Gazastreifen: Israel vor "ganz fürchterlichem Zielkonflikt"
Interview
Experte zu Israels Offensive:Die Hamas zerschlagen - aber was kommt dann?
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Israel will mit einer Bodenoffensive im Gazastreifen die islamistische Hamas zerschlagen. Wie es danach weitergehen soll, sei noch völlig unklar, meint Experte Guido Steinberg.
"Israel will die Hamas zerschlagen", erklärt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Aber "je intensiver die Kampfhandlungen sind, desto schlechter sind die Chancen für die Geiseln".30.10.2023 | 7:00 min
Das israelische Militär stößt mit Bodentruppen im Gazastreifen vor. Ziel der Regierung ist es, die dort herrschende islamistische Hamas vollständig zu zerschlagen. Gleichzeitig sollen aber auch die weit über 200 Geiseln, die sich noch immer in der Gewalt der Terroristen befinden, befreit werden.
Im ZDF Morgenmagazin sprach Nahost-Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik über die sich widersprechenden Ziele. Sowohl bei der weiteren Entwicklung des Konflikts als auch einem langfristigen Konzept für die Region sieht er viele Unsicherheiten.
Sehen Sie das gesamte Gespräch oben im Video oder lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Guido Steinberg über ...
... die Abwägung zwischen Bodenoffensive und Geiselbefreiung
"Es ist ein ganz fürchterlicher Zielkonflikt", sagt Steinberg. Einerseits will Israel die Hamas zerschlagen, andererseits die Geiseln befreien. "So, wie es im Moment aussieht, hat sich die israelische Regierung für die militärische Variante entschieden."
Steinberg konstatiert: "Vielleicht kann man noch Hoffnung haben für die Kinder, die Frauen und die Alten. Bei den Soldaten (Männern und Frauen) bin ich mittlerweile sehr, sehr skeptisch."
... das Ziel Israels, die Hamas "vollständig" zu zerschlagen
Die Hamas als militante Organisation habe rund fünfzehn- bis zwanzigtausend Mann, so Steinberg. "Natürlich kann man die zerschlagen, aber das ist eine sehr, sehr schwierige Aufgabe in städtischem Terrain mit über zwei Millionen Bewohnern. Es ist möglich, aber schwierig." Er gehe davon aus, dass die Offensive "sicherlich Monate" dauern werde.
Die Hamas sei darüber hinaus aber auch eine soziale Bewegung - "und die werden die Israelis nicht zerschlagen können". Steinberg meint:
... eine mögliche Ausweitung des Nahost-Konflikts
Die Gefahr einer Ausweitung des Konflikts sei "ungeheuer groß", meint Steinberg.
Die Angriffe aus dem Libanon und zum Teil aus Syrien würden die Israelis aber provozieren. Es gebe daher in der israelischen Politik Stimmen, "die schon in den letzten Wochen einen größeren Schlag gegen die Hisbollah gefordert haben". Hinzu komme die Gefahr, dass künftig jemand ein falsches Ziel treffen könnte - etwa einen hochrangigen Hisbollah-Kommandeur oder umgekehrt einen israelischen Kindergarten.
... ein langfristiges politisches Konzept für den Gazastreifen
"Das ist noch vollkommen ungeklärt", so Steinberg. Die USA hätten Israel zuletzt gemahnt und auf eigene Fehler im Irak und Afghanistan verwiesen. An einem langfristigen Konzept für die Region werde laut Steinberg "möglicherweise jetzt in Israel gearbeitet, aber es liegt meines Erachtens noch kein solches Konzept vor."
Wenn Israel seine Ziel erreiche, müsse es den Gazastreifen "zumindest für kurze Zeit erneut besetzen", so Steinberg. "Und dann müssen sie nach Partnern suchen, die vielleicht in der Lage sind, dort Polizeikräfte hinzuschicken, die Verwaltung zu übernehmen. Bisher gibt es einen solchen Akteur nicht."
... eine Zwei-Staaten-Lösung
Steinberg sagt klar: "Ich bin der Meinung, dass es für eine solche Lösung seit 15, vielleicht sogar seit 18 Jahren, keine mentale Grundlage mehr bei beiden Völkern gibt, aber auch keine territoriale Grundlage." Trotzdem solle man diese nicht vollständig abschreiben.
"An einer politischen Regelung geht kein Weg vorbei, wenn Israel verhindern will, dass es immer wieder - in vielleicht kürzeren Abständen - zu solchen Auseinandersetzungen kommt", so Steinberg.
Durch den Hamas-Überfall auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert - das israelische Militär reagiert mit Militäroperationen. Aktuelle News und Hintergründe im Liveblog.