Fetozid: Über die Entscheidung einer späten Abtreibung
Interview
Schwangerschaftsabbruch:"Es gibt kein Richtig und kein Falsch"
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Ein Kind bekommen, das schwerbehindert sein wird? Menschen wie Marion Glück stehen vor dieser Entscheidung. Ein Interview über Schwangerschaftsabbruch, Leben und Tod.
Nach drei Sternenkindern entschied sich Marion Glück bei der vierten Schwangerschaft für einen Abbruch - und damit gegen ein schwerbehindertes Kind.14.02.2024 | 5:17 min
Marion Glück ist eigentlich kampferprobt. Lange arbeitete sie als Marineoffizierin bei der Bundeswehr. Heute schreibt sie Bücher über die Herausforderungen des Lebens. Die größte davon ist das eigene Familienglück: Seit 2018 wünscht sie sich mit ihrem Mann Mark ein gemeinsames Kind. Drei Fehlgeburten mussten die beiden verkraften, im vergangenen Jahr war Marion wieder schwanger und erfuhr in der 22. Schwangerschaftswoche, dass ihr Kind eine schwere Erkrankung haben wird.
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ZDFheute: Frau Glück, wie haben Sie von der Diagnose erfahren?
Marion Glück: Bei der zweiten Feindiagnostik bekamen wir die Diagnose Spina bifida mitgeteilt. Wir fielen aus allen Wolken, denn wir wollten nur zum "Babygucken"-Termin, wir wähnten uns auf der sicheren Seite. Wir hatten uns vor der Schwangerschaft zwar damit beschäftigt, was wir machen, wenn wir eine Diagnose bekommen. Das war sehr rational und ohne jegliche emotionale Belastung.
Ab dem Moment der Diagnose war alles hinfällig. Unser Arzt hat uns sehr gut beraten und alle Fragen beantwortet. Er zeigte uns beide Wege ausführlich auf und nannte uns die Beratungsstellen. Während des gesamten Prozesses war die Beratung durch alle Ärzte wertneutral - so, wie es sein sollte. Anschließend folgte die Untersuchung für das Zweitgutachten in der Charité. Diesen Termin hatte auch mein Arzt für mich vereinbart. Die Diagnose wurde bestätigt.
Es gibt verschiedene Formen von spinalen Fehlbildungen. Sie sind auf eine Störung bei der Entwicklung des Rückenmarks zurückzuführen. Man bezeichnet dies als Neuralrohrdefekt. Das Ausmaß der verschiedenen Formen reicht von keiner oder minimaler Beeinträchtigung bis zu schweren neurologischen Defekten und Symptomen.
Bei der Spina bifida occulta zeigt sich ein gespaltener Wirbelbogen ohne Beteiligung der Rückenmarkshäute und des Rückenmarks. Sie ist von außen nicht sichtbar. Der Befund wird häufig erst zufällig bei einer Röntgenuntersuchung gestellt.
Die Spina bifida aperta beschreibt die offenen sichtbaren Formen. Dazu gehört die Meningozele. Bei ihrtreten durch den Spalt Teile der Rückenmarkshäute aus. Die Myelomeningozele ist die schwerste und häufigste Form einer offenen Spina bifida. Hier treten durch den Spalt Rückenmark und Rückenmarkshäute aus dem offenen Bereich hervor.
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ZDFheute: Spina bifida gibt es in verschiedenen Ausprägungen. Welche Prognose hatte Ihr Baby?
Glück: Loreley hätte die schwerste Ausprägung gehabt. Bei unserer Tochter war bereits sieben Tage nach der Diagnose zu sehen, wie sich die Fehlstellung der Beine entwickelte. Die Prognose lautete: Selbst mit aufwändigen Operationen während und/oder nach der Schwangerschaft würde unsere Tochter nicht vollkommen gesund sein, sondern ein Pflegefall. Im besten Fall könnte sie mit Orthesen einige Meter gehen, bräuchte einen Rollstuhl, Katheter und tägliche Hilfe bei der Darmentleerung. Die wirklichen Schäden hätten allerdings erst nach der Geburt und mit der Entwicklung im Kleinkindalter abgeschätzt werden können.
Quelle: Valeria Gordienko
… ist 42 Jahre alt und arbeitet als Mentorin für Selbstbewusstsein und (Selbst-)Führung. Marion Glück ist Bankkauffrau, Marineoffizier und studierte Diplom-Betriebswirtin. Nach ihrem Ausscheiden aus der Bundeswehr und dem Ende ihrer Psychotherapie schrieb sie ihr erstes Buch "Das Leben ist BUND - Die lange Depression". Sie sammelte als Training-Managerin in einem Dax-30-Konzern und als Vorstandsmitglied im internationalen Netzwerk WISTA e. V. weitere Erfahrungen und entwickelt verschiedene Mentoring-Programme - speziell im Bereich Frauenförderung.
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ZDFheute: Wie ging es dann weiter? Muss man sich schnell entscheiden?
