Libanon: Was erreicht Israel mit Bomben gegen die Hisbollah?

    Analyse

    Neue Eskalation gegen Hisbollah:Was erreicht Israel mit Bomben im Libanon?

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
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    Israel verstärkt seine Luftangriffe auf Hisbollah-Ziele im Libanon massiv. Hunderte Menschen sterben dabei. Kann diese Strategie tatsächlich mehr Sicherheit für Israel bringen?

    Israel conducts 'targeted strike' in the Lebanese capital Beirut
    Bei israelischen Luftangriffen wurden im Libanon hunderte Menschen getötet und mehr als tausend verletzt. Es waren die schwersten Angriffe seit Beginn des gegenseitigen Beschusses.23.09.2024 | 2:50 min
    Die Küstenstraße heraus aus der südlibanesischen Stadt Sidon ist verstopft. Über alle Spuren hinweg, gleich in welcher Fahrtrichtung, stauten sich am Montagmittag die Autos gen Norden. Alle wollen raus aus den Gebieten, die von einer israelischen Bombenkampagne überzogen werden, wie sie der Libanon im vergangenen Jahr des Konflikts so noch nicht erlebt hat. Laut dem libanesischen Gesundheitsministerium wurden am Montag mindestens 492 Menschen getötet und mehr als 1.640 verletzt.
    Gleichzeitig feuerte die in diesen Gebieten omnipräsente Schiiten-Miliz Hisbollah weiter Raketen auf Israel. Mit Anrufen, SMS und weiteren Botschaften forderten die israelischen Streitkräfte die Bevölkerung auch in Beirut und der Bekaa-Ebene auf, sich von Hisbollah-Einrichtungen fernzuhalten.
    Die Küstenstraße in Sidon am Montag
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    Libanesische Bevölkerung ist kriegsmüde

    Hanin Ghaddar, Hisbollah-Expertin am Washington Center for Near East Policy, schreibt auf dem Nachrichtendienst X:

    Die Massenvertreibungen sehen genauso aus wie 2006. Doch diesmal jubelt niemand für den 'Widerstand'. Diesmal gibt es nur Angst und Hoffnungslosigkeit. Die Menschen sind müde, gebrochen und depressiv.

    Hanin Ghaddar, Washington Center for Near East Policy

    Aus dem letzten großen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah 2006 ging die Terrororganisation trotz schwerer Verluste und massiver Zerstörung im Libanon gestärkt hervor. Man konnte sich erfolgreich als Gegenspieler zu Israel und zum Westen behaupten, baute die schiitischen Viertel anschließend mit Geld aus dem Iran wieder auf und Generalsekretär Hassan Nasrallah ließ sich dafür feiern. Von diesem Ruf zehrt die Organisation bis heute.
    Doch jetzt trifft die Bombenkampagne ein noch mehr von Armut, Stromausfällen und politischem Zerfall geprägtes Land. "Niemand kann sich einen Krieg leisten und niemand will ihn. Alles, was ich höre, sind nur Appelle an Nasrallah, aufzuhören und eine diplomatische Lösung zu akzeptieren", schreibt Ghaddar.
    ZDF-Reporter Anne Brühl und Dominik Lessmeister
    Nach den Attacken Israels stellt sich die Frage: welche Taktik verfolgt Israel? Mehr dazu von den ZDF-Reportern Anne Brühl und Dominik Lessmeister.23.09.2024 | 2:52 min

    Welche Strategie verfolgte Israel bislang?

    Doch wenig ist aktuell weiter entfernt als eine diplomatische Lösung. Offiziell geht es Israel darum, die Sicherheitslage in den seit vergangenem Jahr geräumten Städten im Norden des Landes wiederherzustellen. Der Beschuss über die Grenze ist dabei nur ein Teil des Problems; größer ist die Angst vor einem Einsickern von Hisbollah-Kämpfern, die Geiseln in den Libanon verschleppen könnten.
    Das bisherige Vorgehen des israelischen Militärs mit Blick auf Hisbollah passte in ein Konzept, das von israelischen Offiziellen, bis hoch zu Premier Benjamin Netanjahu, häufig als "Gras mähen" (mowing the grass) bezeichnet wird. Kern davon sind wiederholte, aber im Umfang begrenzte Luftschläge und Offensiven, um die militärischen Fähigkeiten des Gegners über die Zeit langsam abzunutzen. Eine Zerschlagung, eine grundsätzliche Verschiebung der Machtverhältnisse oder eine dauerhafte Besatzung gehören jedoch nicht dazu.
    Angriff auf Israel (Karte Israel, Gazastreifen etc.)
    ZDFheute Infografik
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    Entsprechend zerstörte Israel in den vergangenen Monaten Hunderte Abschussvorrichtungen für Raketen und zahlreiche Waffenlager. Die Pager-Explosionen waren in ihrer Methode zwar von einer gänzlich neuen Qualität, passten aber dennoch in diese Strategie, den Gegner so zu schwächen, damit er sich vor allem mit sich selbst und seinen Verlusten beschäftigt.
    All das brachte die Hisbollah in eine missliche Lage. Einerseits hat sie über Jahre hochgerüstet, ist deutlich schlagkräftiger als es die Hamas vor einem Jahr war. Gleichzeitig hat sie Israels zentralen Moment der Schwäche verpasst. Nasrallah war nicht bereit, das eigene Land vollends in den Konflikt hineinzuziehen. Viel mehr als sich langsam aufschaukelnde symbolische Angriffe hatte er bislang nicht zu bieten. Seine Reden der vergangenen Monate waren vor allem durch Zögern geprägt.
    Rauch steigt vom Ort eines israelischen Angriffs auf, der am 22. September 2024 die Außenbezirke des südlibanesischen Dorfes Zibqin anvisierte.
    Die USA haben ihre Staatsbürger dazu aufgerufen, den Libanon unverzüglich zu verlassen. Grund dafür ist der eskalierende Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz.22.09.2024 | 1:27 min

