Frauenrechte in Polen:Abtreibungsrecht: Hält Tusk das Versprechen?
von Natalie Steger & Milena Drzewiecka, Warschau
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Das Abtreibungsrecht in Polen gehört zu den restriktivsten in Europa. Der neue Ministerpräsident Tusk hat eine Liberalisierung versprochen. Was vom Wahlversprechen geblieben ist.
Immer wieder demonstrieren Tausende gegen das restriktive Abtreibungsrecht in Polen.
Quelle: AP
Zwischen Paris und Warschau liegen mehr als 1.500 Kilometer, aber was das Recht auf Abtreibung angeht, sind die beiden Nachbarn Deutschlands noch viel weiter entfernt voneinander: Vor kurzem hat Frankreich als erstes Land der Welt die Freiheit zur Abtreibung in die Verfassung aufgenommen. In Polen wurde unter der ehemals national-konservativen PiS-Regierung das schon strenge Abtreibungsgesetz noch verschärft.
Im Jahr 2020 entschied das polnische Verfassungsgericht: Abtreibung ist nur noch legal im Falle von Vergewaltigung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche. Oder wenn das Leben der werdenden Mutter bedroht ist, aber nicht mehr bei einem kranken Fötus. Der amtierende Ministerpräsident will jetzt das Abtreibungsrecht liberalisieren, was er aber nicht ohne Weiteres kann.
Donald Tusk warb im Wahlkampf für Frauenrechte
Der Herbst vergangenen Jahres brachte den Machtwechsel: Donald Tusk ist neuer Ministerpräsident und es wächst die Hoffnung auf mehr Frauenrechte.
Derzeit darf in Polen nur in zwei Fällen abgetrieben werden: Wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung oder Inzest entstanden ist, darf sie bis zur zwölften Woche abgebrochen werden. Eine Abtreibung ist außerdem möglich, wenn das Leben oder die Gesundheit der Mutter bedroht ist - unabhängig vom Fortschritt der Schwangerschaft.
Von 1993 bis 2020 war eine Abtreibung auch dann möglich, wenn beim Fötus Krankheiten festgestellt wurden. Das wurde unter der PiS-Regierung abgeschafft.
Donald Tusk will eine generelle Legalisierung der Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche.
"Das ist wirklich die wichtigste Aufgabe: allen polnischen Frauen ein Gefühl der Würde, der Sicherheit, der Normalität - das Recht, über ihr Leben, ihre Gesundheit und ihren Körper zu entscheiden, zurückzugeben. Das ist etwas absolut Grundlegendes für uns", so Tusk noch im Wahlkampf. Und was sagt er jetzt als Regierungschef? "Wir werden verhandeln, reden, überreden".
Als erstes Land der Welt nimmt Frankreich das Recht auf Abtreibung in der Verfassung auf. 05.03.2024 | 2:12 min
Koalition in Polen bei Abtreibungsrecht uneinig
In Polen kann der Regierungschef mit der parlamentarischen Mehrheit das Recht ändern, er hat - theoretisch gesehen - keine große Hürde für eine Gesetzesänderung. Praktisch sieht das anders aus. Denn wie Gesetze durch eine breite Koalition kippen können, kennt man in Deutschland gut. Die Ampel-Koalition besteht aus drei Parteien, die polnische Regierungskoalition unter Tusk sogar aus drei Bündnissen: Bürgerkoalition, Linke und Dritter Weg. Und besonders im Dritten Weg ist die Abneigung zur Liberalisierung der Abtreibung zu spüren.
Der Dritte Weg (Trzecia Droga) ist konservativ-liberal und will lediglich die Verschärfung des Rechts durch die PiS-Regierung rückgängig machen. Für den linken Flügel der Regierung ist das viel zu wenig. Die sozialdemokratische Linke (Lewica) hat allein zwei Gesetzentwürfe eingebracht: Einer von ihnen entkriminalisiert Abtreibung und Abtreibungsbeihilfe teilweise, der andere erlaubt Abtreibungen bis zum Ende der 12. Woche. Auch Tusk und seine liberalkonservative Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska) wollen die Abtreibung bis zur 12. Woche legalisieren. Zwei Koalitionspartner gegen einen.
Die neue Regierung in Polen löst den öffentlich-rechtlichen Rundfunk formell auf und strukturiert ihn neu. Die Vorgängerregierung hatte die Medien für ihre Zwecke genutzt. 28.12.2023 | 0:24 min
Abtreibung in Polen: Revolution, Referendum oder Ruhe?
Ohne den Dritten Weg und seinen Stimmen wird es keine Revolution beim Abtreibungsrecht geben. Sollen die Bürger also in einem Referendum entscheiden? Szymon Hołownia, der an der Spitze des Dritten Wegs ist, wirbt dafür - aber bisher ist kein Referendum in Sicht. Gleichzeitig ist Hołownia der Parlamentspräsident und hat erst neulich gesagt, dass alle Gesetzentwürfe zur Abtreibungsfrage von einem eigens zu diesem Zweck eingesetzten außerordentlichen Ausschuss in Ruhe behandelt werden sollten.
Laut einer Umfrage für Radio Zet sind 51 Prozent der Polen der Meinung, dass ein Abbruch bis zur 12. Schwangerschaftswoche in jedem Fall erlaubt sein sollte. 43 Prozent sind dagegen.
Zwei Monate nach Amtsantritt besucht Polens Regierungschef Donald Tusk Berlin. Kanzler Scholz und Tusk sehen die Chance für einen Neuanfang.12.02.2024 | 2:19 min
Präsident Andrzej Duda muss rezeptfreier Pille danach zustimmen
Im Frühling sind Kommunalwahlen in Polen, dann die Europawahl. Keine der politischen Mächte möchte Stimmverluste riskieren. Die polnischen Frauen, die in den letzten Jahren massiv protestiert haben, hoffen weiter. Immerhin hat das polnische Parlament zuletzt den rezeptfreien Zugang zur Pille danach für Frauen ab 15 Jahren beschlossen. Es muss noch vom PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda unterzeichnet werden, der allerdings hat "Zweifel".
Seine erzkonservative Einstellung ist keine Ausnahme in Polen. Warschau ist also von Paris noch weit entfernt.
Ein Kind bekommen, das schwerbehindert sein wird? Menschen wie Marion Glück stehen vor dieser Entscheidung. Ein Interview über Schwangerschaftsabbruch, Leben und Tod.