Niveau bei der EM: Sind die Spieler einfach überlastet?
Stabilität als Mittel der Wahl:Niveau bei der EM: Spieler überlastet?
von Tim-Julian Schneider
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Können Spieler am Ende einer Saison bei einem großen Turnier überhaupt noch Top-Leistungen abrufen? "Ja", sagt Per Mertesacker. Irgendwann sei ein gesundes Maß aber überschritten.
Superstar Kylian Mbappé könnte während der EM sein Leistungsvermögen nicht abrufen.
Quelle: AP/Ebrahim Noroozi
Bei der Fußball-EM in Deutschland kommen die Topstars aller Nationen zu einem Turnier zusammen. Spieler, die über das ganze Jahr begeistern und von ausgefuchsten Taktikern auf der Trainerbank über Jahre geschult wurden. Doch wer von dieser EM in jedem Spiel ein fußballerisches Offensivspektakel erwartet hatte, wurde bisher in den meisten Fällen enttäuscht.
Frankreich und England setzen auf Stabilität
Bis auf einzelne Ausreißer wie das deutsche Viertelfinale gegen Spanien wurde vor allem bis zum Halbfinale auf defensive Stabilität gesetzt. Viele Partien hätte man im Alltag der Ligen als "schwere Kost" verbucht, bei der EM lebten sie zumindest von ihrer Spannung.
Teams wie England und Frankreich sind mit Weltklasse-Spielern gespickt, mussten sich aber mit Hängen und Würgen ins Halbfinale kämpfen. Frankreich hatte bis zum Semifinale gegen Spanien nicht einmal ein eigenes Tor aus dem Spiel heraus erzielt. Erst dann schienen die Mannschaften aufgewacht und entfachten auch mehr Offensivpower, England schaffte es - durch eine deutliche Leistungssteigerung - sogar bis ins Finale.
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Funktionär Lutz Pfannenstiel sieht die Spieler aufgrund der Anzahl der Spiele einfach an ihrer Belastungsgrenze. "Es reicht. Die Spieler sind am Limit", sagte der Ex-Torwart der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und ergänzte: "Was das bedeutet, erleben wir bei der EM. Denn dieses Turnier ist kein Spektakel, im Mittelpunkt steht für viele Mannschaften das nüchterne Ergebnis.
Weltmeister Mertesacker sieht "gutes Niveau" bei EM
Weltmeister und ZDF-Experte Per Mertesacker sieht es insgesamt nicht ganz so kritisch. Die EM habe "kein Weltklasse-Niveau, aber ein gutes Niveau", so Mertesacker. Am meisten imponiert hätten ihm vermeintlich kleine Mannschaften, die mit offenem Visier gespielt hätten, wie Georgien oder Rumänien. Die "haben mit offensivem Fußball begeistert", sagt der ZDF-Experte und es freue ihn, wenn kleinere Nationen mutig nach vorne spielen.
"Aber es ist schon richtig, dass die Mannschaften wie England und Frankreich, die schon jahrelang etabliert sind, an ihrem Spielstil festgehalten haben." Dieser sei auf defensive Stabilität ausgerichtet gewesen, während man sich offensiv auf die individuelle Klasse verließe.
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Mertesacker: Auch am Ende der Saison Top-Leistung möglich
Einen ganz eigenen Vorschlag hat Spaniens Final-Coach Luis de la Fuente eingebracht. Da die Spieler durch die Anzahl der Matches extrem belastet seien, sollte man bei großen Turnieren zumindest bis zum Halbfinale auf eine Verlängerung verzichten und direkt ins Elfmeterschießen gehen. "Das würde auch der Show helfen, denn die Spieler wären viel frischer und würden die späteren Runden in einem frischeren Zustand absolvieren", sagte er.
Dass die Spieler am Ende einer langen Saison einfach über ihrem Limit sind, will Mertesacker aber nicht als Ausrede gelten lassen. "Viele Mannschaften sind international das ganze Jahr auf Top-Niveau unterwegs und von denen wird erwartet, dass sie auch am Ende der Saison absolute Top-Leistung abrufen", so Mertesacker.
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Auch die DFB-Elf hätte vor Turnieren viele Spieler gehabt, die lange international vertreten waren. "Trotzdem kannst du dich im Verbund mit dem Staff noch einmal zu einer Top-Leistung motivieren", sagt der ZDF-Experte.
Immer mehr Spiele ein Problem?
Dennoch müsse man aufpassen, dass das Rad nicht überdreht wird. Der Schweizer Nationalspieler Granit Xhaka habe 65 Spiele gemacht, "und alle auf hohem Niveau", so Mertesacker.
"Der braucht jetzt auf jeden Fall vier, fünf Wochen Pause." Die Verbände wie die FIFA und die UEFA würden zwar versuchen, durch die Aufblähung der Klub-WM und der Champions League noch mehr rauszuholen, aber Mertesacker mahnt:
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