Ukraine-Krieg: "Entscheidende Phase" und Herausforderungen
Interview
Politologin Margarete Klein:"Entscheidende Phase" im Ukraine-Krieg
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Der Einsatz US-amerikanischer ATACMS-Raketen durch die Ukraine, die Atomdrohung Russlands - was steckt dahinter? Die Osteuropaexpertin Margarete Klein im Interview.
Laut ukrainischen Angaben hat Russland erstmals eine Interkontinentalrakete abgefeuert. Zuvor soll die Ukraine in der Region Kursk britische Marschflugkörper eingesetzt haben.
21.11.2024 | 1:30 min
Margarete Klein: Es ist eine entscheidende Phase, sowohl militärisch als auch politisch. Russland, das kein Abgehen von seinen Maximalzielen erkennen lässt, hat circa 50.000 Soldaten, darunter wohl 10.000 nordkoreanische Soldaten, für die Offensive in Kursk zusammengezogen und macht Geländegewinne im Donbass. Zugleich ist mit der Wahl Trumps die Verlässlichkeit amerikanischer Unterstützung für die Ukraine ungewiss geworden, während Deutschland mit dem Wahlkampf primär nach innen blickt.
Quelle: ZDF/Svea Pietschmann
... ist Politologin und Expertin für Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
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ZDFheute: Warum erlaubt US-Präsident Joe Biden gerade jetzt den Ukrainern, mit den ATACMS-Raketen auch Ziele in Russland anzugreifen?
Klein: Vier Faktoren spielen eine Rolle:
Erstens soll der Ukraine ermöglicht werden, die besetzten Gebiete in Kursk zu halten.
Zweitens ist es eine Reaktion darauf, dass Russland seine Kriegsführung in den letzten Wochen noch einmal eskaliert hat, was sich an der Ausweitung der Angriffe auf zivile Ziele sowie dem Einsatz nordkoreanischer Soldaten auf europäischem Boden zeigt.
Drittens soll die Lieferung von ATACMS abschreckende Wirkung auf Kim Jong-Un zeigen, dass seine Involvierung in den Krieg mit Kosten verbunden ist.
Und viertens geht es auch um eine Absicherung von Bidens Politik gegenüber Trump.
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21.11.2024 | 1:19 min
ZDFheute: Kommen die ATACMS überhaupt noch rechtzeitig?
Klein: Die Debatte ist zu kleinteilig. Sie konzentriert sich zu sehr auf ein Waffensystem als möglicher Game Changer, und das kann weder Taurus sein, noch Storm Shadow oder ATACMS. Wenn das Ziel ist, dass die Ukraine die russische Aggression abwehren kann, muss sie verlässlich und in ausreichender Menge die Waffen erhalten, die dafür nötig sind, vor allem Luftverteidigung und Kampfflugzeuge. Dies gilt umso mehr, als sich das Manpower-Problem für die Ukraine viel drastischer stellt als für Russland.
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Zu sehen um 22:15 Uhr im ZDF oder im Livestream in der ZDF-Mediathek.
ZDFheute: Wie schätzen Sie die Atomdrohung von Russland ein?
Klein: Die Drohung mit nuklearer Eskalation ist seit Beginn der Invasion Teil des Versuchs, westliche Staaten von der Unterstützung der Ukraine abzuschrecken. Es ist auch kein Zufall, dass die Änderung der Nukleardoktrin, die ja schon seit Monaten vorbereitet wurde, genau an dem Tag veröffentlicht wird, an dem erstmals ATACMS gegen Ziele in Russland eingesetzt wurden.
Die Neuerung in der Doktrin besteht darin, dass nun der konventionelle Angriff eines Nicht-Nuklearwaffenstaats auf Russland, wenn er von einer Nuklearmacht unterstützt wird, als deren gemeinsamer Angriff gewertet wird. Damit wird zwar in der Doktrin die nukleare Einsatzschwelle gesenkt, aber dies bedingt keinen Automatismus. Der Einsatz von Nuklearwaffen gegen NATO-Staaten wäre auch für Russland selbstmörderisch.
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ZDFheute: Abschreckung also?
Klein: Es spricht viel dafür, dass es sich hier um "Signalling" handelt, dass sich an die Bevölkerung der europäischen Staaten richtet und diese aus Sorge vor der Eskalation zur Selbstabschreckung bringen will. Gegenüber den europäischen Staaten ist eher davon auszugehen, dass Russland seine hybriden Angriffe ausweiten wird, zum Beispiel durch Sabotage kritischer Infrastruktur und Rüstungsindustrie, Subversion und Desinformationskampagnen in Wahlkämpfen.
Gegenüber der Ukraine werden wir vermutlich eine Ausweitung der Angriffe auf zivile Ziele und Infrastruktur sehen, um die Bevölkerung im Winter zu zermürben und zur Flucht Richtung Westen zu zwingen."
Das Interview führte Micha Wagenbach, Redaktion "maybrit illner".
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