44:19 min
Spektakuläre Wiederaufnahme:"Badewannen-Mord": Freispruch nach 13 Jahren
von Simon Pfanzelt, Petra Neubauer
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13 Jahre lang saß Manfred Genditzki wegen eines vermeintlichen Mordes im Gefängnis. Jetzt wurde der heute 63-Jährige vom Landgericht München frei gesprochen.
Der Mann, der 4.912 Tage lang unschuldig im Gefängnis saß, ist nervös. Zum dritten Mal steht Manfred Genditzki vor Gericht. Zweimal schon wurde er verurteilt. Lebenslang, wegen Mordes. Er hofft, dass diesmal alles anders wird. Dann spricht die Richterin.
Freispruch, so lautet das Urteil der 1. Strafkammer am Landgericht München I. Bei Genditzkis Familie im Zuschauerraum brechen Tränen der Erleichterung aus. Genditzki selbst steht wie versteinert da.
"Manfred Genditzki hat Lieselotte Kortüm am 28. Oktober 2008 nicht ermordet" - mehr als 14 Jahre lang hat Genditzki für diese Feststellung gekämpft. Die Vorsitzende Richterin, Elisabeth Ehrl, sagt in der Urteilsbegründung direkt an Genditzki gerichtet:
Richterin kritisiert Ermittlungs- und Justizbehörden
Ehrl übte zudem scharfe Kritik an Ermittlungs- und Justizbehörden. Sie sprach von einer "Kumulation von Fehlleistungen", die dazu geführt hätten, dass Genditzki zweimal verurteilt wurde für ein Verbrechen, das es nach heutiger Auffassung des Gerichts nie gegeben hat.
Ihr erscheine es so, als sei bei den Ermittlungen "manches sehr einseitig verarbeitet und zu Lasten von Herr Genditzki" gewertet worden. Die sichtlich ergriffene Richterin, die zum Schluss mit den Tränen zu kämpfen schien, sagte:
Es tue dem Gericht leid, "dass Sie mitten aus Ihrem normalen Leben gerissen wurden", dass es Genditzki nicht vergönnt gewesen sei, "Ihre beiden jüngeren Kinder aufwachsen zu sehen, zur Beerdigung Ihrer Mutter zu gehen".
Plötzlich steht der Hausmeister unter Mordverdacht
Es ist der Schlussstrich unter einer schier unglaublichen Geschichte. Am 28. Oktober 2008 wird die 87-jährige Lieselotte Kortüm tot in ihrer Badewanne aufgefunden. In der Seniorenanlage in Rottach-Egern hatte sich Hausmeister Manfred Genditzki jahrelang liebevoll um die alleinstehende alte Dame gekümmert, für sie eingekauft, Geldgeschäfte getätigt, sie chauffiert.
Das Obduktionsprotokoll vermerkt nach dem Tod keine Anzeichen von Fremdeinwirkung, doch der Rechtsmediziner ändert seine Meinung und geht später doch von einer Gewalttat aus.
Keine DNA - trotzdem Mordverdacht
Die Kriminalpolizei Miesbach nimmt Manfred Genditzki ins Visier. Er habe sich "eigenartig" verhalten, unaufgefordert einen Kassenzettel als eine Art Alibi vorgelegt und Schmuckstücke zurückgegeben, die Frau Kortüm einst ihm oder seiner Frau geschenkt hatte.
Obwohl keine DNA von Genditzki gefunden wird, steht er plötzlich unter Mordverdacht. Er habe Frau Kortüm geschlagen und dann in der Wanne ertränkt. Das Motiv: Er habe Geld unterschlagen.
Fehlurteile können Leben zerstören. Und doch passieren sie immer wieder. Eine Dokumentation über sieben Menschen, die zu Unrecht hinter Gittern saßen.
07.11.2021 | 43:07 min
Wie Fehlurteile Leben zerstören können - eine Dokumentation:
Genditzki widerlegt Motiv - verurteilt wird er trotzdem
Im ersten Prozess kann Genditzki das Motiv widerlegen. Die Herkunft der 8.000 Euro, die Genditzki kurz nach Lieselotte Kortüms Tod einem Freund zurückgezahlt hatte, konnte er detailliert nachweisen. Der Staatsanwalt konstruiert daraufhin in seinem Plädoyer ein neues Motiv.
