EM-Bilanz: Furiose Fans, platte Stars, nervige Flitzer

    Bemerkenswertes zur EM 2024:Furiose Fans, platte Stars, nervige Flitzer

    von Frank Hellmann
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    Die stimmungsvolle EM 2024 in Deutschland ist Geschichte. Was bleibt im Gedächtnis haften? Eine Bilanz zum Turnier.

    Lamine Yamal, Harry Kane, Jamal Musiala
    Tore, Tränen, Triumph. Das war die Heim-Europameisterschaft 2024. Die besten Bilder, Momente, Emotionen.15.07.2024 | 34:57 min
    So schnell kann es gehen. Ein Turnier verfliegt oft wie im Rausch, weil es so wenig Zeit zum Luftholen lässt. Die EM 2024 in Deutschland verlief nicht perfekt, gewiss nicht, aber sie hat neue, überraschende Akzente gesetzt. Positiv wie negativ. Ein Streifzug.

    Fröhliche Fans

    Überall haben sie gesungen, getanzt und gefeiert. Eigentlich jede EM-Begegnung wuchs sich zur Fußball-Party beider Fanlager aus - und jede Stadt hat sich mitreißen lassen. Zuerst steckte die "Tartan Army" aus Schottland mit ihrer Zahl und ihrer Begeisterung ganz München an, danach strömten 15.000 Slowenen nach Stuttgart, 30.000 Rumänen nach Frankfurt oder 40.000 Polen nach Berlin.
    Schottische Fans auf dem Münchner Marienplatz.
    Mit dem Eröffnungsspiel gegen Schottland startet am Freitag die Fußball-EM im eigenen Land. Überall in Deutschland treffen Teams und Fans aus ganz Europa auf regionale Traditionen.13.06.2024 | 2:13 min
    Im Herzen von Europa hat diese EM die Massen bewegt und begeistert. Weil die Mehrzahl fröhlich und friedlich blieb und auch in der Niederlage noch Größe bewies, entstanden bunte Bilder und berührende Begegnungen. Überdies: Die Leidenschaft auf den Rängen hat über so manche Länge auf dem Rasen hinweggeholfen.

    Platte Stars

    Wenn Trainer, Mediziner oder Berater unter sich waren, kam das Kardinalproblem zur Sprache: Eine Vielzahl Spieler schien nach einer kräftezehrenden Saison bereits mental gar nicht mehr in der Lage, für diese EM ans Limit zu gehen. Nach dem mit Real Madrid gewonnenen Champions-League-Finale gestand Jude Bellingham "komplett tot" zu sein.
    Im Umfeld des belgischen, französischen und englischen Teams mit den meisten Akteuren aus Europas Topvereinen häuften sich die Beschwerden über die Belastung - nur wollte das kaum jemand sagen, weil es als billige Ausrede für blutleere Darbietungen gegolten hätte.
    Kylian Mbappé brach sich früh die Nase, Kevin De Bruyne blieb vieles schuldig, Granit Xhaka riss sich spät den Muskel - und auch an Cristiano Ronaldo nagt der Zahn der Zeit. Nein, diese EM war nicht für die Superstars gemacht.

    Politische Botschaften

    Der sportpolitische Ballast war insbesondere nach der WM 2022 in Katar hierzulande riesengroß. Insofern große Erleichterung, dass dieses Turnier phasenweise fast unpolitisch ablief. Doch dann spielte die Türkei gegen Österreich, jubelte der Doppeltorschütze Merih Demiral mit dem "Wolfsgruß", zürnte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser über rechtsextreme Symbolik, obwohl das Zeichen in Deutschland (noch) nicht verboten ist - und fertig war eine große Belastung insbesondere für die deutsch-türkisch Beziehung.
    Wolfsgruß
    Für das türkische Team ist die EM vorbei. Es bleibt jedoch nicht nur das Sportliche in Erinnerung. Der sogenannte Wolfsgruß hat für viele Diskussionen auf und neben dem Platz gesorgt.08.07.2024 | 1:35 min
    Prompt reiste der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im Beisein des ihm treu ergebenen deutschen Weltmeisters Mesut Özil um Viertelfinale nach Berlin, wo auf den Tribünen demonstrativ eben dieser Fingerzeig auftauchte. Dass das türkische Team sich an jenem Tag verabschiedete, ersparte dem Turnier unschöne Kontroversen.

    Marode Bahn

    Wie hatten es die beiden EURO-Geschäftsführer zuvor formuliert? "Die Bahn ist sich der Thematik bewusst, dass alle sehr, sehr genau hinschauen" (Markus Stenger). "Es wäre ja ein unglaublicher Imageschaden, wenn das nicht klappt" (Andreas Mex Schär). Einige Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Unpünktliche Züge, überfüllte Straßenbahnen, schlechte Kommunikation sorgten nicht immer, aber zu oft für Verdruss.

    Ausländische Gäste berichten
    :So blickt Europa auf die EM in Deutschland

    Die Bahn? Zu spät. Die Straßen? Voller Baustellen. Die EM in Deutschland hat im Ausland einige Klischees unterstrichen. Bei vielen Gästen überwiegen aber die positiven Eindrücke.
    von Claudio Palmieri
    Eine große Menge Menschen mit Fahnen beim Public Viewing in Berlin zum Spiel Deutschland gegen Spanien bei der EM 2024.
    Nach dem chaotischen Abtransport aus der Arena in Gelsenkirchen konstatierte die "New York Times": "Euro 2024 und deutsche Effizienz - vergessen Sie alles, was Sie zu wissen glaubten." Bahnsprecherin Anja Bröker musste einräumen: "Wir sind in der Tat nicht ganz auf Höhe gewesen, unsere Verkehre bei der Europameisterschaft fuhren nicht rund." Plötzlich soll das Kardinalproblem der deutschen Verkehrsinfrastruktur angegangen werden. Warum erst jetzt?

    Störende Flitzer

    Martin Kallen hat für die UEFA schon viele Wettbewerbe organisiert, und insgesamt ist es aus Sicht des Schweizer auch in Deutschland "gut abgelaufen". Aber eines hat im nicht gefallen: die vielen Flitzer, die bereits beim ersten Training der Portugiesen ihren Superstar Ronaldo umlagerten.
    "Sehr nervig", fand Kallen die vielen aufs Spielfeld stürmende Störenfriede. Die Fernsehkameras zeigen die Flitzer nicht, weil die einen Botschaften gegen Geld platzieren wollen. Den anderen geht es um ein Selfie mit ihrem Idol, was einfach nur töricht ist.
    Spaniens Spieler jubeln zum Eigentor durch Italiens Riccardo Calafiori.
    Abgefälscht, erzwungen oder Slapstick: Die bislang zehn Eigentore bei der Fußball-EM 2024.07.07.2024 | 7:14 min

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