Gipfelkompromiss zu Nahost: Gut, dass Europa so streitet

    Kommentar

    Gipfelkompromiss zum Nahen Osten:Gut, dass Europa so streitet

    Florian Neuhann
    von Florian Neuhann, Brüssel
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    Die EU-Staaten haben viel und lange gestritten - und sich am Ende auf einen Formelkompromiss zum Nahen Osten geeinigt: Drei Gründe, warum das besser ist, als manche denken.

    Der Präsident des Europäischen Rats Charles Michel und die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen treffen vor der Pressekonferenz des Europäischen Rates in Brüssel ein.
    Die EU erkennt Israels Recht zur Selbstverteidigung an und fordert humanitäre Korridore für Hilfe in den Gaza-Streifen.27.10.2023 | 1:39 min

    1. Der Nahe Osten spaltet

    Es gibt ein Ritual in Brüsseler Gipfelnächten, das einfach nur ärgerlich ist. Am Ende eines langen Streits treten Spitzenvertreter der EU vor die Presse und schwärmen von europäischer Einigkeit.
    In der Nacht zu Freitag war das wie so oft EU-Ratspräsident Charles Michel, der die "starke Einheit Europas" bejubelte - nachdem sich der Gipfel zuvor fünf Stunden lang über einzelne Formulierungen zum Nahen Osten gestritten hatte. Auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist ein Meister des Schönredens von Konflikten.
    ZDF-Korrespondent Ulf Röller, zugeschaltet aus Brüssel, im Gespräch mit Moderatorin Barbara Hahlweg im Studio.
    Der EU-Gipfel einigt sich zwar auf eine gemeinsame Erklärung zu Nahost, diese wird jedoch unterschiedlich interpretiert. ZDF-Korrespondent Ulf Röller ordnet ein. 27.10.2023 | 1:01 min
    Wie wohltuend wäre es, wenn EU-Spitzen einfach zugeben würden: Ja, bei dem Thema gibt es heftige Differenzen. Ja, wir kommen aus fundamental anderen Lagern.
    Die einen, von Irland bis Spanien, fühlen sich dem Volk der Palästinenser historisch verbunden. Die anderen, wie Deutschland, spüren eine historische Verantwortung für Israel. Auch die Gesellschaften selbst sind gespalten; der Nahost-Konflikt spielt sich auch auf europäischen Straßen ab.
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    Bisher reagierte Israel nicht offiziell auf die Forderungen der EU. Druck wird von den USA ausgeübt, sich an die Regeln des Krieges zu halten, trotz Recht auf Selbstverteidigung.27.10.2023 | 1:43 min
    Vielleicht deshalb ist Europa in diesem Konflikt auch wichtiger, als mancher vermuten will, der nur auf die militärische Stärke der USA schaut. Die Zerrissenheit, die Europa selbst erlebt, könnte es zu einem glaubwürdigen Akteur in der Region machen.

    2. Worte zählen

    Man mag sich lustig machen über Brüsseler Wortakrobatik - die sich zuletzt um die Frage drehte, ob die EU nun eine "humanitäre Pause" (die vielleicht länger dauern würde) fordert oder dem Wort ein "n" anfügt. Und "humanitäre Pausen" anstrebt, die nur kurz wären.
    ZDF-Korrespondenten Ulf Röller und Michael Bewerunge zugeschaltet ins Studio aus Brüssel und Tel Aviv, im Gespräch mit Moderatorin Kay-Sölve Richter.
    Die EU spricht mit einer Stimme zum Thema Nahost. Welche Botschaft dies senden soll und wie Israel auf die Forderungen reagiert, berichten Ulf Röller und Michael Bewerunge.27.10.2023 | 2:22 min
    Das klingt nach einer Beschäftigungstherapie für Diplomaten, nach Lockendrehen auf der Glatze. Aber es ist relevant. Hätte Europa einen "Waffenstillstand" gefordert, was wäre das für ein Signal gewesen, vor allem an Israel? Ja, wir stehen zu Eurem Recht auf Selbstverteidigung, aber wir meinen das eigentlich nicht ernst?
    Es ist gut, dass Europa um jedes Wort, jeden Buchstaben ringt. Vor allem, wenn am Ende eine Formel steht, mit der alle leben können. Was jetzt nur wichtig ist: dass Europa diese Haltung auch gemeinsam vertritt.
    Florian Neuhann im Gespräch mit Farah Schlink
    Beim EU-Gipfel werden die weitere Unterstützung für die Ukraine sowie das Thema Migration diskutiert. ZDF-Korrespondent Florian Neuhann mit Einschätzungen aus Brüssel. 27.10.2023 | 1:07 min

    3. Zum Glück sind es Worte

    Man kann die Geschichte europäischer Gipfel immer wieder neu als Streit erzählen. Aber gerade in Zeiten wie diesen sollte man öfter mal einen Schritt zurücktreten und sich daran erinnern: Was für ein Glück, dass hier in der EU nur noch mit Worten gestritten wird. Und dass Konflikte mit Kompromissformeln gelöst werden. Es ginge schließlich auch anders.
    Alle Entwicklungen zur Lage im Nahen Osten in unserem Blog:

    Eskalation in Nahost
    :Aktuelle News zur Lage in Israel und Gaza

    Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert. Israel greift infolge der Terrorattacke Ziele im Gazastreifen an. Aktuelle News im Blog.
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