? Die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg spricht voller Respekt von Ihnen.
    Colin Bell: Ich habe auch großen Respekt vor Martina. Wenn wir uns sehen, tausche ich mich gerne mit ihr aus. Ich habe ihr schon bei der Frauen-EM in England einige Nachrichten geschickt. Für mich persönlich ist das eine große Herausforderung.
    ZDFheute: Ihr Team hat körperliche Nachteile. Welche Gedanken haben Sie sich gemacht, eine Alexandra Popp in der Luft zu stoppen?
    Colin Bell: Ihr Kopfballtor hat uns 2014 mit dem 1. FFC Frankfurt in letzter Sekunde beim VfL Wolfsburg die Meisterschaft gekostet. Daran habe ich natürlich keine guten Erinnerungen. Das werde ich mein Leben lang nie vergessen.

    Alexandra Popp ist mit Sicherheit die beste Kopfballspielerin weltweit – und das seit vielen Jahren. Wir werden versuchen, eine Antwort zu finden.

    Colin Bell, Trainer Südkorea

    ZDFheute: Südkorea hat seine ersten Gruppenspiele gegen Kolumbien (0:2) und auch gegen Marokko (0:1) verloren. Was ist da schiefgelaufen?
    Colin Bell: Ich habe meine eigene Mannschaft hier nicht wiedererkannt. Wir haben noch nie so Fußball gespielt wie in diesen beiden WM-Spielen! So eine Phase hatten wir in vier Jahren noch nicht, das kam völlig unerwartet. Ich war in der Halbzeit des Marokko-Spiels nur mit meinem Dolmetscher in der Kabine, aber das Meiste habe ich auf Koreanisch gesagt: ‚Das seid ihr nicht!‘
     

    Süd Korea-Trainer Colin Bell bei der Pressekonferenz.
    Quelle: Reuters


    ... ist 61 Jahre alt und seit Herbst 2019 Trainer des Frauen-Nationalteams von Südkorea, dem dritten Gruppengegner der deutschen Fußballerinnen am Donnerstag (12 Uhr MESZ/ZDF) in Brisbane. Der gebürtige Engländer kam als junger Profi nach Deutschland, bestritt einige Zweitligapartien für den FSV Mainz. Im Frauenfußball arbeitete er als Trainer zunächst beim SC Bad Neuenahr, führte den 1. FFC Frankfurt dann 2015 als bislang letzten deutschen Verein zum Gewinn der Champions League. Danach ging der Fußballlehrer und Laienprediger nach Norwegen, trainierte das Nationalteam von Irland, ehe er vor vier Jahren seinen Job in Südkorea antrat.

    ZDFheute: Was könnten denn die Gründe sein?
    Colin Bell: Das hat meines Erachtens psychische Gründe, aber es kommen auch physische Ursachen hinzu. Die meisten meiner Spielerinnen sind dieses körperliche Niveau nicht gewohnt. Die Spiele in unserer Liga sind zu langsam, die Intensität im Training zu niedrig.
    Wir haben die Leistungsdaten am 18. Juli ausgewertet: Einige Akteure aus Südkorea kamen bei uns an, ohne die Wochen vorher einen einzigen richtigen Sprint zu machen. Nicht im Training, nicht im Spiel. Dann gelangt man in vier Wochen nicht auf Weltniveau. Und auch der Druck, die Erwartungshaltung ist für einige völlig neu gewesen.
    ZDFheute: Glauben Sie an das Wunder von Kasan? So wird ja der Coup gegen Deutschland von der WM 2018 in Russland genannt, den die Männer-Nationalmannschaft bewerkstelligt hat?
    Colin Bell: Von Wundern halte ich nicht so viel. Wir haben gegen Deutschland diese Mini-Chance. Eine Mini-Chance ist immer noch ein Chance. Wir brauchen fünf Tore, um weiterzukommen. Das ist eine Riesenherausforderung.

    Ich werde mit meinem Trainerteam nach der Deutschland-Partie ein Konzept abschließen, um den Frauenfußball in Südkorea voranzubringen.

    Colin Bell, Trainer Südkorea

    Wir wollen dem Verband nach der Rückkehr etwas Handfestes überreichen: Sie können es in die Tonne kloppen oder aufwachen.
    ZDFheute: Wollen Sie unter diesen Umständen denn als Nationaltrainer weiterarbeiten?
    Colin Bell: Ich möchte auf jeden Fall meine Mission hier fortführen. Ich bin nach wie vor gewillt, meinen bis 2024 laufenden Vertrag zu erfüllen. Wenn der Verband das anders sieht, müssten sie es mir sagen (lacht). Aber wir haben bereits im September die Asienspiele, im Oktober steht die Olympia-Qualifikation an. Wir haben die älteste Mannschaft bei der WM und müssen danach einen Schnitt machen. Doch das ist leichter gesagt als getan: Ich habe keine U20 oder U19, aus der ich junge Talente hochziehen könnte.
    ZDFheute: Warum nicht?
    Colin Bell: Es gibt nur einige wenige Schulen und Universitäten, an denen Fußball gespielt wird. Wir haben nur ein Reservoir von 1.400 Spielerinnen – Japan zum Vergleich hat 800.000. Das ist eine Katastrophe. Nach dem Studium sind die Spielerinnen 23, 24, ehe sie in den Erwachsenenfußball kommen. So kommen keine Jüngeren nach. Wenn wir an diesem System in Südkorea für den Frauenfußball nichts ändern, werden sich auch die Ergebnisse nicht ändern.
    ZDFheute: Da klingt schon durch, dass die deutschen Fußballerinnen sehr vermutlich die Gruppenphase überstehen.
    Colin Bell: Normalerweise dürfte Deutschland aus dieser Gruppe rauskommen. Es wird sich in der Runde der letzten 16 zeigen, wenn sie gegen Brasilien oder Frankreich spielen, wie weit sie sind. Dann kann es auch zu Ende gehen. Für mich können sieben, acht Teams Weltmeister werden. Deutschland gehört mit seiner Qualität immer noch zu diesem Kreis.
    Das Interview führte Frank Hellmann.

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