Sicherheitsgarantien: Wer würde sterben für die Ukraine?

    Debatte um Sicherheitsgarantien:Wer würde sterben für die Ukraine?

    ZDF-Hauptstadt-Korrespondent Andreas Kynast
    von Andreas Kynast
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    Hinter den Kulissen diskutieren westliche Politiker über die Nachkriegszeit. Wie kann Sicherheit für die Ukraine aussehen?

    Ukraine- und NATO-Flaggen
    Eine der Möglichkeiten für Sicherheit nach dem Krieg: Die Ukraine wird Mitglied der Nato. Doch die USA und Deutschland bremsen.
    Quelle: Reuters

    Wer ist bereit, Soldaten in die Ukraine zu schicken? Wer ist bereit, sie schlimmstenfalls sterben zu lassen in einem Krieg gegen Russland?
    Als sich Ende Mai in Hiroshima die Türen des G7-Gipfels schließen, haben die mächtigen Staatslenker des Westens ihre Handys abgegeben, nur ein Berater pro Präsident darf dabei sein. Die Öffentlichkeit wird danach nicht erfahren, worüber die sieben Anführer mit Präsident Selenskyj, ihrem Überraschungsgast, gesprochen haben.
    Nur so viel lässt sich herausfinden: Es ging, streng vertraulich, um die Nöte des Krieges und, noch strenger vertraulich, um die Nöte des Friedens.
    Wann auch immer es zu Friedensverhandlungen kommt und wie auch immer sie ausgehen: Dass die Ukraine Sicherheitsgarantien bekommen muss, bevor sie eines Tages einen Vertrag mit Russland unterschreibt, darüber sind sich, befragt vom ZDF, auch die schärfsten Kritiker der militärischen Unterstützung einig.
    "Die Ukraine muss Garantien bekommen, dass es nicht nochmal zu einem solchen Angriffskrieg kommt", sagt AfD-Politiker Alexander Gauland. Alice Schwarzer, Initiatorin eines "Friedensmanifests" gegen Waffenlieferungen, nennt die Ukraine "ein ganz, ganz kleines Land", das ohne Sicherheitsgarantien "wirklich in Gefahr" sei.



    Aber mit welchem Mittel soll gesichert werden, dass Russland die Ukraine nicht noch einmal angreift? Hinter den Kulissen, in den Runden ohne Handys, werden drei Möglichkeiten erwogen.

    Möglichkeit 1: Nato-Beitritt

    Für die Regierung in Kiew und viele osteuropäische Regierungen wäre die naheliegendste Lösung, der Ukraine anzubieten, Teil eines bereits funktionierenden Sicherheitssystems zu werden: der Nato.
    "Es gab keinen Politiker, der in den letzten 15 Monaten nicht gesagt hat, dass die Ukrainer für die Sicherheit Europas kämpfen", sagt der estnische Verteidigungsstaatssekretär Kusti Salm dem ZDF:

    Wenn sie für die europäische Sicherheit kämpfen, müssen sie auch Teil der europäischen Sicherheit sein.

    Kusti Salm, Estnischer Verteidigungsstaatssekretär

    Aber die USA und auch Deutschland bremsen. Zwar gelte die Politik der Offenen Tür, sagt Außenministerin Annalena Baerbock, aber zugleich sei klar, "dass wir mitten in einem Krieg nicht über eine neue Mitgliedschaft reden können."
    Wahrscheinlichkeit für diesen Weg: niedrig.

    Möglichkeit 2: Schutzmächte

    Im Dezember 1994 verpflichtete sich die Ukraine, alle nuklearen Sprengköpfe an Russland abzugeben. Im Gegenzug garantierten Russland, die USA und Großbritannien der Ukraine die Selbstständigkeit und verpflichteten sich, das Land nicht anzugreifen - was Russland letztlich brach.
    Dennoch lebt die Diskussion über Schutzmächte wieder auf. AfD-Politiker Gauland sieht die USA und China in der Pflicht. Der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul zeigt im ZDF neben Washington auf Berlin.

    Ich denke, dass Deutschland dazugehören kann.

    Johann Wadephul, CDU-Außenpolitiker

    Auf die Frage, ob dann, im schlimmsten Fall, deutsche Soldaten für die Ukraine sterben müssten, sagt Wadephul: "Wenn man eine solche Garantie abgibt, dann muss das so gelten."
    Wahrscheinlichkeit für diesen Weg: niedrig.

    Möglichkeit 3: Aufrüstung

    Weil eine schnelle Nato-Mitgliedschaft unwahrscheinlich ist, gibt es die Forderung, die Ukraine so auszurüsten, dass sie selbst in der Lage ist, Russland abzuschrecken. Das findet Friedensaktivistin Schwarzer "fatal" und behauptet: "Schon jetzt ist die Ukraine das hochgerüstetste Land in Europa."
    Die Notwendigkeit, die Ukraine auch nach dem Krieg auszustatten, sieht man inzwischen aber sogar auf überraschender Seite: in der Linkspartei. Fraktionschef Dietmar Bartsch, der im Mai mehr als eine Woche lang durch die Ukraine gereist ist, zeigt sich im ZDF offen für Waffenlieferungen in der Nachkriegszeit:

    Für eine Nachkriegs-Ukraine
    :Linke offen für Waffenlieferungen

    Um die Sicherheit der Ukraine nach dem Krieg zu garantieren, halten die Linken-Politiker Bartsch und Gysi Waffenlieferungen für denkbar. Für eine Übergangszeit. Als Ausnahme.
    Andreas Kynast, Berlin
    Dietmar Bartsch
    In Sicherheitskreisen wird die kontinuierliche Waffenlieferung an eine neutrale Ukraine auch "Israelisierung" genannt, nach dem Vorbild jenes Landes, das mit massiver westlicher Hilfe seit 75 Jahren gegen feindliche Nachbarn bestehen kann.
    Wahrscheinlichkeit für diesen Weg: hoch.
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