Trotz schwacher Indizien, trotz vieler Zweifel, wird Genditzki im ersten und - nach der Beanstandung durch den Bundesgerichtshof - auch im zweiten Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Genditzkis Anwältin Regina Rick sagt:
13 Jahre lang Unschuld beteuert
13 Jahre und sechs Monate sitzt Genditzki im Gefängnis. In dieser Zeit muss er Privatinsolvenz anmelden, eine Tochter kommt zur Welt, seine Mutter stirbt. In all den Jahren hat Genditzki seine Unschuld beteuert. Er könne nichts zugeben, was er nicht getan habe, sagt er und verzichtet somit als "Tatleugner" auf Erleichterungen in der Haft.
Der Anspruch auf Entschädigung richtet sich nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG). Maßgeblich für die Höhe ist demnach die Anzahl der angefangenen Hafttage - pro Tag beträgt diese aktuell 75 Euro. Vor 2020 waren es nur 25 Euro pro Tag.
Es handelt sich dabei um eine pauschale Haftentschädigung und bezieht persönliche Schicksale wie etwa die räumliche Trennung von der Familie nicht mit ein.
Nach seiner Haftentlassung im August 2022 - nach 4.912 Tagen im Gefängnis - steht Manfred Genditzki deshalb eine Entschädigung in Höhe von 368.400 Euro zu. Zusätzlich kann er materiellen Schaden wie beispielsweise Verdienstausfall geltend machen.
Es handelt sich dabei um eine pauschale Haftentschädigung und bezieht persönliche Schicksale wie etwa die räumliche Trennung von der Familie nicht mit ein.
Nach seiner Haftentlassung im August 2022 - nach 4.912 Tagen im Gefängnis - steht Manfred Genditzki deshalb eine Entschädigung in Höhe von 368.400 Euro zu. Zusätzlich kann er materiellen Schaden wie beispielsweise Verdienstausfall geltend machen.
- Gutachterhaftung: Hier kommt eine zivilrechtliche Haftung in Betracht, wenn ein Gutachten (z.B. eines Psychologen) mit gravierenden Fehlern erstellt wurde. Dann ist ein Schmerzensgeldanspruch gegen den Gutachter möglich, der dann zivilrechtlich durchgesetzt werden müsste.
- Strafbarkeit von Richtern: Hier ist eine Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung nach Paragraf 339 StGB möglich. Diese kommt aber nur bei elementaren Rechtsverstößen in Betracht, wenn also der Richter (oder wie in diesem Fall mehrere Richter) sich bei der Entscheidung bewusst in schwerwiegender Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei von Recht und Gesetz entfernt haben. Eine unrichtige Entscheidung reicht daher für die Annahme einer Rechtsbeugung selbst dann nicht aus, wenn sich die getroffene Entscheidung als unvertretbar herausstellt.
Gemeinsam mit Anwältin Regina Rick erkämpft er sich schließlich dieses Wiederaufnahmeverfahren. Überzeugt hat vor allem eine Computersimulation: Mit einem exakten Modell von Frau Kortüm hinsichtlich Größe, Gewicht und Gesundheitszustand konnte gezeigt werden, dass vieles auf einen Sturz der alten Dame hindeutet. Genau das war in den bisherigen Prozessen immer ausgeschlossen worden.
Auch ein thermodynamisches Gutachten entlastet Genditzki. Es legt nahe, dass der Todeszeitpunkt von Frau Kortüm viel später war als angenommen, zu einer Zeit, für die Manfred Genditzki ein gesichertes Alibi hat.
Seit dem 26. April wurde der sogenannte "Badewannen-Mord" wieder verhandelt. Ein Mord, den es nie gegeben hat.
Petra Neubauer und Simon Pfanzelt berichten aus dem ZDF-Landesstudio München in Bayern.
Quelle: mit Material von dpa
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