Kommentar: Die Verurteilung der KZ-Sekretärin war richtig

    Kommentar

    Prozess um KZ-Sekretärin:Für Gerechtigkeit ist es nie zu spät

    Sarah Tacke
    von Sarah Tacke
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    Eine 99-Jährige wurde wegen Beihilfe zum Mord in der Nazi-Zeit verurteilt - zu Recht. Es gibt gute Gründe, weshalb Mord nicht verjährt.

    EU Germany Nazi Trial
    Auch eine Sekretärin kann Beihilfe zum Massenmord leisten. Das bestätigte der Bundesgerichtshof in seinem Urteil und verwarf die Revision der 99-jährigen Irmgard Furchner. 20.08.2024 | 2:40 min
    Ist es gut - jetzt, fast 80 Jahre nach Kriegsende - eine Frau zu verurteilen, die als Sekretärin in einem Konzentrationslager gearbeitet hat? Ganz klar Nein. Gut wäre gewesen, den Mördern und Helfern vor 50, 60, 70 Jahren den Prozess zu machen. Gut wäre gewesen, die vielen Verbrecher aus den vorderen Reihen vorneweg zu verurteilen.

    Irmgard F. hatte immer die Wahl

    Und trotzdem ist der Prozess, in dem die Schuld der heute 99-Jährigen geklärt wurde, richtig und wichtig. Denn er zeigt, dass auch die "kleinen Rädchen" die "große Maschinerie" des Massenmords möglich gemacht haben. Auch die damals 18-Jährige musste nicht mit ihrer Schreibarbeit das Morden unterstützen. Sie hatte immer die Wahl. Hätte sich zumindest versetzen lassen können. Das haben Sachverständige auch in diesem Prozess wieder bestätigt.

    Urteil des Bundesgerichtshofs
    :KZ-Sekretärin: Schreibkraft und Mordgehilfin

    Irmgard F., inzwischen 99 Jahre alt, arbeitete als Stenotypistin im KZ Stutthof. Für ihre Arbeit ist sie nun in letzter Instanz wegen Beihilfe zum Mord schuldig gesprochen worden.
    von Daniel Heymann und Fabian Medler
    Angeklagte Irmgard F.
    mit Video
    Wer mitgemacht hat, wer das Morden unterstützt hat, hat sich schuldig gemacht. Auch im juristischen Sinn. Das hat der Bundesgerichtshof abschließend festgestellt. Und: Mord ist fast die einzige Straftat, die niemals verjährt. Genau aus diesem Grund, damit Verbrechen der Nazis auch Jahrzehnte später noch bestraft werden können.

    Verurteilung der KZ-Sekretärin stößt auf Ablehnung

    Aber Jahrzehnte später - hätte nicht acht Jahrzehnte später bedeuten dürfen. Damit zeigt dieses Urteil, was die deutsche Justiz und die deutsche Gesellschaft fast ein Jahrhundert lang versäumt haben. Und es löst, weil es so spät kommt, Ablehnung aus: Eine Frau, die mitleiderweckend alt ist und die eine vergleichsweise kleine Schuld auf sich geladen hat, wird verurteilt. Was soll das?!
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    Am 22. Juni 1941 greift Hitlers Armee die Sowjetunion an. Im Schatten des Krieges begehen Deutsche Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung.08.05.2021 | 44:16 min
    Man kann es als Show-Prozess abtun. Doch das wäre leichtfertig. Denn dieser Prozess holt die Verbrechen von damals ins Hier und Jetzt. Mit einer Angeklagten, die bis zuletzt keine Reue gezeigt hat, nur unverbindliche Worte des Bedauerns am letzten Verhandlungstag vortrug. Genau wie viele Täter, Helfer und Mitläufer, die sich nie schuldig gefühlt haben - und es bis heute nicht tun.
    Deshalb zeigt dieses Urteil heute vor allem eins: Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun.
    "Krieg und Holocaust - Der deutsche Abgrund: Völkermord 1942-1944": Collage aus zwei alten Fotos. Eine Gruppe Deportierter bei ihrer Ankunft in Auschwitz. Rechts: Inhaftierte in ihren Betten im KZ Buchenwald.
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