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Krieg in Nahost:Explosionen werden Alltag im Libanon
von Golineh Atai, Beirut
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Mehr als 3.500 Tote, fast 15.000 Verletzte und mehr als eine Million Vertriebene: Kann der Libanon nach dem Finanzkollaps und der Wirtschaftskrise einen Krieg überleben?
Was macht der Krieg im Libanon mit den Menschen? Wie kontrolliert die Hisbollah das Narrativ ihres Krieges - und wie sichert sie ihre eigene Zukunft im Land? 21.11.2024 | 29:33 min
Nichts veranschaulicht die Lage im Libanon wohl besser: Ein Passagierflugzeug auf dem einzigen Flughafen des Landes ist gerade dabei, auf die Startbahn zu rollen. Es ist eine Maschine der nationalen Middle East Airlines - nur noch sie verbindet das Land mit der Welt. Sobald die Maschine sich in Bewegung setzt, schlägt, nur Dutzende Meter vom Flugzeug entfernt, eine israelische Rakete ein. Die Maschine rollt unbehelligt weiter, als sei nichts geschehen.
In unmittelbarer Nähe des Krieges geht das Leben seinen Gang. Tod und Alltag liegen dicht aneinander.
Schwierige Nachbarn: Der Libanon stößt an die nördliche Grenze Israels, im Osten liegt Syrien.
Erneut israelischer Angriff auf Beirut
In den vergangenen Tagen hat Israel erneut das Zentrum von Beirut angegriffen - dort, wo die Einwohner, Sunniten oder Christen, sich eher sicher geglaubt hatten. Aber nichts ist mehr sicher. Sie bleiben pessimistisch, wenn der US-Abgesandte Amos Hochstein in diesen Tagen vorsichtig optimistisch von einem Waffenstillstands-Deal "in greifbarer Nähe" spricht.
Bei einem Luftangriff Israels auf Beirut sind am Montagabend mindestens fünf Menschen getötet worden. Die Hisbollah feuerte indes Geschosse auf Israel ab, dabei starb eine Frau.19.11.2024 | 0:19 min
Zuvor hatte Israels Armee verkündet, erstmals eine Artilleriebatterie auf libanesischem Territorium stationiert zu haben. Militärexperten sprechen seitdem vom Beginn einer zweiten Phase der Bodenoffensive - oder vom Beginn einer Art von "Besatzung".
TV-Moderatorin: Hisbollah-Gegner im Libanon werden terrorisiert
Und die Hisbollah? Gerade erst hat die Miliz in einem gezielten Anschlag ihren Sprecher verloren, der zuvor vom "Krieg bis zum Sieg" gesprochen und immer lauter gegen Kritiker der Hisbollah gewettert hatte. Dima Sadeq, Fernsehmoderatorin und langjährige Hisbollah-Kritikerin, die selbst aus dem Südlibanon stammt, beschreibt die Situation so:
"Sie verleugnen die Realität - auf eine arrogante Art und Weise", sagt Sadeq. "Auch dadurch, dass sie anderen Verrat vorwerfen. Ich bekomme täglich WhatsApp-Drohungen von Hisbollah-Anhängern, in denen steht: 'Du verdienst eine Kugel!'".
Das Comeback Donald Trumps dürfte Israels Regierungschef Netanjahu den Rücken stärken. Was heißt das für den Krieg in Nahost? Unser Reporter hat Israels Armee begleitet.13.11.2024 | 6:23 min
Hisbollah nutzt religiöse Rhetorik
Sadeq hat nach Beginn des Krieges ihre Heimat verlassen müssen und lebt nun in den Emiraten. Je mehr Niederlagen die Miliz einstecke, erklärt sie, umso mehr benutzten ihre Vertreter religiöse Rhetorik: "Sie sagen jetzt, sie könnten nicht besiegt werden, weil ja Gott mit ihnen sei, weil Gott ihnen gesagt habe, dass sie siegen würden".
Die Fehlkalkulation der einst mächtigsten nicht-staatlichen Militäreinheit des Mittleren Ostens ist offensichtlich, so Sadeq: "Während Israel sich seit dem Krieg 2006 auf diese Konfrontation vorbereitete, war die Hisbollah mit den Kriegen in Syrien, Jemen und Irak beschäftigt - und damit, uns Kritiker im Libanon zu unterdrücken. Sie dachte wohl, dass Israel zu konfrontieren das Gleiche sei, wie untrainierte syrische Rebellen zu bekämpfen - mit der konventionellen Kriegsführung des 20. Jahrhunderts."
Der UN-Sicherheitsrat hat die Angriffe auf Unifil-Soldaten am 7. und 8. November im Libanon verurteilt. Angaben dazu, wer für die Vorfälle verantwortlich sei, gab es nicht.14.11.2024 | 0:26 min
Immer neue Spuren des Krieges
Trotz der Einschläge fast im Minutentakt harren immer noch Menschen in den Kampfgebieten aus. Oft sind es Drusen oder Christen, um deren Dörfer sich die Gefechte ziehen. Sami Abla, der Bürgermeister der christlichen Stadt Marjayeoun, wenige Kilometer vor Israel, sagt ZDFheute, dass er seine Heimat und Erde nicht verlassen wolle - Verlassen bedeute Aufgeben.
Seine Frau hat bei einem Angriff vor ihrem Haus ihren Cousin sterben sehen. Die Einschläge haben den Garten verwüstet. Aber Abla kehrt die Spuren des Krieges jeden Tag aufs Neue weg. "Das ist die Stadt meiner Vorfahren und meiner Kinder. Sie darf nicht verfallen", sagt er.
Seit Monaten ist Israels Grenzgebiet zum Libanon evakuiert. Fast täglich gibt es Beschuss der Hisbollah-Miliz. Nur wenige Anwohner sind freiwillig dageblieben – so wie in Shtula. 03.11.2024 | 2:37 min
Libanon: Videos zeigen Zerstörung durch israelische Angriffe
Israels Armee hat zahlreiche Dörfer an der Grenze ganz oder teilweise in Trümmer gelegt. In Videos zeigt sie die gewaltigen Sprengungen, die die Tunnel und Waffenlager der Hisbollah vernichten - und zugleich Schulen, Apotheken und Arztpraxen, Moscheen, Friedhöfe und Denkmäler zerstören.
Was ist die Strategie? Für Journalistin Sadeq - wie auch für viele libanesische Politikwissenschaftler und Experten - ist klar, dass Israel nicht nur Hisbollah-Ziele angreift, sondern auch die Schiiten - die Gemeinschaft, aus der die Hisbollah entstand - aus ihren angestammten Gebieten vertreiben wolle. Diese könnten nicht anders, als in Gegenden zu flüchten, wo andere Libanesen leben - etwas, das langfristig Spannungen erzeugen könnte, meint Sadeq.
Rede von Benjamin Netanjahu: Konflikte als Ziel?
Spätestens mit der Rede von Benjamin Netanjahu an die Libanesen - in der er Muslime, Christen und Drusen zu einem Aufstand gegen die Hisbollah ermutigte - sei klar, so Sadeq, dass es Israel auch darum gehe, innere Konflikte zwischen den Bevölkerungs- und Religionsgruppen zu provozieren. Sie meint: Von einem Libanon, in dem die alten Wunden des Bürgerkriegs und innere Fronten wieder aufgingen, könnte für Israel vielleicht weniger Gefahr ausgehen.
Quelle: ZDF
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