Israels Offensive: So brutal wird der Häuserkampf um Gaza

    Israels Offensive gegen Hamas:So brutal wird der Häuserkampf um Gaza

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
    |

    Israel steht vor einer massiven Bodenoffensive im Gazastreifen. Was bedeutet das konkret für die beteiligten Soldaten und Zivilisten? Ein Offizier der Bundeswehr gibt Einblicke.

    Die israelischen Streitkräfte (IDF) bereiten eine Bodenoffensive im Gazastreifen vor, um die Terrororganisation Hamas auszuschalten und Geiseln zu befreien. Das bedeutet unweigerlich: Häuserkampf um jeden Block und hohe Verluste unter Kämpfenden wie Zivilisten.
    Ein Offizier der "Spezialisierten Kräfte des Heeres EGB" der Bundeswehr berichtet ZDFheute, warum solche Operationen zu den schwierigsten Aufträgen gehören, die Soldaten erhalten können. Der Fallschirmjäger war bereits in hochriskanten Auslandseinsätzen, darunter die Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Krisengebieten in diesem Jahr. Als aktiver Soldat darf er nicht offen auftreten, im Netz ist er unter dem Alias "EinstEinAdler" aktiv, seine Identität ist der Redaktion bekannt. Hier seine Schilderungen:

    Gaza ist ein unübersichtlicher Beton-Dschungel

    "Für die ausführenden Soldatinnen und Soldaten bedeutet eine massive Bodenoffensive im Gazastreifen in erster Linie ein hochkomplexes und gefährliches Kampfgebiet. Ein Ballungszentrum wie Gaza-Stadt heißt: mehrstöckige Gebäude, verwinkelte Gassen und überall Zivilisten.
    Anders als im freien Feld oder im Wald ist der Kampf in Städten dreidimensional. Ich muss nicht nur frontal und meine Flanke sichern, ich muss immer auch nach oben und - mit den berüchtigten Tunnelnetzwerken der Hamas - nach unten denken."

    Gefahr, von eigenen Leuten unter Beschuss zu geraten

    "Auf dem Schlachtfeld die Übersicht zu behalten, ist eine Herausforderung. 'Blue on blue', also der irrtümliche Beschuss durch eigene Kräfte, ist eine enorme Gefahr. Selbst massiv wirkende Wände stoppen Kugeln nicht sicher, oder produzieren gefährliche Querschläger.
    Was man aus Filmen kennt: Soldaten rücken vor, überwacht von MGs und Scharfschützen, damit sie nicht aus dem Hinterhalt beschossen werden können - vergessen Sie sowas. In einer modernen Großstadt, mit all ihren Fenstern und Türen, ist das völlig unmöglich. Der Verteidiger hat unzählige Möglichkeiten, die Initiative zu behalten und aus dem Hinterhalt zu schießen. Das muss kein langer Feuerkampf sein. Zweimal kurz aus der Tiefe des Raumes geschossen und dann abhauen, bevor man im riesigen Fenstermeer lokalisiert wird."

    Es gibt keine Alternative zum verlustreichen Einsatz von Infanterie

    "Selbst wenn die israelischen Soldaten noch so gut ausgebildet sind, und wenn sie noch so taktisch vorgehen - im Hinterhalt bleiben immer Verwundete oder Gefallene liegen. Dazu kommt: Hamas wie Hisbollah sind veritable Gegner, wenn es um Panzerabwehrfähigkeiten geht. Sogar in einem Kampf- oder Schützenpanzer darf man sich also nie zu sicher fühlen.
    Der einzige Weg, wie man solche Verluste vermeiden könnte, sind abstandsfähige Waffen wie Artillerie und Luftschläge, also das Zerstören möglicher feindlicher Stellungen aus der Distanz. Aber damit kommen wir zum schlimmsten Aspekt: In Städten wohnen Menschen. Und Menschen sind Gewohnheitstiere, die selbst bei Krieg, Flut oder Feuer ihr Zuhause, ihren emotionalen Zufluchtsort, nicht verlassen wollen. Man kann zur Flucht auffordern, wie man will - es werden niemals alle gehen."

    Terrorgruppen, wie Hamas, ist sehr bewusst, wie sehr ihnen die Zivilbevölkerung als menschlicher Schutzschild einen Vorteil verschafft.

