Zusammenleben Muslime und Juden:Imam: "Diese Spaltung entsetzt mich"
von Alexandra Hawlin, München
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Der Nahost-Konflikt wühlt Deutschland auf. Juden leben in Angst, Muslime werden bedroht. Ein Gespräch mit Imam Benjamin Idriz, der für Dialog kämpft und derzeit daran scheitert.
Benjamin Idriz ist Imam. Seit mehr als 20 Jahren setzt er sich für die Verständigung zwischen den Religionen ein. Doch in den letzten Wochen spürt er, wie verhärtet die Fronten sind. Seine Moschee in Penzberg, 50 Kilometer von München entfernt, soll eigentlich ein Begegnungsort sein, wird aber immer mehr zur Zielscheibe von Hass und Hetze, erzählt der 50-Jährige im Gespräch.
ZDFheute: Wie ist die Stimmung gerade in Ihrem Umfeld, in Ihrer Gemeinde?
Benjamin Idriz: Die Stimmung ist nicht gut. Frustration ist spürbar, Angst ist spürbar - auch bei Muslimen. Die Ereignisse in Nahost haben auch Auswirkungen in Deutschland. Antisemitismus ist leider in den letzten Tagen und Wochen sehr verbreitet - und auf der anderen Seite auch Islamhass. Viele fragen: Wie wird unsere Zukunft aussehen in diesem Land, das jüdisch-muslimische Zusammenleben?
Sehen Sie hier die Reportage über Imam Benjamin Idriz und Versuche der Annäherung in Deutschland:
ZDFheute: Wie gehen Sie mit Antisemitismus-Vorwürfen um?
Idriz: Mit diesen Vorwürfen müssen wir uns als Muslime hart auseinandersetzen. Sich zurückzuziehen ist keine Option. Das ist eine Realität und damit müssen wir uns hart auseinandersetzen.
Die Menschen brauchen Aufklärung, Informationen. Ich spreche mit Jugendlichen zum Beispiel darüber, welche gemeinsamen Werte Juden und Muslime haben. Wir müssen klarstellen, dass das Judentum mit uns Muslimen überhaupt kein Problem haben sollte - ganz im Gegenteil. Das Problem liegt nicht in der Religion oder im Islam, sondern in Klischees, Vorurteilen und Verschwörungstheorien über Juden. Und viele Menschen können das nicht trennen.
Benjamin Idriz beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit islamisch begründeten Antisemitismus. In den vergangenen Wochen steht das Judentum und die gemeinsamen Werte im Zentrum seiner Predigten und Veranstaltungen in der muslimischen Gemeinde.
ZDFheute: Man hört dieser Tage oft, auch von politischen Vertretern den Begriff "importierter Antisemitismus" - was sagen Sie dazu?
Idriz: Das ist eine sehr gefährliche Tendenz in Deutschland. Und da ist meine Aufgabe als Imam, wenn es innerhalb der muslimischen Gemeinden Antisemitismus gibt, das zu bekämpfen - und das machen viele muslimische Akteure. Aber in Deutschland gab es immer Antisemitismus und er wird durch das rechte Lager jetzt sozusagen salonfähig gemacht.
Dass Antisemitismus von fehlgeleiteten Muslimen oder Arabern mit selbstgemachtem, deutschem Antisemitismus zusammenkommt - das ist eine neue Bedrohung für unser Zusammenleben in diesem Land.
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In den letzten Tagen und Wochen bekommt Benjamin Idriz immer mehr Hassbotschaften - aus allen Richtungen, sowohl antisemitische Briefe und Mails von Nicht-Muslimen als auch antimuslimische Nachrichten.
ZDFheute: Wie haben Sie die Bilder vom 7. Oktober erlebt? War Ihnen da schon bewusst, welche Auswirkungen der Terrorangriff der Hamas in Deutschland haben wird?
