Europa-Gipfel in Granada: Speed-Dating ohne Beschlüsse

    Europa-Gipfel in Granada:Politisches Speed-Dating ohne Beschlüsse

    SGS Klaus Brodbeck
    von Klaus Brodbeck
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    Treffen von Armenien und Aserbaidschan? Geplatzt. Beschlüsse? Fehlanzeige. Immerhin: Selenskyj nimmt ein Versprechen mit nach Hause. Ein Gipfel mit überschaubaren Ergebnissen.

    Lehre Nummer eins: Die Deutschen können in Europa ziemlich breit auftreten, es bringt sie nur nicht unbedingt schneller zum Ziel. Weil die Flügelspannweite der Kanzler-Fliegers das zulässige Höchstmaß des Flughafens Granada deutlich überschreitet, muss Olaf Scholz die letzten 136 Kilometer zum Doppelgipfel auf der Straße zurücklegen. Landung in Malaga, dann Vollgas Richtung Alhambra. Scholz Ankunft verspätet sich trotzdem. Deutschlandtempo?

    Keine Beschlüsse in Granada vorgesehen

    Lehre Nummer zwei: Macht nichts, anderen der insgesamt 47 Delegationen geht es ähnlich. Und der Auftaktgipfel heute, das Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft, soll vor allem dazu dienen, Europa auch über die Europäische Union hinaus zusammenzuhalten - vor allem gegenüber den beiden größeren Ländern des Kontinents, die nicht dazugehören: Russland und Belarus. Man will sich austauschen, konkrete Beschlüsse sieht dieses Format nicht vor. Man könnte sich also Zeit füreinander nehmen? Wird nichts.
    Der Tag gerät zum üblichen politischen Speed-Dating. Personell, aber auch inhaltlich. Außerhalb der großen Runden finden die wirklich wichtigen Gespräche statt, bilateral. Scholz trifft erst den britischen Premierminister Rishi Sunak. Dann zusammen mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und EU-Ratspräsident Charles Michel den armenischen Präsidenten Nikol Paschinjan.

    Kein Treffen im Bergkarabach-Konflikt

    Es geht, natürlich, um Bergkarabach nach der Eroberung durch die aserbeidschanische Armee Ende September. Aus dem erhofften direkten Kontakt beider Konfliktparteien aber wird nichts. Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev hatte die Reise nach Granada abgesagt, wegen "anti-aserbaidschanischer Stimmung" in der EU.
    Offenes Auto bei der Flucht aus Bergkarabach
    In der Konfliktregion Bergkarabach ist die gegenseitige Abneigung beider Seiten deutlich spürbar 05.10.2023 | 4:02 min
    Am Ende veröffentlichen die verbliebenen Vier eine Erklärung und versichern "ihre unerschütterliche Unterstützung für die Unabhängigkeit, Souveränität, territoriale Integrität und Unverletzlichkeit der Grenzen Armeniens".
    Bedeutet wohl: Das Schicksal Bergkarabachs wird besiegelt, vor weiteren Angriffen aber wird gewarnt. Ob's hilft?

    Handschlag und Patriot statt Taurus für Selenskyj

    Natürlich trifft der Kanzler auch wieder Wolodymyr Selenskyj, den auf der Suche nach Unterstützung für sein Land unermüdlich reisenden Präsidenten der Ukraine. Dessen Bitten um deutsche Taurus-Marschflugkörper bleiben auch diesmal unerfüllt, Scholz will die weitere Eskalation des Krieges vermeiden und auch, dass Deutschland plötzlich doch Teil der Auseinandersetzung wird. Trotzdem scheint die Stimmung gut, neben freundlichem Lachen gibt es einen sehr langen Handschlag und am Ende eine weitere Patriot-Luftabwehreinheit für die Ukraine dazu.
    Scholz und Selenskyj beim Handschlag in einem Konferenzraum in Granada.
    Taurus gibt es nicht, dafür aber ein Patriot-Sytem: Scholz und Selenskyj beim Handschlag
    Quelle: Kay Nietfeld/dpa

    Selenskyj bezeichnet das Gespräch anschließend auf der Plattform X als fruchtbar und dankt den Deutschen für ihre Unterstützung. Zuvor allerdings hatte er wiederholt, dass sein Land nicht nur sich selbst, sondern Europa und dessen Werte verteidige, und er hatte auf die Bedrohung der baltischen Staaten durch Russland hingewiesen.
    Wie nötig die Ukraine der Unterstützung bedarf, hat der verheerende Angriff auf die Stadt Kupjansk im Osten des Landes gezeigt, dem am Donnerstag mindestens 51 Menschen zum Opfer fielen.

    Gipfel-Fazit: Es bleibt kompliziert

    Trotzdem aber mühen sich alle sichtlich, die Linien gegenüber Russland geschlossen zu halten. Auch, wenn das immer schwieriger zu werden scheint. Neben der notorisch Kreml-nahen Regierung Ungarns und der im innenpolitischen Wahlkampf von ihrer bisherigen Unterstützung abrückenden polnischen Regierungspartei PiS, macht sich nun in der Slowakei der Russland sehr freundlich gesinnte Robert Fico auf den Rückweg an die Macht. Und wie sehr die USA die Ukraine noch unterstützen werden, steht nach dem umkämpften Haushaltskompromiss in Washington zumindest infrage.
    Gilt also, bis auf weiteres, Lehre Nummer drei: Es bleibt kompliziert.
    Klaus Brodbeck ist Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.
    Anmerkung der Redaktion: In einem ZDFheute-Beitrag vom 5. Oktober 2023 wurde Ilham Aliyev als "Armeniens Autokrat" bezeichnet. Richtig ist: Aliyev ist Präsident Aserbaidschans.

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