Gaza-Krieg: Was braucht es für einen Wiederaufbau?
Waffenstillstand und Wiederaufbau:Endlich Hoffnung für Gazas Zivilbevölkerung?
von Nils Metzger
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Der Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas nimmt letzte politische Hürden. Wie geht es mit dem Gazastreifen nun politisch weiter? Gibt es Perspektiven für den Wiederaufbau?
Palästinenser versammeln sich am 16. Januar 2025 nach der Ankündigung eines Waffenstillstands, um in Deir al-Balah im zentralen Gazastreifen Hilfsgüter zu verteilen.
Quelle: AFP
Am Freitag hat das israelische Sicherheitskabinett dem Waffenstillstand mit der Hamas zugestimmt. Nun steht lediglich noch die Genehmigung der restlichen israelischen Regierung aus. Wird sich die humanitäre Lage im Gazastreifen nach über 450 Kriegstagen nun endlich bessern?
Wie soll der Waffenstillstand ablaufen?
Das von beiden Seiten in Doha unterzeichnete Abkommen ist in drei Phasen aufgeteilt. Ab Sonntag, 19. Januar, sollen für vorerst sechs Wochen die Kämpfe eingestellt werden. In dieser Zeit soll Israel seinen militärischen Rückzug aus dem Gazastreifen einleiten und parallel nach und nach Geiseln und Gefangene übergeben werden. Hilfsorganisationen sollen vereinfachten Zugang nach Gaza erhalten.
Das israelische Sicherheitskabinett hat dem Gaza-Abkommen zugestimmt. Übermorgen sollen die ersten Geiseln freikommen. Hilfsgüter könnten dann nach Gaza gelangen. 17.01.2025 | 1:34 min
Anschließend sollen ein dauerhafter Waffenstillstand und eine Phase des Wiederaufbaus folgen. Hier wird insbesondere der Grenzübergang Rafah zu Ägypten eine kritische Rolle spielen. Entlang dieser Grenze verläuft der sogenannte Philadelphi-Korridor, über dessen Kontrolle es bis zuletzt Konflikte gegeben hatte. Wann israelische Truppen von diesem Gebiet voll abziehen, ist auch mit dem Abkommen nicht klar. Was aus Sicht Israels den Waffenschmuggel an die Hamas unterbinden soll, könnte leicht Auslöser neuer Gefechte werden.
Angriff auf Israel (Karte Israel, Gazastreifen etc.)
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"120.000 Tonnen humanitärer Güter stehen bereit, um im Gazastreifen verteilt zu werden", sagte Bente Scheller, Nahost-Expertin der Heinrich-Böll-Stiftung. "Um die Lage der Zivilbevölkerung zu verbessern, wäre essenziell, dass umgehend große Kontingente in das Gebiet hineingelassen und die Transporte gesichert würden."
In den vergangenen Monaten hatten immer wieder Kriminelle und bewaffnete Gruppen Hilfsgüter für Menschen im Gazastreifen entwendet. Absicherung und Verteilung der Transporte wird nun vermutlich auch in den Händen von Hamas-Sicherheitskräften liegen.
Was aktuell besonders drängt, ist Schutz vor der Kälte: "Viele der Zeltstrukturen sind nicht winterfest", betont Scheller. Und: "Bildungsmaterialien konnten die letzten Monate gar nicht in das Gebiet gelangen, weil sie nicht als überlebenswichtig eingestuft wurden."
ZDF-Korrespondent Thomas Reichart berichtet aus Tel Aviv: Trotz Hoffnung auf einen längeren Waffenstillstand bleibt Skepsis. Wie stabil ist das Abkommen wirklich?17.01.2025 | 1:18 min
Wie geht es mit der Hamas-Herrschaft weiter?
