EU-Gipfel zu Nahost-Konflikt: Selbst Plural ist politisch
Haltung zum Krieg Hamas-Israel:EU-Gipfel: Selbst der Plural ist politisch
von Gunnar Krüger
|
Sie sagen dasselbe, aber betonen es anders: Die EU-Staaten ringen mit der Nahost-Politik - und mit der Grammatik. Der Überblick vor dem Gipfel.
Es ist die dritte Nachfrage, und die Antwort klingt fast ungehalten: Warum der Plural so ein Problem sei? "Das sollte ich Sie fragen!" Hohe EU-Diplomaten geben sich bis kurz vor dem EU-Gipfel, der Donnerstagnachmittag beginnt, alle Mühe, einen - angesichts der Lage in Nahost - peinlichen Streit kleinzureden. Es geht um "Fenster", um "Pausen", um Singular und Plural. Alles beginnt am Dienstag.
Annalena Baerbock steht in einer New Yorker Straßenschlucht, hinter ihr der Sitz der Vereinten Nationen, vor ihr Mikrofone, Thema ist Gaza. Die deutsche Außenministerin prägt mit diesem Wort die Debatte:
Das andere Wort setzt Stunden zuvor der EU-Außen-Beauftragte, als er eine "humanitäre Pause" fordert. "Eine Pause ist eine Pause", so Borrell. "Also die Unterbrechung von etwas, das danach weitergeht."
Recht Israels auf Selbstverteidigung
Sie sei leichter zu vereinbaren als eine Waffenruhe, wie sie die UN fordern. Und doch ist die vermeintliche Wortklauberei eine neue Runde im Streit der Europäer, wie weit Israels Recht auf Selbstverteidigung geht. Denn die deutsche Bundesregierung zeigt sich auch am Mittwoch skeptisch zu Forderungen nach einer "Feuerpause".
Wichtig seien "zeitliche und räumliche Fenster", um die humanitären Hilfsleistungen im Gazastreifen zu ermöglichen, so der Regierungssprecher. Auch in Brüssel betonen Deutsche und andere EU-Mitglieder die Semantik. "Fenster", das klingt noch kürzer, noch begrenzter als "Pausen".
Selbst der Plural ist politisch: Vor jedem Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs und -Chefinnen kursieren Schlussfolgerungen. Das ist der Text, auf den sich alle 27 einigen sollen. In einer Version vom Mittwochmorgen steht das Wort "humanitäre Pause", also Einzahl.
"Ich bin mir nicht sicher, ob das so bleibt", mutmaßt ein EU-Diplomat - und liegt richtig. Am Abend heißt es im englischen Original "humanitarian pauses" - also Mehrzahl. Wer mag, kann darin das Vorübergehende lesen, mehr freie Hand für Israel im Kampf gegen Hamas.
Von Spanien - der Heimat des EU-Chefdiplomaten Borrell - über Irland und Deutschland bis Österreich: Alle 27 fordern fast dasselbe, betonen aber das jeweils andere: Israels Recht auf Selbstverteidigung oder das Humanitäre Völkerrecht. Der Überblick:
Spaniens kritische Haltung gegenüber Israel habe historische Gründe, erklärt Isaías Barreñada Bajo von der Madrider Uni Complutense im Interview mit ZDFheute. "In Spanien deckten sich immer die offizielle Position der Regierungen, egal ob sie konservativ oder sozialistisch waren, und die öffentliche Meinung, die die Palästinenser als die Opfer wahrnimmt." Israels Unterstützer seien weniger wahrnehmbar.
Schwere Vorwürfe gegen Staat Israel
Irlands Präsident Michael D. Higgins kritisierte vor kurzem Israel:
Israels Botschafterin in Irland warf ihm vor, sich "uninformiert" zu äußern. Doch was Higgins sagt, denken viele Iren, Tausende demonstrieren. Zoe Lawlor von der irisch-palästinensischen Solidaritäts-Kampagne nennt Israel einen "Apartheidstaat". Auch hier spielt Geschichte mit: Im 16. Jahrhundert kolonisierten Briten Irland. Iren scheinen viele Parallelen zu erkennen - zum Land von Israelis und Palästinensern.
Österreich mit weniger Pro-Palästina-Demos
In Österreich fallen pro-palästinensische Demonstrationen dagegen kleiner aus. Der Soziologe und Politikberater Kenan Güngör erklärt das mit der Politik der konservativen Regierung: "Österreich ist ein Land, dass ein Stück weit eine strengere und rigidere Integrationspolitik fährt."
Dazu passt eine Israel-Politik mit wenig Kritik und das, was Bundeskanzler Karl Nehammer am Mittwoch auf Besuch in Tel Aviv sagt: "Wenn wir es nicht schaffen, die Hamas in Israel zu besiegen, wird sie nach Europa kommen."
Die Staats- und Regierungschefs ringen beim EU-Gipfel um eine gemeinsame Haltung im Nahost-Konflikt. Wie positionieren sich Irland, Österreich und Spanien?26.10.2023 | 3:24 min
Fällt Europa nicht ins Gewicht?
Die Fußnote: Europas feine Unterschiede werden bei der Lösung des Konflikts in Nahost eher keine Rolle spielen. Nicht, weil Diplomaten sie kleinreden, sondern weil die EU ihr Gewicht nicht einsetzt.
Angriff auf Israel (Karte Israel, Gazastreifen etc.)
ZDFheute Infografik
Ein Klick für den Datenschutz
Für die Darstellung von ZDFheute Infografiken nutzen wir die Software von Datawrapper. Erst wenn Sie hier klicken, werden die Grafiken nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Datawrapper übertragen. Über den Datenschutz von Datawrapper können Sie sich auf der Seite des Anbieters informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
Chefdiplomat Borrell hat in seinem Amt Israel noch nicht besucht. Und wenn die Konfliktparteien einen Waffenstillstand, eine Feuerpause, ein humanitäres Fenster - oder auch mehrere davon - vereinbaren, dann dürften dabei wohl arabische Staaten oder die USA vermitteln - nicht die EU.
Mitarbeit: Thomas Walde, Hilke Petersen und Oliver Heuchert
Durch den Hamas-Überfall auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert - das israelische Militär reagiert mit Militäroperationen. Aktuelle News und Hintergründe im Liveblog.