Interview
Bundestagspräsidentin bei "Lanz":Bas: Ordnungsrufe "werden als Trophäen benutzt"
von Michael C. Starke
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Die Sprache im Parlament ist rauer geworden, sagt Bärbel Bas (SPD) bei "Lanz". Auch ihre eigene Partei muss sie an die Spielregeln erinnern. Beim Thema Israel ringt sie um Haltung.
Sehen Sie hier die Sendung "Markus Lanz" vom 27. November 2024 in voller Länge.28.11.2024 | 45:54 min
Eine Biografie wie ihre hat in der heutigen Politik eher Seltenheitswert: Tochter eines Busfahrers, Mutter, Hausfrau, aufgewachsen mit fünf Geschwistern, Abschluss an der Hauptschule, Lehre als Schweißerin, dann Ausbildung als Bürohilfe in Duisburg, später Weiterbildung als Ökonomin für Personalmanagement. Es ist eine Geschichte des sozialen Aufstiegs.
Heute steht Bärbel Bas formal über dem Bundeskanzler - als Bundestagspräsidentin bekleidet die SPD-Politikerin seit 2021 das zweithöchste Amt im Staat, hinter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Bas: "Den Kanzler kontrollieren wir"
Auch Fußball hat Bas 30 Jahre lang aktiv gespielt, ihre Position: "angefangen als Rechtsaußen, später Libero. Ich habe dann wirklich alles weggeräumt", sagte die 56-Jährige am Mittwochabend bei "Markus Lanz", als einziger Gast der Sendung.
Mit der "Ausputzer"-Fußball-Metapher wollte Bas ihren heutigen Job aber nicht verbinden - im Gegenteil, ihre Rolle beschrieb Bas so: "Teamspielerin, aber man muss auch wie ein Bundestrainer aufpassen". Und schob lächelnd hinterher: "Den Kanzler kontrollieren wir ja - das weiß er manchmal nicht."
Kanzler Olaf Scholz und seine Bundesregierung selbst musste Bas wohl das eine oder andere Mal an die Aufgabe des Bundestages erinnern.
Bas: Bundestag kein Erfüllungsgehilfe für Regierung
So verschickte Bas im März 2023 auch einen entsprechenden "Blauen Brief" an die Ampel, weil den Abgeordneten zu wenig Zeit für die Prüfung von Gesetzesentwürfen und die Anhörung von Experten blieb.
In diesem Zusammenhang verwies die SPD-Politikerin auf das "Struck’sche Gesetz", benannt nach dem früheren SPD-Fraktionschef Peter Struck. Das besagt: Kein Gesetzesentwurf verlässt den Bundestag, wie er hereingekommen ist.
Übersetzen könnte man das auch so: Das Parlament ist nicht der verlängerte Arm der Regierung. Dazu Bas:
Der Bundestag hat ein neues Gesetz beschlossen, um die Qualität in Kitas zu verbessern. Die Länder sollen jeweils rund zwei Milliarden Euro erhalten, vor allem für mehr Personal.11.10.2024 | 0:23 min
Sorge um Debattenkultur
Mit Sorge blickte die Sozialdemokratin auf den heutigen Umgangston im Bundestag, dem sie seit 2009 angehört. Es sei wichtig, "darüber nachzudenken, wie wir Politik machen, wie wir debattieren, wie wir miteinander umgehen", mahnte Bas. Ihre Vorstellung von Debatten: respektvoll im Miteinander, aber in der Sache dürfe man sich auch heftig streiten.
Doch Ton und Sprache seien aggressiver geworden, bilanzierte die SPD-Politikerin. Persönliche Angriffe und Diffamierungen hätten zugenommen - auch Ordnungsrufe, die sie als Bundestagspräsidentin erteile, würden "als Trophäen im Internet benutzt werden".
Sie ergänzte: "Es führt nicht zu Verhaltensänderung, sondern sie [die Ordnungsrufe] werden benutzt, um die Institution oder auch die Präsidentin, die diese Institution anführt, auch zu diskreditieren."
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ermahnt Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Dieser hatte im Bundestag "dumme Fragen" des Plenums kritisiert. Bas findet das nicht lustig.05.06.2024 | 0:58 min
Bürger wenden sich von Debatten ab
Bas sah "eine Spirale" am Werk, "die eskaliert". Zudem erhalte sie Briefe von Bürgern, die sich von den Debatten abwenden würden, Tenor der Schreiben: "Das ist schlimmer als im Kindergarten."
Ihr Anliegen sei es dagegen, ergänzte Bas, dass im Bundestag "Argumente ausgetauscht werden und sichtbar wird, wo die Unterschiede zwischen den Parteien sind".
Im Bundestag wurde wenige Tage nach dem Jahrestag des 7. Oktobers den Opfern gedacht. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas sprach in ihrer Rede auch vom Leid auf beiden Seiten.10.10.2024 | 6:18 min
Sichtbar um eine Haltung rang die SPD-Politikerin, als es um den Krieg in Nahost infolge des Hamas-Terrorangriffs auf Israel ging.
Kürzlich hatte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Haftbefehle gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren Verteidigungsminister Galant sowie den Hamas-Militärchef Deif erlassen.
Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle erlassen – auch gegen Israels Ministerpräsidenten Netanjahu. Auch Deutschland wäre verpflichtet, diesen zu vollziehen.22.11.2024 | 2:12 min
Bas gegen "doppelte Standards"
Sollte Deutschland den Haftbefehl gegen Netanjahu vollstrecken - ihn also festnehmen? "Ich bin zwiegespalten", gab Bas zu. Israels Premier sei "Repräsentant eines demokratischen Staates, der permanent angegriffen" werde. Zudem müsse man berücksichtigen, wem der Haftbefehl politisch in die Karten spiele.
Bas' Antwort fiel dann eher in die Kategorie "zwischen den Zeilen" - mit Blick auf den Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen warnte sie vor doppelten Standards: "Wenn man den Gerichtshof anerkennt, kann ich nicht sagen: Für den einen gilt es und für den anderen nicht."
Quelle: ZDF
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