Idriz: Ich war schockiert, habe mir Gedanken gemacht habe, wie ich als Imam, wie ich als Vater, wie ich als Mensch auf diese Ereignisse reagieren soll. Einen Tag danach habe ich öffentlich dazu Stellung bezogen. Ich habe diesen Terrorakt als unislamisch bezeichnet.
Der Islam steht für Liebe, Respekt und Achtung. Die Ereignisse haben uns gezeigt, dass wir das aus der muslimischen, islamischen Perspektive verurteilen müssen.
ZDFheute: In Deutschland sah man Bilder, auf denen Menschen nach dem Terrorangriff der Hamas gefeiert haben. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Idriz: Das ist einfach abscheulich. Und deswegen war ich ganz von Anfang an dafür, dass es nicht die richtige Option ist, nur für eine Seite auf die Straße zu gehen, denn das kann in unserer Gesellschaft zu Spaltung führen.
Und genau das erlebe ich nach einem Monat - dass die Gesellschaft in Deutschland sehr gespalten ist. Und diese Spaltung entsetzt mich wirklich und ich sorge mich um eine gesunde, harmonische Zukunft der Bürger in diesem Land.
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ZDFheute: Viele aus der muslimischen, arabischen Community haben in Deutschland gerade das Gefühl, dass ihr Leid ignoriert ist. Es gibt immer wieder Demonstrationen.
Idriz: Es ist auch eine Realität, dass viele Palästinenser, die in Deutschland leben, Araber, Muslime, sich hier ausgegrenzt fühlen, dass ihre Klage nicht wahrgenommen wird. Und wenn wir diese Menschen ignorieren und wenn wir diese berechtigte Klage nicht wahrnehmen, wenn sie nicht in der Lage sind, auch ihre Trauer zum Ausdruck zu bringen, dann verlieren wir diese Bürger.
Viele junge Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, haben das Gefühl, dass ihr Traum von einer Zukunft hier in Deutschland geplatzt ist.
Benjamin Idriz wünscht sich in München ein gemeinsames Zeichen von Juden, Christen und Muslimen - gegen Menschenhass und für Frieden. Er setzt sich für ein interreligiöses Friedensgebet ein - bisher ohne Erfolg.
ZDFheute: Wie versuchen Sie, den Menschen als Imam derzeit zu helfen?
Idriz: Meine Aufgabe als Imam ist es, diese Menschen hier für das Miteinander zu gewinnen und sie zu ermutigen, hier in Deutschland zu bleiben, gemeinsam unser Land aufzubauen - trotz der Herausforderungen und Schwierigkeiten.
Angst ist kein guter Ratgeber, sondern Hoffnung und Mut. Sich für das Miteinander einzusetzen ist der schwierigste Weg, aber ein Weg, der keine Alternative hat.
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ZDFheute: Was würden Sie sich von der Politik wünschen, auch bundespolitisch - was muss da passieren?
Idriz: Die Politik muss auch die Stimme der Muslime wahrnehmen, zuhören und auf die Muslime zugehen wie auf andere auch. Die Politik hat die Aufgabe, Brückenbauer zu sein zwischen muslimischen und jüdischen Mitbürgern. Das erwarte ich von der Politik. Doch die Politik macht in diese Richtung fast gar nichts, und Muslime fühlen sich allein.
ZDFheute: Was frustriert Sie gerade am meisten, was gibt Ihnen Hoffnung?
Idriz: Wenn das Engagement für das Miteinander der letzten 20 Jahren nicht wahrgenommen, nicht gewürdigt und sogar in Frage gestellt wird - das macht mich traurig und fassungslos. Es zeigt eben, dass der richtige Weg nicht so einfach ist, - der Weg des Dialogs, des Gesprächs -, dass wir uns weiterhin für gemeinsame Werte einsetzen müssen, dass wir jetzt standhaft bleiben müssen.
Es gibt auch nicht-muslimische Bürgerinnen und Bürger, die uns Nachrichten schicken, uns ermutigen und unterstützen. Das macht mich wieder hoffnungsvoll auf eine bessere Zukunft.
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