Analyse
AfD-Erfolge schocken Brüssel:Rückenwind für Rechtspopulisten in der EU
von Julia Rech und Ulf Röller, Brüssel
Landtagswahlen interessieren Brüssel normalerweise nicht. Aber die Ergebnisse der Wahlen in Sachsen und Thüringen setzten Schockwellen in der europäischen Hauptstadt frei.
Die Wahlen in Thüringen und Sachsen sorgen auch in Brüssel für Aufregung.
Quelle: dpa
Die Erfolge der
AfD bei den Landtagswahlen in
Thüringen und
Sachsen weckten in Europa historische Ängste. Die starken Ergebnisse für das
Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) stehen für den wachsenden Zweifel an der Ukraine-Unterstützung. Nach den Wahlen in den beiden ostdeutschen Ländern sorgt sich Brüssel um die Stabilität des wichtigsten EU-Landes.
Sorge vor den europaweiten Folgen der Wahl
Ein Blick in die internationale Presse verheißt nichts Gutes. Die "Financial Times" sieht eine historische Linie überschritten. "Politico" sorgt sich um die Stabilität Deutschlands. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der Europa schon viele Probleme hat: der
Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, die schwächelnde Wirtschaft, die unkontrollierte Migration, der Rechtsruck im EU-Parlament. Es bräuchte ein starkes Deutschland, das der
Europäischen Union Stabilität verleiht. Stattdessen droht die Krise auf Europa auszustrahlen.
In Thüringen ist die Bildung einer neuen Landesregierung völlig offen. Wird die CDU ein Bündnis mit dem BSW wagen? Zur abgewählten Linken gibt es bekanntlich eine "Brandmauer" - was wäre beim BSW anders?02.09.2024 | 3:03 min
Beispiel Migration
Nach jahrelangen Verhandlungen gelang es der EU am Ende der Legislaturperiode, einen Migrationspakt zu verabschieden. Der Kompromiss war eine große Kraftanstrengung. In der EU-Kommission weisen sie darauf hin, dass die Umsetzung zwei Jahre dauern werde. Spätestens dann sollen die EU-Bürger sehen: Europa kontrolliert besser, schiebt schneller ab, lässt weniger Migranten rein. Aber zwei Jahre sind in diesen Tagen eine lange Zeit.
Die Kommission befürchtet, von den politischen Ereignissen überholt zu werden. Die AfD-Erfolge dürften den Druck auf die Ampel-Koalition, aber auch die Union erhöhen. Das zeigte sich schon beim Messerangriff von Solingen. Die Forderung des CDU-Vorsitzenden
Friedrich Merz, notfalls eine "nationale Notlage" auszurufen, um Flüchtlinge direkt an der Grenze zurückweisen zu können, verstößt für viele in Brüssel gegen geltendes EU-Recht. Aber auch andere Länder in der EU denken darüber nach. Streit ist unvermeidbar.
Weitere Migrationsabkommen mit Despoten?
Die EU-Kommission muss liefern. Und zwar bald. Wahrscheinlich wird Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen noch viele weitere Despoten besuchen, um mit ihnen Migrationsabkommen zu schließen. Tunesien oder Ägypten waren wohl erst der Anfang. Ein Abgeordneter erwartet jedenfalls "mehr Fotos mit Diktatoren" mit der Kommissionspräsidentin.
Wie geht es nun weiter nach der Landtagswahl in Sachsen?02.09.2024 | 3:30 min
Beispiel Ukraine-Hilfe
In Dresden und Erfurt wird zwar nicht über Weltpolitik entschieden, aber die Wahlen verstärken einen Trend. Noch sagt das niemand so laut, aber die Bereitschaft, Waffen an die Ukraine zu liefern, schwächelt. Die Erfolge des BSW in Sachsen und Thüringen passen dazu.
Es gibt mehr Zweifler in der EU als die wunderbaren Gipfel-Bilder mit Präsident
Wolodymyr Selenskyj vermuten lassen. Gerade die Ost-Europäer blicken mit Sorge auf die Entwicklungen in Deutschland. Die Haushaltsplanungen der Ampel sehen für die nächsten Jahre weniger Mittel für die Ukraine vor. Auch andere EU-Mitglieder zögern, weisen auf ihre kritische Finanzlage hin.
Beim EU-Außenministertreffen zur Ukraine-Unterstützung ist der deutsche Haushaltsstreit Thema. Außenministerin Baerbock kündigte weitere Hilfen für die Ukraine an.29.08.2024 | 1:36 min
Ein osteuropäischer Außenminister bringt es auf den Punkt: Das Versprechen der EU verändere sich, es heiße nicht mehr: "Wir helfen der Ukraine, so lange wie nötig, sondern so lange wie wir können."
Beispiel Rechtsruck
Beruhigende Stimmen gibt es wenige in Brüssel. Selbst die Rechtspopulisten halten sich von der AfD fern. Auch in Europa will keiner mit ihnen zusammenarbeiten. Weder die Französin Marine Le Pen, noch Ungarns Regierungschef Viktor Orban, noch Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.
85 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs feiern Rechtsextreme und Populisten in Sachsen und Thüringen Wahlerfolge. Jetzt ist die Demokratie gefragt.
Bettina Schausten, ZDF-Chefredakteurin
Aber die Wahlen in Thüringen und Sachsen zeigen ihnen, dass der Zeitgeist rechts tickt. Sie sehen eine andere Zeitenwende kommen - eine, die ihnen die Macht zutreibt und ein Europa bauen lässt, das sich abschottet und die Ukraine in Friedensverhandlungen zwingt. Für die Rechtspopulisten Europas sind die Ergebnisse in Erfurt und in Dresden ein Zeichen, dass sie Rückenwind haben. Wie sagte es ein Abgeordneter: Die Zeitenwende hat viele Gesichter. Europa geht harten Zeiten entgegen.