"Wolfsgruß"-Debatte: Erdogan reist zum EM-Spiel nach Berlin

    Debatte um "Wolfsgruß":Erdogan reist zum EM-Spiel nach Berlin

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    Der "Wolfsgruß" des türkischen Spielers Demiral bei der Fußball-EM schlägt weiter Wellen: Der türkische Botschafter muss ins Auswärtige Amt, Präsident Erdogan reist nach Berlin.

    Italien, Bari: Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei
    Der türkische Präsident fliegt kurzfristig zum Spiel seiner Türken gegen die Niederlande.
    Quelle: Michael Kappeler/dpa

    Nach der scharfen Kritik am "Wolfsgruß"-Jubel des türkischen Fußball-Nationalspielers Merih Demiral wird das EM-Viertelfinale in Berlin zur politischen Bühne. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fliegt kurzfristig in die Hauptstadt zum Spiel am Samstag gegen die Niederlande. Er sagte dafür seine geplante Reise nach Aserbaidschan ab, wie die Deutsche Presse-Agentur aus informierten Kreisen erfuhr. Berichten zufolge ist dies auch eine Reaktion auf die Debatte in Deutschland.

    Türkei und Deutschland bestellen jeweils Botschafter ein

    Beide Nationen bestellten in der Affäre den jeweiligen Botschafter des anderen Landes ein. "Wir haben den Vorfall heute mit dem türkischen Botschafter in Berlin thematisiert", sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts am Donnerstag.

    Die Einbestellung des türkischen Botschafters hat heute Vormittag stattgefunden.

    Sprecherin Auswärtiges Amt

    Die Einbestellung eines Botschafters gilt als scharfes diplomatisches Mittel. Am Mittwoch hatte bereits die Türkei den deutschen Botschafter ins Büro zitiert. Vorausgegangen waren deutliche Reaktionen aus der Politik beider Länder.
    In türkischen Medien hieß es, Erdogan wolle mit seinem Besuch der türkischen Mannschaft den Rücken stärken. Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Ali Ertan Toprak, forderte die Bundesregierung beim Redaktionsnetzwerk Deutschland auf, Erdogan "nicht den roten Teppich" auszurollen.

    "Wolfsgruß": Scharfe Kritik und UEFA-Untersuchung

    Der türkische Nationalspieler Merih Demiral hatte sein zweites Tor beim Sieg im Achtelfinale gegen Österreich am Dienstag in Leipzig mit der Geste gefeiert, die einer rechtsextremistischen Bewegung zugeordnet wird. Unter anderem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kritisierte dies scharf. Sie hatte etwa gesagt: "Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen." Daraufhin hatte die Türkei am Mittwoch den deutschen Botschafter einbestellt.
    Demiral hatte am Dienstag beim 2:1 im Achtelfinale gegen Österreich nach seinem zweiten Tor in Leipzig den sogenannten Wolfsgruß gezeigt.
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    Der 26 Jahre alte Demiral hatte mit beiden Händen das Zeichen und Symbol der "Grauen Wölfe" geformt. Als "Graue Wölfe" werden die Anhänger der rechtsextremistischen "Ülkücü-Bewegung" bezeichnet, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. In der Türkei ist die ultranationalistische MHP ihre politische Vertretung und Bündnispartnerin der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan.
    Die Europäische Fußball-Union UEFA leitete ein Untersuchungsverfahren gegen Demiral ein. Bundesinnenministerin Faeser hatte unter anderem gesagt: "Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen."
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    Türkisches Außenministerium verteidigt Demiral

    Aus seinem Heimatland erhielt Demiral dagegen auch Rückendeckung. Der Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, bezeichnete die Einleitung eines Verfahrens der UEFA gegen den Spieler als "Provokation". Der Schritt sei "äußerst voreingenommen und falsch". Die UEFA springe damit auf "den Zug des Übels" derer auf, "die den Türken und der Türkei offensichtlich feindlich gesinnt sind".
    Das türkische Außenministerium bezeichnete die Untersuchung als inakzeptabel. Nicht jede Person, die das Zeichen der Grauen Wölfe zeige, könne als rechtsextremistisch bezeichnet werden, hieß es. Der "Wolfsgruß" sei in Deutschland zudem nicht verboten und die Reaktionen der deutschen Behörden "ausländerfeindlich".
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    Kritik in den sozialen Medien

    Der Torjubel erhielt aber nicht nur Zuspruch. So kritisierten Nutzer in den sozialen Medien, dass Demiral den "Wolfsgruß" ausgerechnet am Jahrestag des Sivas-Massakers zeigte. Der prominente Exiljournalist Can Dündar etwa schrieb auf X, Demiral habe mit seiner Aktion die Freude über den 2:1-Sieg gegen Österreich zunichte gemacht.
    Vor 30 Jahren hatte ein von religiösen Extremisten aufgehetzter islamistischer Mob ein Hotel im Stadtzentrum von Sivas in Brand gesteckt, in dem sich alevitische Schriftsteller, Sänger und Intellektuelle aufhielten. In den Flammen kamen 37 Menschen ums Leben, die meisten Opfer waren Aleviten - eine religiöse Minderheit in der Türkei.

    Das Alevitentum ist ein Glaube, der seinen Ursprung in Anatolien hat und sich von den traditionellen monotheistischen Religionen unterscheidet. Es handelt sich um einen pantheistischen Glauben, der das Göttliche in allem sieht und den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Im Alevitentum geht es darum, "ein guter und vollkommener Mensch" zu sein.

    Etwa 95 Prozent aller Aleviten stammen aus der Türkei, wo sie rund 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen und nach den sunnitischen Muslimen die zweitgrößte Religionsgemeinschaft bilden. Trotzdem ist das Alevitentum in der Türkei bis heute nicht als eigenständige Religion anerkannt.

    In Deutschland leben zwischen 500.000 und 800.000 Menschen mit alevitischen Wurzeln, wobei die genaue Zahl schwer zu bestimmen ist. Die alevitische Gemeinde in Deutschland ist jedoch als rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaft etabliert.

    Quelle: Bund der alevitischen Jugendlichen in Deutschland e.V.

    Quelle: dpa, AFP, sid

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