Baerbock in Nahost: Was hat die UN-Enthaltung gebracht?
Baerbocks Reise nach Nahost:Unermüdliches Drehen am Zauberwürfel
von Daniel Pontzen, Tel Aviv
|
Außenministerin Baerbock wollte sich mit ihrer umstrittenen Enthaltung bei den UN Spielraum bei der Vermittlung verschaffen - nun stellt sich die Frage: Gibt es den überhaupt?
Wer zum ersten Mal den Zauberwürfel in der Hand hält, kennt das Problem. Das bunte Spielgerät kann einen leicht in die Verzweiflung treiben: Hat man einmal eine Farbe in Reihe gebracht, gerät sie gleich wieder durcheinander, sobald man die nächste angeht. So ähnlich kann man sich derzeit die Aufgabe von Annalena Baerbock vorstellen. Bloß dass es bei der Außenministerin nicht um ein Spiel geht, sondern um Leben und Tod, jede Stunde, jeden Tag.
Acht Gespräche in 33 Stunden
Als sie am späten Samstagabend in Tel Aviv den Rückflug nach Berlin antritt, endet bereits ihre dritte Nahost-Reise seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober. In rund 33 Stunden hat die Grünen-Politikerin acht Gespräche geführt, vier mit arabischen Vertreten, vier mit israelischen, darunter unmittelbar Betroffene des Terrors der Hamas. Und erneut wurde deutlich, wie viele Hindernisse auf einem Weg allein zu einer Eindämmung der akuten Lage bestehen - geschweige denn zu einer langfristigen Befriedung des Konflikts.
Die Entstehung des Nahost-Konflikts
Bis Anfang des 19. Jahrhunderts leben Muslime und Juden im Osmanischen Reich weitgehend friedlich zusammen. Doch in Europa werden die Juden ausgegrenzt und verfolgt ...
Quelle:
Baerbock war mit ihrer Enthaltung bei den Vereinten Nationen in New York Ende Oktober gewissermaßen in Vorleistung getreten: um vor allem ein Signal der Verständigung zu senden an jene gemäßigten arabischen Akteure, deren Mitwirken zwingend erforderlich ist, mit Blick sowohl auf die kurzfristigen Ziele - Geiselbefreiung und humanitäre Hilfe für Gaza - als auch, erst recht, auf das Entwerfen eines politischen Horizonts für die Zukunft.
Arabische Welt reagiert wohlwollend auf deutsche UN-Enthaltung
Wie am Rande der Gespräche zu erfahren war, wurde die deutsche Enthaltung von zentralen Akteuren der arabischen Welt (sie traf sich mit ihren Amtskollegen aus Katar, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten) durchaus wohlwollend zur Kenntnis genommen. Die erhoffte Gegenleistung, ein Entgegenkommen, lässt sich allerdings allenfalls in Kleinstschritten erkennen. Was damit zusammenhängt, dass die arabischen Akteure selbst sehr begrenzten Spielraum haben.
Viele hatten sich jüngst in ihrem Verhältnis zu Israel auf einen Pfad der Entspannung begeben. Und haben wenig Interesse daran, dies rückgängig zu machen - und noch weniger an einer Ausbreitung der Gewalt in ihrer Region. Zugleich können sie das so offen zumeist nicht kommunizieren, weil es in ihren Ländern traditionell starke (und aktuell dramatisch wachsende) Ablehnung gegenüber Israel gibt, nicht selten Hass. Das ist das Dilemma aller Akteure derzeit: Dreht man - verbal - zu stark in die eine Richtung, muss man an anderer Stelle oft einen Preis zahlen.
"Zukunft der Palästinenser muss besser sein"
"Die Zukunft der Palästinenserinnen und Palästinenser muss besser sein als ihre Gegenwart und Vergangenheit", sagte Baerbock bei ihrem Besuch im Westjordanland, dem zweifellos heikelsten Termin auf ihrer Reise nach Gesprächen in Abu Dhabi und Riad und vor abschließenden Gesprächen in Tel Aviv. Heikel nicht nur wegen der Umstände - die gepanzerte Wagenkolonne sollte aus Sicherheitsgründen dringend vor Sonnenuntergang zurück am Grenzposten sein - sondern auch aus diplomatischen Gründen.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat auf ihrer Nahost-Reise weitere 38 Millionen Euro für die Palästinensergebiete zugesagt. Insgesamt betrügen die humanitären Leistungen Deutschlands für die palästinensischen Gebiete im Jahr 2023 damit 160 Millionen Euro, sagte die Grünen-Politikerin am Samstag bei ihrem Besuch in Ramallah im Westjordanland, wo die Palästinenserbehörde ihren Sitz hat.
Von den 38 Millionen Euro zusätzlicher Hilfe sollen 25 Millionen an das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA, zehn Millionen an das Welternährungsprogramm und knapp drei Millionen an das UN-Nothilfebüro (OCHA) gehen.
Quelle: AFP
Die in vielen Fällen tödliche Gewalt anzusprechen, die der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland vor und nach dem 7. Oktober durch israelische Siedler widerfuhr, ist schon in "gewöhnlichen" Zeiten ein diplomatischer Drahtseilakt für deutsche Regierungsvertreter. In der aktuellen Situation, da die Staatsräson allgegenwärtiges Credo ist, umso mehr. Baerbock tat es dennoch, deutlich sogar: Israel habe hier eine zentrale Verantwortung für die Zivilbevölkerung, "denn die Siedlergewalt, sie schadet auch der Sicherheit Israels".
Zugleich betonte sie bei jeder Gelegenheit, jedem Statement, dass die Schuld an der aktuellen Eskalation einzig die Hamas trage. Am Samstagabend traf Baerbock mit Angehörigen von Opfern des 7. Oktober zusammen. Sich das Leid der Menschen - auf beiden Seiten - immer wieder schildern zu lassen, treibe sie an, immer weiter zu kämpfen für Fortschritte in dem Konflikt, kurz- wie langfristig. Nichts zu tun, sei keine Option. Sie spürt eine historische Verantwortung, das wird bei all ihren Begegnungen deutlich - so klein die erhofften Fortschritte aktuell auch sein mögen.
Man könnte diese Logik auch auf den Zauberwürfel übertragen. Ob man das komplizierte Ziel irgendwann erreicht, ist unklar - sicher ist nur: Wer es nicht probiert, wird es in keinem Fall schaffen. Beim Würfel allerdings, das ist der Unterschied, gibt es definitiv eine Lösung. Im Nahen Osten gibt es eine solche Gewissheit nicht - aktuell, so scheint es, weniger denn je.
Daniel Pontzen ist Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio und hat Außenministerin Baerbock auf ihrer Nahost-Reise begleitet.
Durch den Hamas-Überfall auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert - das israelische Militär reagiert mit Militäroperationen. Aktuelle News und Hintergründe im Liveblog.