US-Wahl: Was genau der Vizepräsident in den USA macht

John Adams, der erste Vizepräsident der jungen Vereinigten Staaten, bezeichnete es einst als das "unbedeutendste Amt, das der Mensch je erfunden oder seine Phantasie erdacht hat". Es stimmt, dass man den Vizepräsidenten der USA eher im Hintergrund stehen sieht als am Podium sprechen hört. Der Vizepräsident führt jedoch einige für die amerikanische Demokratie wesentliche Aufgaben aus und hat, besonders in den vergangenen Jahrzehnten, an Einfluss in der Exekutive gewonnen.

Die wohl wichtigste Aufgabe des Vizepräsidenten ist seine stellvertretende Rolle des amtierenden Präsidenten. Wenn der Präsident sein Amt nicht mehr ausüben kann, sei es aufgrund von Tod, gesundheitlichen Gründen oder Rücktritt, übernimmt der Vize.

Neun US-Präsidenten sind entweder im Amt gestorben oder zurückgetreten und überließen ihrer Nummer Zwei das Weiße Haus. Damit im Fall eines Unglücks nicht beide betroffen sind, fliegen Präsident und Vize normalerweise in unterschiedlichen Flugzeugen oder Hubschraubern.

Gemäß der US-Verfassung ist der Vizepräsident zudem Präsident des Senats. In diesem Amt hat er eine gewichtige Stimmfunktion: Da der US-Senat aus 100 Mitgliedern besteht, können Senatsabstimmungen unentschieden enden - mit einem Stimmenverhältnis von 50 zu 50. In diesem Fall hat der Vize die alleinige Befugnis, die Blockade mit seiner Stimme aufzulösen. Kamala Harris brach im Dezember 2023 den Rekord für die meisten überwundenen Patt-Situationen im Senat, als sie zum 32. Mal ihre Stimme abgab.

Als Vorsitzender des Senats ist der Vize außerdem formell für die Entgegennahme und Auszählung der bei Präsidentschaftswahlen in den USA abgegebenen Stimmzettel verantwortlich. Diese bis dahin weniger beachtete Befugnis wurde am 6. Januar 2021 bekannt, als Mike Pence dem Druck von Donald Trump standhielt und die Wahl von Joe Biden beglaubigte. Als Reaktion auf diese Entscheidung verlangten Trump-Anhänger, die an diesem Tag das Kapitol stürmten: "Hängt Mike Pence!"

Da ein Präsident seinen Vize nicht einfach entlassen kann, wie er es bei einem anderen Regierungsbeamten tun könnte, ist die Arbeitsbeziehung zwischen den beiden entscheidend. Der Vize ist oft engster Berater des Präsidenten, erfüllt repräsentative Pflichten, absolviert Staatsbesuche und wird zudem mit Dossiers beauftragt. Im Falle von Kamala Harris übertrug Präsident Biden ihr etwa die Federführung zu Fragen wie Abtreibungsrecht, Wahlrecht, Einwanderung und die US-Südgrenze.

Dieser Einfluss auf den wohl mächtigsten Menschen auf der Welt ist eine relativ neue Entwicklung. Bis ins 20. Jahrhundert waren Vizepräsidenten vor allem in der Gesetzgebung tätig. Erst Jimmy Carter integrierte seinen Vize - Walter Mondale - in die tägliche Arbeit des West Wings mit einem ständigen Büro im Weißen Haus. Außerdem gewährte Carter seinem Vize einen beispiellosen gleichberechtigten Zugang zu Verschlusssachen und traf ihn fast täglich für Absprachen. Dieses "Mondale-Modell" wurde seitdem von den meisten Präsidenten weitergeführt.

Tatsächlich haben die meisten Vizepräsidenten Ambitionen auf das Präsidentenamt. Laut dem Pew Research Center haben sich 29 der 49 Vizepräsidenten in der amerikanischen Geschichte auf die Präsidentschaftskandidatur beworben. Zehn - etwa ein Drittel - waren dabei erfolgreich. Kamala Harris könnte die elfte sein.