Pager-Explosionen im Libanon: Die Völkerrechts-Frage
Tote und Verletzte im Libanon:Pager-Explosionen: Was sagt das Völkerrecht?
von Daniel Heymann, Alexandra Tadey
|
Mehrere hundert Pager explodierten am Dienstag zeitgleich im Libanon - mutmaßlich ein gezielter Angriff des israelischen Geheimdienstes auf die Hisbollah. War das erlaubt?
Die Menschen im Libanon sind schockiert, nachdem Pager und WalkieTalkies explodiert sind und Tausende verletzt haben. Sie haben Angst - rufen aber auch nach Vergeltung.19.09.2024 | 2:35 min
Hunderte Pager und Walkie-Talkies sind am Dienstag und Mittwoch zeitgleich im Libanon explodiert. Ein offizielles Bekenntnis fehlt bislang, doch vieles deutet auf eine von langer Hand geplante Operation des israelischen Geheimdienstes Mossad hin.
Mindestens zwölf Menschen wurden dabei getötet, darüber hinaus etwa 2.800 - teilweise schwer - verletzt. Libanesische Krankenhäuser melden vor allem Verletzungen an Augen und Händen sowie in der Bauchregion, Bilder auf Social Media zeigen blutverschmierte Kleidung. Ist ein solcher Angriff vom Völkerrecht gedeckt? Erste Fragen und Antworten in einer unübersichtlichen Lage.
Mehr als 30 Menschen wurden im Libanon durch explodierende Pager und Funkgeräte getötet. Hisbollah-Führer Nasrallah macht in einer Rede dafür Israel verantwortlich.19.09.2024 | 1:50 min
Internationaler oder nicht-internationaler Konflikt: Wer sind die Beteiligten?
Sicher lässt sich das im Moment noch nicht beantworten. Für die Frage nach der völkerrechtlichen Bewertung ist dies aber durchaus von Bedeutung.
Mehrere Medienberichte vermuten den israelischen Geheimdienst Mossad hinter dem Angriff. Nach Ansicht von Militärexperten sind nämlich nur wenige Akteure überhaupt in der Lage, eine derart komplizierte Operation durchzuführen - unter anderem der israelische Geheimdienst. Von israelischer Seite gibt es hierzu bislang keine Stellungnahme.
Hisbollah-Chef Nasrallah äußerte sich zu den Explosionen im Libanon. ZDF-Korrespondentin Anne Brühl berichtet aus Beirut.19.09.2024 | 1:58 min
Unterstellt, der Mossad ist für den Angriff verantwortlich: Galt er spezifisch der islamistischen Hisbollah-Miliz oder dem Libanon als Staat? Das hängt von der Einordnung der Hisbollah ab, die ebenfalls umstritten ist. Der Völkerrechtler und Wissenschaftliche Direktor des Zentrums für Internationale Studien, Prof. Dominik Steiger, sieht sie als verlängerten Arm des Libanons, weil sie nicht nur Miliz, sondern auch politische Partei ist:
Da die Hisbollah Teil der Regierung bildet und letztlich in das staatliche System des Libanon integriert ist, wird man von einem internationalen bewaffneten Konflikt ausgehen können. Dann sind die Hisbollah-Kämpfer legitime Ziele.
„
Prof. Dominik Steiger, TU Dresden
Dabei müssen aber, auch wenn Israel seinerseits von der Hisbollah mit Raketen angegriffen wird, die Grenzen des Völkerrechts beachtet werden, denn auch in international bewaffneten Konflikten gilt: Angegriffen werden dürfen nur Kombattanten. Das sind unter anderem Mitglieder der Streitkräfte.
Der UN-Sicherheitsrat kommt zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Nach den tödlichen Pager-Explosionen hat Israel Hisbollah-Ziele massiv aus der Luft angegriffen.20.09.2024 | 0:24 min
Aber waren wirklich nur Kombattanten in Besitz von Pagern?
Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah hatte sich öffentlich darüber beklagt, dass Israel die Smartphones seiner Kämpfer zu leicht überwachen könne. Deshalb nutzte die Hisbollah wohl aus Sicherheitsgründen Pager zur Kommunikation. Ob wirklich nur Mitglieder der Hisbollah getroffen wurden, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen.
Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit müsse bei den Explosionen der kleinen Funkgeräte im Libanon Sprengstoff im Einsatz gewesen sein, so Manuel Atug, Experte für Cybersicherheit. 18.09.2024 | 12:09 min
In jedem Fall gelte die Pflicht, entsprechende Vorsichtmaßnahmen zu treffen, sagt Völkerrechtler Steiger. Es müsste also sichergestellt werden, dass nur Kombattanten Ziele von Angriffen sind. Faktisch kommt es jedoch durchaus vor, dass diese Grenzen in Kriegssituationen überschritten werden - die Pager-Explosionen sind ein Beispiel dafür:
Es ist bei solchen ferngesteuerten Attacken aber fraglich, inwieweit diesem Unterscheidungsgebot nachgekommen werden kann. Es kann ja sein, dass die Pager auch von anderen Personen genutzt werden. Das ist eine faktische Frage.
„
Prof. Dominik Steiger, TU Dresden
Tötung von Zivilisten ausnahmsweise vom Völkerrecht gedeckt?
Unter Umständen stellt sogar die Tötung von Zivilisten keinen Verstoß gegen das Völkerrecht dar. Der militärische Vorteil für Israel müsste dann so groß sein, dass ausnahmsweise auch die Tötung und Verletzung der Zivilbevölkerung nicht unverhältnismäßig ist:
Die Schäden für die Zivilbevölkerung dürfen nicht exzessiv sein. Das ist dann der Fall, wenn damit zu rechnen ist, dass die Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung und die Verwundung von Zivilsten außer Verhältnis zum konkreten militärischen Vorteil stehen. Bei so vielen gleichzeitigen Explosionen, die man kaum überblicken kann, ist das zumindest problematisch.
„
Prof. Dominik Steiger, TU Dresden
Gezielt dürften Zivilisten jedoch nie angegriffen werden, betont der Völkerrechtler. Militärische Aktionen müssen darüber hinaus generell verhältnismäßig sein, die Zivilgesellschaft ist so weit wie möglich zu schonen.
Im Libanon sind hunderte Pager von Hisbollah-Mitgliedern explodiert. Israel plant nun möglicherweise weiter gegen die Miliz vorzugehen, so ZDF-Korrespondent Michael Bewerunge.18.09.2024 | 1:43 min
Unabhängig von der völkerrechtlichen Einordnung gilt: Es liegen noch nicht genügend gesicherte Fakten vor, um die Situation abschließend zu bewerten. Das eigentliche Ziel des humanitären Völkerrechts, menschliches Leid auch in Kriegssituationen so weit wie möglich zu reduzieren, scheint jedenfalls - wegen der immer neuen Eskalationen - aktuell in weiter Ferne.
Daniel Heymann und Alexandra Tadey arbeiten in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.
Quelle: dpa
Sie wollen auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie beim ZDFheute-WhatsApp-Channel richtig. Hier erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Zur Anmeldung: ZDFheute-WhatsApp-Channel.
Um dir eine optimale Website der ZDFmediathek, ZDFheute und ZDFtivi präsentieren zu können, setzen wir Cookies und vergleichbare Techniken ein. Einige der eingesetzten Techniken sind unbedingt erforderlich für unser Angebot. Mit deiner Zustimmung dürfen wir und unsere Dienstleister darüber hinaus Informationen auf deinem Gerät speichern und/oder abrufen. Dabei geben wir deine Daten ohne deine Einwilligung nicht an Dritte weiter, die nicht unsere direkten Dienstleister sind. Wir verwenden deine Daten auch nicht zu kommerziellen Zwecken.
Zustimmungspflichtige Datenverarbeitung • Personalisierung: Die Speicherung von bestimmten Interaktionen ermöglicht uns, dein Erlebnis im Angebot des ZDF an dich anzupassen und Personalisierungsfunktionen anzubieten. Dabei personalisieren wir ausschließlich auf Basis deiner Nutzung der ZDFmediathek, der ZDFheute und ZDFtivi. Daten von Dritten werden von uns nicht verwendet. • Social Media und externe Drittsysteme: Wir nutzen Social-Media-Tools und Dienste von anderen Anbietern. Unter anderem um das Teilen von Inhalten zu ermöglichen.
Du kannst entscheiden, für welche Zwecke wir deine Daten speichern und verarbeiten dürfen. Dies betrifft nur dein aktuell genutztes Gerät. Mit "Zustimmen" erklärst du deine Zustimmung zu unserer Datenverarbeitung, für die wir deine Einwilligung benötigen. Oder du legst unter "Einstellungen/Ablehnen" fest, welchen Zwecken du deine Zustimmung gibst und welchen nicht. Deine Datenschutzeinstellungen kannst du jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in deinen Einstellungen widerrufen oder ändern.