Kurzfristige Nothilfe ist aber nur ein Teil des Problems - schwieriger wird die Frage des langfristigen Wiederaufbaus. Das Waffenstillstandsabkommen umfasst keine Regelungen zur politischen Zukunft Gazas. In über einem Jahr Krieg und parallelen Verhandlungen unter der Vermittlung von Ägypten oder Katar konnten und wollten die Konfliktparteien keine neue politische Ordnung für den Gazastreifen entwerfen. Faktisch heißt das, der zu großen Teilen verwüstete Landstrich verbleibt vorerst weiter unter Kontrolle der islamistischen Hamas.
Gibt es trotzdem ein Fenster für politische Veränderungen? Scheller sagt ZDFheute:
Angesichts der hohen Opferzahlen, weitgehenden Zerstörung der Infrastruktur und temporärer Vertreibung fast der gesamten Bevölkerung, sei das keine Situation, in der sich neue politische Kräfte formieren können, so Scheller.
Orte im Gazastreifen
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Die im Westen als politisches Gegenüber akzeptierte Autonomiebehörde wird in Gaza vorerst weiter kaum eine Rolle spielen. Entsprechend konfrontativ zeigte sich der Hamas-Rivale Fatah in einem langen Statement am Samstag. Darin gab man der Hamas die Schuld für die Zerstörung Gazas. Sie würde das "palästinensische nationale Projekt manipulieren" und für iranische Interessen vereinnahmen. Dass Hamas und Fatah in der aktuellen Konstellation zu einer Einigung kommen, ist mehr als fraglich.
Einige israelische Regierungsmitglieder hätten sich auch gegen eine Rückkehr der Zivilbevölkerung in den Norden Gazas ausgesprochen, betont Scheller.
Wie teuer kann der Wiederaufbau werden?
Weite Teile der öffentlichen Infrastruktur sind durch die Kämpfe beschädigt oder zerstört. Erst die dritte Phase des Abkommens sieht eine drei bis fünfjährige Wiederaufbauphase vor, die soll aber erst nach einem dauerhaften Waffenstillstand beginnen. Damit ist weitgehend unklar, wann zusätzlich zur akuten humanitären Nothilfe der eigentliche Wiederaufbau mit voller Kraft beginnen könnte.
Laut Vereinten Nationen sind etwa zwei Drittel aller Gebäude im Gazastreifen beschädigt oder zerstört. Die groben Kosten eines Wiederaufbaus können aktuell nur grob geschätzt werden. Die Weltbank ging bereits im April 2024 von rund 18,5 Milliarden US-Dollar aus, seitdem hat das Ausmaß der Schäden nochmal deutlich zugenommen.
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Wird sich Europa am Wiederaufbau beteiligen?
Die andauernde Herrschaft der Hamas dürfte nun auch ein Hindernis für internationale Hilfe beim Wiederaufbau werden. Westliche Staaten dürften kaum geneigt sein, einer Hamas-Verwaltung große Summen auszuhändigen. Und Organisationen wie das Palästina-Hilfswerk UNRWA, das etwa zahlreiche Schulen betreibt, sind wegen Israels Vorwürfen von Hamas-Unterwanderung ebenfalls politisch umstritten.
"Europa hat sich in der Vergangenheit bereits stark in Wiederaufbau-Projekten engagiert", sagt Scheller. Von der Verbesserung der Lage der Bevölkerung erhoffe man sich, zum inneren Frieden der Gesellschaft beizutragen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Donnerstag ein 120-Millionen Euro-Programm zur humanitären Unterstützung Gazas an.
Angesichts dessen, dass in der ersten Phase nun für sechs Wochen getestet wird, ob die Waffen tatsächlich schweigen, dürften viele internationale Akteure aber zunächst abwarten. Und in Gaza selbst dürfte die Hamas-Inszenierung eines vermeintlichen Sieges über Israel irgendwann verfliegen. Den Menschen von Gaza drohen dann weitere Jahre ohne politische oder wirtschaftliche Perspektive.
Durch den Hamas-Überfall auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert - das israelische Militär reagiert mit Militäroperationen. Aktuelle News und Hintergründe im Liveblog.