Konflikt um Kaukasus-Region:Wie die Diplomatie bei Bergkarabach versagt
von Nina Niebergall, Eriwan
|
Die Welt konnte oder wollte nicht helfen, als hunderttausend Armenier aus Bergkarabach vertrieben wurden. Der Konflikt ist nicht vorbei. Doch die Diplomatie hat keine Lösungen.
Der Konflikt um Bergkarabach ist längst nicht vorbei.
Quelle: dpa
Die Armenier*innen aus Bergkarabach, die man in diesen Tagen in Eriwan, der Hauptstadt Armeniens antrifft, sind erschöpft, traurig. Aber vor allem wütend. Wahlweise auf die armenische Regierung, auf Aserbaidschan, auf Russland, die UN oder die EU. Denn die Enttäuschungen häufen sich, von allen Seiten.
Eigentlich sollten sich an diesem Donnerstag der armenische Premier Nikol Paschinjan und der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew im spanischen Granada treffen. Es wäre nach dem Angriff Aserbaidschans auf Bergkarabach, nach dem Massenexodus von mehr als hunderttausend Menschen aus Bergkarabach zumindest eine Rückkehr an den Verhandlungstisch gewesen. Womöglich sogar die Chance auf einen fragilen Frieden.
Aserbaidschan sagt Treffen in Granada ab
Doch Alijew sagte das Treffen am Vortag ab. Laut aserbaidschanischen Medien war der autokratische Präsident nicht glücklich mit der geplanten Zusammensetzung des Treffens, an dem auch Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Maron und EU-Ratspräsident Charles Michel hätten teilnehmen sollen.
In der Konfliktregion Bergkarabach ist die gegenseitige Abneigung beider Seiten deutlich spürbar. 05.10.2023 | 4:02 min
Alijew störten offenbar zwei Punkte: Erstens, dass die Türkei nicht mit am Tisch sitzt, der engste Verbündete. Und zweitens, dass Frankreich dabei sein sollte. Am Mittwoch war die französische Außenministerin in Eriwan und erklärte, ihr Land sei offen für Waffenlieferungen, damit Armenien seine Verteidigung sicherstellen könne.
Worum es bei Verhandlungen gehen könnte
Marcel Röthig, Leiter des Regionalbüros Südkaukasus von der Friedrich-Ebert-Stiftung, vermutet, dass das Treffen in ähnlicher Zusammensetzung in den kommenden Monaten nachgeholt werde. Aber: Um Bergkarabach gehe es bei Verhandlungen kaum noch. "Vielmehr dürfte es jetzt um die gegenseitige Anerkennung der Grenze gehen, um ein Ausweiten des Konfliktes auf armenisches Territorium zu vermeiden", so Röthig.
Aserbaidschan hat in den vergangenen Jahren immer wieder auch armenisches Territorium angegriffen. Alijew, ebenso wie sein türkischer Partner Recep Tayyip Erdogan äußern offen Pläne über Bergkarabach hinaus. Dabei geht es um eine Landverbindung zwischen Aserbaidschan und der Türkei, die mitten durch den Süden Armeniens führen würde. Und die Aserbaidschan sich mit Waffengewalt erkämpfen müsste.
Es wäre eine Eskalation, die einen anderen geopolitischen Player auf den Plan rufen könnte: Den Iran. Denn eine Landverbindung zwischen der Türkei und Aserbaidschan würde den Iran von Armenien abschneiden. Da hat Teheran eine rote Linie gezogen.
Russland hat kaum noch Einfluss
Die Diplomatie wird also durchaus weiter gebraucht. Aber wer hat noch Einfluss in der Region, wer vertritt armenische Interessen? Russland galt traditionell als Schutzmacht Armeniens.
Wladimir Putin hatte in der Vergangenheit immer wieder Gesprächsformate zwischen Paschinjan und Alijew organisiert. Doch aktuell ist es unwahrscheinlich, dass Russland eine größere Rolle spielen wird. Armenien hat sich abgewendet von Moskau, das längst nicht mehr als verlässlicher Partner wahrgenommen wird.
Armenien hat sich zuletzt von Russland abgewendet – auch durch den Beitritt zum Internationalen Gerichtshof:
Russland schürt mit Propaganda gezielt die armenische Wut auf ihren Premier, der Bergkarabach aus Sicht einiger Armenier*innen aufgegeben hat.
Deal zwischen Putin und Erdogan?
Expert*innen gehen davon aus, dass es einen Deal zwischen Putin und Erdogan gab, den großen Playern in der Region, bevor Aserbaidschan Bergkarabach angriff. Auch Marcel Röthig hält das für wahrscheinlich.
Es ist nicht auszuschließen, dass Russland, die Türkei, der Iran und Aserbaidschan eine gemeinsame Lösung finden, die die Interessen aller berücksichtigt. Außer von Armenien. Das kleine Land steht sehr allein da.
EU zwischen Gasdeal und Moral
Und die Europäer? EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bekam viel Spott auf der Plattform "X", als sie den Armenier*innen Unterstützung verspricht, aber den Aggressor nicht nennt. Denn die EU hat mit Aserbaidschan einen Gasdeal geschlossen, nachdem Russland als Lieferant ausfiel.
Südkaukasus-Experte Röthig hält es trotzdem für wahrscheinlich, dass Deutschland sich stärker an die Seite Armeniens stellt, etwa mit Visa-Liberalisierungen, einer ausgeweiteten EU-Beobachtermission und einer klaren Sprache gegenüber Aserbaidschan.
Doch es ist völlig unklar, ob das reicht, um Aserbaidschan etwas entgegenzusetzen, das zerbrochene Vertrauen der Armenier*innen zurückzugewinnen.
Nina Niebergall berichtet als ZDF-Korrespondentin über Russland, die Kaukasusregion und Zentralasien.