Glück: Im Paragraph 218a Absatz 1 Satz 1 StGB findet man eine Mindestbedenkzeit von drei Tagen. Das Bedürfnis ist groß, so schnell wie möglich aus dieser hochemotionalen Situation flüchten zu wollen. Die einzige sinnvolle Empfehlung, die jemand von außen geben kann, lautet: 'Nimm dir Zeit und hole dir eine Zweitmeinung.' Betroffene müssen nicht schnell entscheiden, sollten sich nicht drängen lassen und sich stattdessen die Zeit nehmen, die sie für ihre Entscheidung brauchen.
Deshalb gehört es zum Entscheidungsprozess dazu, sich umfangreich zu informieren. Das ist anstrengend und gleichzeitig wichtig, um eine bewusste Entscheidung zu treffen.
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von Julia Kaulbars
mit Video
ZDFheute: Was hat Ihnen bei der Entscheidung geholfen?
Glück: Rein rational hat mir der sachliche Austausch mit Ärzten geholfen. Eine Ärztin im Sozialpädiatrischen Zentrum der Charité arbeitet mit betroffenen Spina-bifida-Familien. Sie konnte mir sehr gut erläutern, wie sich die Behandlungsmöglichkeiten gestalten und wie der Alltag der Familien aussieht.
Emotional war es für mich sehr wichtig und hilfreich, meine eigenen Gefühle und Gedanken zu beobachten. Ich habe viele Gespräche mit meinem Mann geführt und wir haben versucht, ehrlich und ohne Vorurteile darüber zu reden. Wie wichtig ist uns ein selbstbestimmtes Leben, was schaffen wir als Familie, was können wir verantworten? Und am Ende haben wir uns für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach § 218 Strafgesetzbuch (StGB) grundsätzlich strafbar. Doch auf Grundlage der sogenannten Beratungsregelung bleibt er unter bestimmten Bedingungen dennoch straffrei, das regelt § 218a StGB.
Danach bleibt ein Schwangerschaftsabbruch straflos, wenn er innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch eine Ärztin oder einen Arzt vorgenommen wird, die Schwangere dies verlangt und sie nachweist, dass sie an einer Schwangerschaftskonfliktberatung teilgenommen und eine dreitägige Bedenkzeit eingehalten hat.
Ein Abbruch bleibt auch innerhalb von zwölf Wochen straffrei, wenn eine kriminogene oder kriminologische Indikation vorliegt. Das heißt: Die Schwangerschaft ist Folge einer Vergewaltigung oder vergleichbaren Sexualstraftat.
Oder es liegen medizinische Indikationen vor. Zu dieser Einschätzung kann eine Ärztin oder ein Arzt beispielsweise kommen, wenn eine pränatal diagnostische Untersuchung ergibt, dass mit einer erheblichen gesundheitlichen Schädigung des Kindes zu rechnen ist oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Frau durch das Austragen der Schwangerschaft ernsthaft gefährdet wäre.
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ZDFheute: Wenn man sich als Familie gegen das Kind entscheidet, worauf muss man sich im weiteren Verlauf der Behandlung einstellen?
Glück: Wer sich nach der zweiten Pränataldiagnostik für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, ist in der Regel schon im fortgesetzten Stadium einer Schwangerschaft. Der Abbruch erfolgt dann über einen sogenannten Fetozid. Das heißt: Der Embryo wird im Mutterleib getötet. Nach Herzstillstand wird die Geburt eingeleitet und das Baby kommt auf demselben Weg zur Welt, wie ein gesundes Baby geboren wird.
Ich glaube, dass die Vorbereitung darauf, was das wirklich heißt, selten erfolgt. Ich lag beispielsweise auf der Geburtsstation und war mit anderen Schwangeren und Babygeschrei konfrontiert. Es ist wichtig, sich darauf mental gut vorzubereiten. Auch auf das Gefühl, dass man eine Geburt mit all den Strapazen und zugehörigen Hormonen hinter sich bringt und am Ende ein totes Baby zur Welt bringt. Man nennt es eine stille Geburt.
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ZDFheute: Sie haben ein Buch geschrieben, um Entscheidungen in solchen Situationen zu vereinfachen. Was ist die wichtigste Botschaft?
Glück: Die wichtigste Botschaft in Bezug auf eine Schwangerschaft ist: Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Dein Körper, deine Entscheidung. Sei deine eigene Autorität und triff eine bewusste Entscheidung aus dem Inneren heraus.
Außerdem habe ich mich mit dem Thema Trauer beschäftigt. Sie wird Familien in dieser Situation oft abgesprochen. Nach dem Motto: 'Wieso bist du traurig, du wolltest das Kind ja nicht.' Diese Haltung kann sehr zerstörerisch sein. Denn die Trauer ist immer groß. Es ist immer der Verlust eines Kindes.
Das Interview führte Stephanie Schmidt, Redakteurin der ZDF-Sendung "Volle Kanne - Service täglich".
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