    Was können Luftangriffe realistisch bewirken?

    Die bisherigen Luftangriffe Israels haben die konstanten Hisbollah-Angriffe nicht unterbinden können. Es ist also eine offene Frage, welche Ziele mit dieser neuen Kampagne überhaupt realistisch erreicht werden können. Luftangriffe auf den Libanon allein dürften an der Sicherheitslage im Norden mittelfristig kaum etwas verbessern.
    Zwar werden die Arsenale der Hisbollah schwinden und sie wird, wie auch die libanesische Zivilbevölkerung, einen riesigen Blutzoll zahlen. Aber um jeden Monat Dutzende Raketen auf Israel und feuern, und Kämpfer in Schussreichweite zu den Grenzanlagen versteckt zu halten, werden die Kapazitäten der Hisbollah auch weiterhin ausreichen.
    Ein wichtiger Gradmesser, wie sehr Israel sein Vorgehen mit Blick auf die Hisbollah nun anpasst, ist die Frage der Zielauswahl. Bislang zielte Israel primär auf militärische Ziele der Hisbollah, obgleich sich die häufig in zivilen Gebäuden befinden. Sollte man jedoch dazu übergehen - ähnlich wie im vergangenen Jahr in Gaza - kaum noch zwischen ziviler und militärischer Infrastruktur zu unterscheiden, sofern sie irgendwie der Hisbollah zugerechnet werden kann, dann könnte das eine neue Kalkulation bedeuten.
    Rauch nach Raketeneinschlag
    Die Gefechte im Nahostkonflikt verschärfen sich weiter. In der Nacht hat Israel Angriffswellen gegen Ziele im Libanon gestartet und auch die Hisbollah feuerte Raketen auf Israel.22.09.2024 | 1:09 min
    Sollten auch mit der Hisbollah verbundene zivile Einrichtungen von Schulen bis Medienbüros, oder die Privatwohnungen einfacher Hisbollah-Mitglieder in den Fokus rücken, droht dem Libanon der völlige Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung.
    Netanjahu sprach am Montag in Tel Aviv davon, das "Kräfteverhältnis im Norden zu verändern". Was das genau beinhaltet, ist nicht klar.

    Wir warten nicht auf die Bedrohung, wir kommen ihr zuvor.

    Benjamin Netanjahu, israelischer Premierminister

    Wird es zu einem Einmarsch in den Libanon kommen?

    Zwar hat Israel im Norden inzwischen viele Truppen zusammengezogen, eine Bodenoffensive ist aber alles andere als garantiert - auch weil die USA Medienberichten zufolge deutlich vor so einem Schritt warnen.
    Dennoch mehren sich in Israel Stimmen aus dem rechten und rechtsextremen Lager, Teile des Südlibanons zu besetzen und eine "Sicherheitszone" einzurichten. Amichai Chikli, israelischer Minister für Diaspora-Angelegenheiten, drohte am Samstag etwa auf X: "Der Libanon entspricht nicht der Definition eines Landes, auch wenn er eine Flagge und politische Institutionen hat." Die aktuelle Lage verlange, "einen Kurs bezüglich der Grenzlinie mit der Entität, die sich Staat Libanon nennt, neu zu berechnen."
    Zwischen 1982, beziehungsweise 1985, und 2000 hielt Israel mit Unterstützung lokaler christlicher Milizen den Süden des Libanon besetzt. Am Ende war die israelische Gesellschaft froh, diese Dauerkrise mit Hunderten toten IDF-Soldaten ohne grundlegende Verbesserung der Lage losgeworden zu sein.

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