Antisemitismus in China: Der Einfluss des Nahost-Konflikts

    Krieg in Nahost:Warum toleriert China Antisemitismus im Netz?

    Elisabeth Schmidt, Korrespondentin ZDF-Studio Peking
    von Elisabeth Schmidt, Peking
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    Chinas Internet-Zensur ist die strengste der Welt. Doch seit Ausbruch des Nahost-Krieges nehmen judenfeindliche Kommentare zu. Zensur: Fehlanzeige. Was steckt dahinter?

    In China sitzen Menschen an Computern in einem Internetcafe.
    Viele Chinesen äußern sich antisemitisch im Netz - anders als in anderen Fällen weitgehend ohne Zensur. (Symbolbild)
    Quelle: dpa

    Hitler habe seinen Job nicht gründlich genug gemacht während des Holocausts, schreibt Nutzer 410Azu auf Weibo, dem chinesischen X-(Twitter-)Pendant. Ziwuxiashi setzt Israels Gegenschläge nach den Terror-Attacken der Hamas mit einem Pogrom gleich: "Damals erlaubte Nazi-Deutschland euch nicht länger zu leben. Heute erlaubt ihr den Palästinensern nicht mehr länger zu leben."
    Die Influencerin Guyanmuchan, die mehr als sieben Millionen Follower hat, von der chinesischen Provinz Guangdong zur "Internet-Botschafterin" ernannt wurde und damit eindeutig staats- und parteinah ist, postet ein T-Shirt mit Israel-Flagge und einem Davidstern, in dessen Mitte ein Hakenkreuz zu sehen ist.

    Antisemitische Inhalte trotz Zensur in China nicht gelöscht

    Antisemitismus existiert in China seit vielen Jahrzehnten. Doch seit dem 7. Oktober, dem Tag der blutigen Attacke der Hamas auf Israel mit nach offiziellen Angaben etwa 1.200 Toten, haben judenfeindliche Kommentare und Posts auf Online-Plattformen der Volksrepublik rapide zugenommen.
    Laut Nutzerrichtlinien von Weibo ist es Usern verboten, "schädliche Inhalte" zu posten. Doch viele antisemitische Inhalte werden stehengelassen - obwohl China den Internetverkehr wie kein anderes Land kontrolliert, obwohl sonst alles, was der Staats- und Parteiführung politisch nicht passt, umgehend gelöscht wird.

    Peking: Seit Mao Unterstützung für Palästinenser

    Peking unterstützt die Palästinenser seit der Herrschaft von Mao Zedong und spricht sich seit Langem für eine Zwei-Staaten-Lösung aus. Bis heute verurteilte die Staats- und Parteiführung die Hamas-Attacke vom 7. Oktober nicht als Terrorakt, stuft die Hamas auch nicht als Terror-Organisation ein, so wie das die meisten westlichen Länder tun.
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    Dass judenfeindliche Posts in Chinas Sozialen Medien nicht gelöscht werden, deutet zumindest auf eine stillschweigende Toleranz gegenüber rassistischen Inhalten hin. Hashtags, mit denen antisemitisch gehetzt wird, werden Dutzende Millionen Mal verwendet.

    Parallelen zur chinesischen Kritik am Ukraine-Krieg

    Das Verhalten der chinesischen Staatsführung beim Krieg in Nahost weist deutliche Parallelen zum Krieg in der Ukraine auf: Auch hier bezeichnet Peking bis heute Russland nicht als Aggressor und präsentiert sich als "neutraler Vermittler". Eine Woche nach dem Hamas-Angriff sagte Chinas Außenminister Wang Yi, China verurteile alle Akte, bei denen Zivilisten zu Schaden kämen und rief zum Frieden auf. Israels Handeln gehe "über Selbstverteidigung hinaus".
    Als das israelische Konsulat in Guangzhou auf Weibo postete, dass eine chinesisch-israelische Frau von Hamas-Milizen entführt worden war, beschuldigten einige Nutzer das Konsulat, einen Keil zwischen China und die Palästinenser treiben zu wollen.
    China unterhält seit 1992 diplomatische Beziehungen zu Israel und brachte sich auch als Vermittler der Kriegsparteien ins Spiel. Tatsächlich ist China zu einem wichtigen Akteur im Nahen Osten geworden, vermittelte überraschenderweise erfolgreich zwischen Iran und Saudi-Arabien - obwohl China erst auf der Zielgeraden des Verhandlungsmarathons dabei war. China war eine der 120 Nationen, die am 27. Oktober bei den Vereinten Nationen für eine Resolution zu einem Waffenstillstand stimmten.

    China: Israel-Kritik fast immer USA-Kritik

    Israel und die USA stimmten damals dagegen, weil die Resolution die Hamas nicht erwähnte. Deutschland enthielt sich. Peking schickte außerdem seinen Sondergesandten für den Mittleren Osten, Zhai Jun, in die Region. Konkrete Verhandlungsergebnisse konnte Zhai bislang aber nicht vorlegen.
    Auffällig in vielen der antisemitischen Online-Posts: Israel-Kritik ist fast immer USA-Kritik. Juden und Israel werden in der Regel stark mit ihrer großen Schutzmacht Amerika assoziiert - Chinas großem Rivalen.

    Seit der Herrschaft von Mao Zedong unterstützt China die Palästinenser. 1964 erkannte Peking die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) offiziell an, 1988 Palästinas Souveränität, ein Jahr später wurden umfassende diplomatische Beziehungen aufgenommen. Während seines Staatsbesuchs 2022 in Saudi-Arabien drückte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping seinen Frust über die "historische Ungerechtigkeit" aus, welche die Palästinenser erlitten. Gleichzeitig bekräftigte Xi seine Unterstützung für die Errichtung eines Palästinenserstaates, der auf den Grenzen von 1967 basiere, mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Pikant: Im eigenen Land ist das Verhältnis zu Muslimen teils mehr als angespannt. Doch der Krieg in Nahost spielt Peking in die Karten, Vorwürfen gegen Menschenrechtsverstöße gegen die muslimische Minderheit der Uiguren in Xinjiang zu kontern.

    In einem am 14. Oktober veröffentlichten Artikel schreibt Luo Yuan, ein pensionierter Ex-Admiral der Volksbefreiungsarmee, Israel sei eine "Schachfigur", die im Nahen Osten platziert wurde, um amerikanische Interessen in der Region durchzusetzen. Judenhass fließt ein in einen strikt antiwestlichen Diskurs. Ein Diskurs, der von der chinesischen Staatsführung angestimmt wurde.

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