Vorwürfe gegen UNRWA-Mitarbeiter:Was ist die Rolle des Palästina-Hilfswerks?
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Nach den Vorwürfen um eine Beteiligung mehrerer Mitarbeiter am Hamas-Terror in Israel vom 7. Oktober steht das Palästina-Hilfswerk unter Druck. Hintergründe zum UNRWA im Überblick.
"Von heute auf morgen kann man natürlich die Menschen, die von der Arbeit der UNRWA abhängig sind, nicht einfach im Stich lassen", sagt ZDF-Korrespondent Michael Bewerunge. 30.01.2024 | 1:54 min
Die Vorwürfe aus Israel wiegen schwer. Zwölf Mitarbeiter des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) sollen an den Terrorangriffen der Hamas und anderer Extremistengruppen am 7. Oktober beteiligt gewesen sein.
Die Anschuldigungen haben eine Debatte um das Palästina-Hilfswerk losgetreten. Ein Überblick über die Anfänge und die Rolle der UN-Einrichtung.
Schwere Vorwürfe aus Israel: Mitarbeiter des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) sollen sich am Überfall auf Israel am 7. Oktober beteiligt haben.29.01.2024 | 2:13 min
Was ist das UNRWA und warum wurde es geschaffen?
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten wurde eingerichtet, um geschätzt 700.000 Palästinenser zu unterstützen, die während des israelischen Unabhängigkeitskriegs 1948 aus dem Gebiet, das heute den Staat Israel ausmacht, vertrieben wurden oder flohen.
Orientalist Daniel Gerlach erklärt, was man unter Palästina versteht, wer die Palästinenser sind, und warum die Konflikte dieser Region vielen so unüberwindbar scheinen.21.01.2024 | 14:05 min
Die Palästinenser pochen darauf, dass die Flüchtlinge und deren Nachfahren, deren Zahl im gesamten Nahen Osten inzwischen bei fast sechs Millionen liegt, das Recht auf eine Rückkehr in ihre Häuser hätten.
Israel lehnt dies ab, denn bei vollständiger Umsetzung eines Rückkehrrechts wäre eine palästinensische Bevölkerungsmehrheit innerhalb seiner Grenzen die Folge.
Das UNRWA betreibt Schulen, Kliniken, Infrastrukturprojekte und Hilfsprogramme in Flüchtlingslagern, die heute dicht besiedelten Stadtvierteln ähneln, und zwar im Gazastreifen, im israelisch besetzten Westjordanland, im Libanon, in Syrien und Jordanien.
Allein im Gazastreifen hat das Hilfswerk 13.000 Angestellte, die meisten davon Palästinenser. In dem Küstengebiet, wo rund 85 Prozent der 2,3 Millionen Menschen vor den Kämpfen aus ihren Häusern geflohen sind, haben mehr als eine Million in UNRWA-Schulen und anderen Einrichtungen des Hilfswerks Zuflucht gefunden.
Worin besteht die Kritik am UN-Hilfswerk?
Israel wirft dem Palästina-Hilfswerk seit geraumer Zeit vor, bei der Hamas ein Auge zuzudrücken. Zudem beklagt Israel, dass die seit 2007 in Gaza herrschende militant-islamistische Gruppe für die Zivilbevölkerung bestimmte Gelder abzwacke und aus den UN-Einrichtungen heraus oder aus deren Nähe Israel angreife. Etliche dieser Stätten sind im Gaza-Krieg bei Bombardements getroffen worden.
Israels Militär verweist zudem auf Tunnel der Hamas, die neben oder unter UNRWA-Einrichtungen verlaufen. Dem UN-Hilfswerk hält die israelische Regierung darüber hinaus vor, in seinen Schulen Hass auf Israel zu lehren.
Das Ausmaß der mutmaßlichen Verbindung von Mitarbeitern des Hilfswerks zur Hamas könnte dabei einem Medienbericht zufolge noch größer sein als bisher angenommen. Nicht nur sollen wie bisher bekannt zwölf von ihnen bei dem Hamas-Terrorangriff mitgemacht haben.
Rund zehn Prozent aller rund 12.000 im Gazastreifen beschäftigten UNRWA-Mitarbeiter hätten Verbindungen zur Hamas oder dem Islamistischen Jihad, berichtete die US-Zeitung Wall Street Journal unter Berufung auf Geheimdienstberichte.
Die Institution sei als Ganzes ein Hort für die radikale Ideologie der Hamas. Die Informationen in den Geheimdienstberichten basierten unter anderem auf Mobilfunkdaten, Verhören von gefangenen Hamas-Kämpfern und auf Dokumenten, die bei getöteten Kämpfern sichergestellt worden seien, berichtete das Wall Street Journal. Die US-Regierung sei über das Geheimdienstdossiers unterrichtet worden, hieß es.
Von den zwölf UNRWA-Mitarbeitern, die an dem Überfall der Hamas am 7. Oktober beteiligt gewesen sein sollen, seien sieben Grund- oder Sekundarschullehrer, darunter zwei Mathematiklehrer, zwei Arabischlehrer und ein Grundschullehrer, berichtete die Zeitung.
Das UNRWA hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Es gebe keine Verbindungen zur Hamas oder zu anderen Extremistengruppen. Bei einem Verdacht auf Fehlverhalten gebe es gründliche Untersuchungen, das Personal werde zur Rechenschaft gezogen. Listen mit den Namen aller Angestellten stelle es zudem Israel und anderen Gastländern zur Verfügung.
Das Hilfswerk hat die Massaker vom 7. Oktober verurteilt und die Freilassung aller Geiseln gefordert. Erst zu Monatsbeginn, also vor den jüngsten Vorwürfen, kündigte UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini eine externe Prüfung zu der Frage an, ob die Anschuldigungen "wahr oder unwahr" seien. Geprüft werde auch, "was daran politisch motiviert" sein könnte.
Mitarbeiter des UN-Palästinenser-Hilfswerks UNRWA sollen am Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober beteiligt gewesen sein. Claudia Bates in Washington D.C. mit neuen Details.29.01.2024 | 1:27 min
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat die Schließung des UNRWA gefordert. Zugleich lässt seine Regierung das Hilfswerk im Westjordanland und im Gazastreifen weiterarbeiten.
In diesen Gebieten erbringt das UNRWA grundlegende Dienste, um die sich sonst Israel kümmern müsste. Keine andere Organisation wäre wohl in der Lage, so rasch die Lücke auszufüllen, die das UNRWA im Falle eines Betriebsstopps hinterlassen würde.
Welche Länder haben die Hilfszahlungen gestoppt?
Die USA waren das erste Land, das die Hilfszahlungen an das UNRWA einstellte, als die jüngsten Vorwürfe bekannt wurden. Sie sind der größte Geldgeber für das UN-Hilfswerk, im Jahr 2022 etwa flossen 340 Millionen Dollar aus Washington. Großbritannien, Kanada, Australien, Deutschland, Italien, die Niederlande, die Schweiz und Finnland zogen nach und setzten ihre Zahlungen an das Hilfswerk ebenfalls aus.
Zusammen machten die Beiträge der neun Länder fast 60 Prozent des UNRWA-Haushalts von 2022 aus. Es ist unklar, wie sich die Streichung der Gelder auf die Dienste des Hilfswerks auswirken wird. Norwegen und Irland wollen weiter finanzielle Unterstützung leisten. Andere Geber haben noch keine Entscheidung getroffen.
Durch den Hamas-Überfall auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert - das israelische Militär reagiert mit Militäroperationen. Aktuelle News und Hintergründe im Liveblog.