Nahost-Konflikt: Greift auch die Hisbollah Israel an?
FAQ
Drohender Krieg gegen Israel:Wie stark ist die libanesische Hisbollah?
von Nils Metzger
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Die radikale Schiiten-Miliz Hisbollah feuert Geschosse aus dem Libanon. Droht Israel auch im Norden ein Krieg? Hintergründe zur Terrororganisation und ihrem Unterstützer-Netzwerk.
Propagandabilder, die Stärke zeigen sollen: Kämpfer der libanesischen Terror-Miliz Hisbollah bei einer inszenierten Übung im Süden Libanons im Mai 2023.
Quelle: dpa
Auch an Israels nördlicher Grenze spitzt sich die Sicherheitslage zu. Am Samstagmorgen schossen Kämpfer der libanesischen Hisbollah Mörsergranaten auf Stellungen in den von Israel besetzten Schebaa-Farmen. Das israelische Militär reagierte mit Artillerie.
Kleinere Scharmützel in dieser umstrittenen Grenzregion gibt es häufiger. In den vergangenen Jahren eskalierten sie nie zu andauernden Gefechten zwischen Israel und der radikalen Schiiten-Miliz. Angesichts des Hamas-Angriffes und der laufenden Großoperation der israelischen Streitkräfte ist die Sorge, die Hisbollah könnte sich anschließen und einen Zweifrontenkrieg eröffnen.
Was ist die Hisbollah?
Die paramilitärische Gruppe entstand Anfang der 1980er Jahre während des libanesischen Bürgerkriegs. Inspiriert von der islamischen Revolution im Iran setzte sie die Interessen der damals oft benachteiligten libanesischen Schiiten mit höchster Brutalität durch. Israel und seine Verbündeten im Libanon waren das Hauptziel von Angriffen und Attentaten.
Nach Ende des Bürgerkriegs weigerte sie sich als einzige Fraktion, ihre Waffen abzugeben und baute in den Jahrzehnten danach ihre Position als Staat im Staat immer weiter aus. In den schiitischen Gebieten im Südlibanon oder den südlichen Vororten Beiruts dominiert sie das öffentliche Leben. Sie ist gleichermaßen politische Partei wie Terror-Miliz und ein wichtiges Bindeglied in der Allianz zwischen Iran und Hamas. In Deutschland ist die Hisbollah als Terrororganisation eingestuft, die EU etwa unterscheidet zwischen einem "militärischen" und einem "politischen Arm".
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Wie viele Kämpfer hat die Hisbollah?
Die genaue militärische Stärke der Hisbollah ist schwer einzuschätzen, ihr Militärapparat agiert weitgehend im Untergrund. Ab 2013 schickte die Miliz bis zu 5.000 Kämpfer ins benachbarte Syrien, um Diktator Baschar al-Assad zu stützen. Nach eigenen Angaben will sie über 100.000 Kämpfer verfügen, doch überprüfbar sind solche Propaganda-Zahlen nicht.
Es sind vermutlich mehrere Zehntausend Mitglieder, die die Hisbollah im Kriegsfall innerhalb kurzer Zeit mobilisieren könnte. Die militärische Ausbildung der meisten von ihnen ist zwar rudimentär, bei Gefechten auf eigenem Territorium konnten sie Israel in der Vergangenheit vereinzelt schon schmerzhafte Verluste zufügen. Wie auch die Hamas nahm die Hisbollah den Tod der eigenen Kämpfer und der eigenen Zivilbevölkerung häufig in Kauf.
"Hisbollah und Hamas verfolgen beide eine ähnliche asymmetrische militärische Strategie", sagt der Militäranalyst Fabian Hinz vom International Institute for Strategic Studies.
Die Waffenarsenale der Hamas seien über die Jahre immer wieder durch Israel dezimiert worde. Umgekehrt habe die Hisbollah Erfahrung im syrischen Bürgerkrieg sammeln können, so Hinz.
Woher kommen die Waffen der Hisbollah?
Ein Großteil der militärischen Ausstattung der Hisbollah stammt aus dem Iran. Das umfasst Klein-, Panzer- und Flugabwehrwaffen, vor allem aber zehntausende Raketen verschiedenster Bauart. Diese reichen bis weit nach Israel hinein.
"Hisbollah hat die Jahre der relativen Ruhe seit dem Ende des letzten Krieges im Jahr 2006 genutzt, um das eigene Raketenarsenal massiv auszubauen", betont Hinz. Israelische Quellen sprächen von über 100.000 Raketen. "Im Kriegsfall könnte man mehrere Tausend Raketen pro Tag auf Israel abfeuern", so Hinz. Mehr noch als der Hamas könne es Hisbollah damit gelingen, die israelischen Abfangsysteme zu überlasten.
Unklar ist, in welchem Umfang Iran Kampfdrohnen in den Libanon geliefert hat. "Wenn auch Raketen lange Zeit der eindeutige Schwerpunkt waren, so ist davon auszugehen, dass Hisbollah massive Anstrengungen unternommen hat, das eigene Drohnenarsenal auszubauen", sagt Hinz ZDFheute. Die Organisation gehörte zu den ersten nichtstaatlichen Akteuen, die sich Drohnen-Technologie in den frühen 2000ern zugewandt hätten.
Schraffiert eingezeichnet sind das Westjordanland, der Gazastreifen und die von Israel besetzten, völkerrechtlich mehrheitlich zu Syrien gehörenden Golanhöhen.
Quelle: ZDF
Die knapp 10.000 Soldaten umfassende UN-Beobachtermission Unifil kündigte zusätzliche Maßnahmen entlang der Grenze an, um den Abschuss von Raketen zu verhindern. Im Kriegsfall hätten diese UN-Truppen jedoch kein Mandat, um auf einer Seite einzugreifen.
Wie wahrscheinlich ist gerade ein Hisbollah-Kriegseintritt?
Noch wartet die Hisbollah ab; vor allem weil noch nicht klar ist, ob Israel eine Bodenoffensive im Gazastreifen starten wird. Die Hisbollah-Expertin Hanin Ghaddar vom Washington Institute for Near East Policy sieht bislang keinen Grund, warum die Hisbollah von sich aus in den Hamas-Konflikt eingreifen sollte. Anders als beim letzten großen Krieg 2006 habe sie gerade nicht die Garantie, dass Saudi-Arabien oder die Golfstaaten den Libanon anschließend wieder aufbauen würden, schreibt Ghaddar auf X (früher Twitter).
Für Ghaddar hänge es nun davon ab, wie wichtig Iran der Krieg zwischen Israel und Hamas ist, um die eigene politische Isolation und die Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien zu stoppen.
Im ZDFspezial ordnet Nahost-Experte Daniel Gerlach ein: „Die Hamas trifft Israel in einer Phase großer innerer Unsicherheit.“
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Auch Robert Chatterjee, stellvertretender Chefredakteur des Nahost-Fachmagazins zenith, rechnet nicht mit einem länger anhaltenden Hisbollah-Beschuss. Das 2022 ausgehandelte und von der Hisbollah still mitgetragene libanesisch-israelische Energieabkommen stünde im Kriegsfall zur Disposition.
"Die Nordgrenze hat Israel in den vergangenen Jahren eigentlich gut unter Beobachtung", sagt Chatterjee ZDFheute. Nach dem Fiasko im Süden würden die israelischen Behörden ihrer Einschätzung aber nicht mehr trauen - weshalb sie die Grenzorte vorsichtshalber evakuierten. "So konnte die Hisbollah mit geringstem Aufwand einen beträchtlichen Propaganda-Erfolg feiern und darum ging es ihr nun wohl auch in erster Linie."
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