    "EinstEinAdler", Fallschirmjäger-Offizier

    "Es ist also ein Dilemma für Streitkräfte. Artillerie und Luftschläge retten eigene Soldaten, sind aber nicht geeignet, um den Feind endgültig zu zerschlagen und kosten irrsinnige zivile Kollateralschäden. Also bleibt oftmals nur der Einsatz von Infanterie, die Haus für Haus vorrückt. An einem hochintensiven und für die eingesetzten Soldaten verlustreichen Kampf führt also kein Weg vorbei."
    Orte im Gazastreifen

    ZDFheute Infografik

    Ein Klick für den Datenschutz
    Für die Darstellung von ZDFheute Infografiken nutzen wir die Software von Datawrapper. Erst wenn Sie hier klicken, werden die Grafiken nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Datawrapper übertragen. Über den Datenschutz von Datawrapper können Sie sich auf der Seite des Anbieters informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.

    Hamas hat in Gaza den Heimvorteil

    "In Gaza agiert die Hamas auf ihrem eigenen Territorium. Ihre Kämpfer kennen dort jeden Winkel und haben in dieser Umgebung trainiert. Die israelischen Soldaten haben kaum Zeit, sich auf einen Einsatz im Gazastreifen vorzubereiten.
    Schaut man sich vergleichbare urbane Operationen im Irak an, Falludschah 2004 oder Mosul 2016 bis 2017, dann kam es immer wieder dazu, dass Häuser und Stadtviertel mit hohem Aufwand und Blutzoll eingenommen wurden, nur damit Terroristen von Al-Kaida und IS nachts durch Tunnelsysteme wieder im Rücken der eigenen Kräfte auftauchten. Dadurch können Einheiten schnell von den eigenen Truppen abgeschnitten werden."
    "Dazu kommt nun der Auftrag, in diesem unübersichtlichen Gebiet Geiseln zu lokalisieren und zu retten und auch führende Köpfe der Hamas auszuschalten, die sich irgendwo verstecken. Neben dem Kämpfen müssen die Soldaten also auch kontinuierlich Informationen sammeln und weitergeben."

    Häuserkampf ist eine enorme psychische Belastung

    "Zusätzlich zur aktuell emotional aufgeladenen Situation für die israelischen Soldaten ist der Kampf in Gebäuden mental und körperlich extrem belastend. Freund und Feind durchmischen sich ständig; die Lage kann sich innerhalb von Sekunden ändern."

    Nahkampf bedeutet Emotionen, Emotionen zehren an den Nerven, Nerven führen zu Fehlern, Fehler führen zu Verlusten und Verwundungen - physisch wie psychisch.

    "EinstEinAdler", Fallschirmjäger-Offizier

    "Die Folgen für die Soldaten wie für die betroffene Zivilbevölkerung sind katastrophal. Für viele Veteranen bleiben die brutalen Erfahrungen des Häuserkampfes ein Leben lang präsent."

    Jubel über die Gewalt ist nicht angebracht

    "Man sieht also: eine "einfache" Bodenoffensive wird es nicht geben. Sich aus dem sicheren Deutschland zu wünschen, die IDF möge nach Gaza gehen und es Hamas 'mal richtig zeigen', ist naiv und zynisch. Es liegt nahe, dass nach den unvorstellbaren Anschlägen keine andere Option bleibt. Aber die Kosten müssen allen klar sein.
    Wer das betrachtet, als wäre es die "Sportschau" am Wochenende oder ein Film wie "Stirb Langsam", dem will ich sagen: Es ist kein Fußballspiel. Hier muss keiner über jeden Bombenabwurf jubeln. Besonders nicht aus dem warmen und gemütlichen Deutschland, wo wir alle, Gott sei Dank, wenig Ahnung haben, was Menschen als Konsequenz des sinnlosen Terrors ertragen müssen. Die Kriegsfreude und Rachsucht mancher meiner völlig unbeteiligten Mitbürger wie auch die Verklärung von Terrorismus und Extremismus machen mir als Soldat ehrlich Angst und Sorge."

    Nahost-Konflikt
    :Aktuelle Nachrichten zur Eskalation in Nahost

    Durch den Hamas-Überfall auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert - das israelische Militär reagiert mit Militäroperationen. Aktuelle News und Hintergründe im Liveblog.
    Menschen und Retter tragen den bedeckten Körper eines Gefangenen, der aus den Trümmern eines Hauses gezogen wurde, aufgenommen am 18.11.2024
    Liveblog

    Aktuelle Nachrichten zum Nahost-Konflikt