Fall Pelicot: Angeklagte werden schuldig gesprochen
Historisches Urteil in Avignon:Fall Pelicot: Wie die Scham die Seiten wechselte
von Carolin Auen und Anne Arend
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Wochenlang wurden in Avignon die Taten der 51 Angeklagten im Fall Pelicot verhandelt. Sie alle wurden nun schuldig gesprochen. Ein Prozess, der lange nachhallen wird.
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"Sie wurden in allen Punkten schuldig gesprochen", im Minutentakt fallen am Donnerstagmorgen im Gerichtssaal erst Urteil, dann die Verkündung des Strafmaßes für die 51 Angeklagten, die Gisèle Pelicot, bewusst- und regungslos, sexuell missbraucht und vergewaltigt haben. Sie alle werden für schuldig erklärt, erhalten Strafen zwischen drei und 20 Jahren, teilweise mit Bewährungsanteil, deutlich weniger als von der Staatsanwaltschaft gefordert. Im Saal ist es still, Gisèle Pelicot, umringt von ihrer Familie, beugt sich vor, beobachtet die Männer.
Damit geht nach 15 Wochen ein Prozess zu Ende, der weit über Avignon hinaus Wellen geschlagen hat. Ein Prozess, den Journalisten und Journalistinnen aus aller Welt verfolgt haben. Auch unser ZDF-Team ist mehrfach in die südfranzösische Stadt gereist.
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Die Scham wechselte die Seite
Jedes Mal, wenn Gisèle Pelicot das Gerichtsgebäude betrat, wurde sie mit Applaus begrüßt. Die Zuschauerinnen, es waren vor allem Frauen, unterstützten sie und waren dankbar. Dafür, dass sie bei ihrem Vergewaltigungsprozess auf die größtmögliche Offenheit setzte und somit den Tätern und ihren Taten den Schutz der Anonymität nahm. Das Schamgefühl wechselte die Seite.
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Und Gisèle Pelicot wechselte die Rolle vom Opfer zu einer Frau, die Kraft und Würde ausstrahlt, eine Ikone: "Ich widme diesen Kampf allen Opfern sexualisierter Gewalt", hatte sie zu Beginn des Verfahrens erklärt.
Es waren nur wenige Sätze, die sie in den vergangenen Monaten in die Kameras sprach. Meist hat sie geschwiegen, in der Halle vor dem Gericht. Doch besonders diese Momente, empfanden wir Beobachter als sehr ausdrucksstark und berührend.
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Der "Prozess der Feigheit"
Diese Momente standen im frappierenden Gegensatz zu der Stimmung im Gerichtssaal selbst. Dort wirkte sie auf uns fast verloren angesichts der vielen angeklagten Männer, die sich an ihr vergangenen haben. Der Hauptangeklagte, ihr Ehemann, saß ihr gegenüber auf der anderen Seite des Raumes. Er hatte gleich zu Beginn des Prozesses gestanden, Gisèle Pelicot jahrelang bis zur Bewusstlosigkeit betäubt und anderen Männer zur Vergewaltigung angeboten zu haben.
Der Mammut-Missbrauchsprozess um Gisèle Pelicot in Avignon geht in die nächste Phase. Nach elf Wochen Verhandlungen haben die Plädoyers der Anwälte begonnen.
Carolin Auen, Avignon
mit Video
Somit wurde in den vergangenen Monaten nicht nur für Gisèle Pelicot demonstriert, sondern auch gegen selbstverständliche Annahme von Männern, eine Frau oder Ehefrau habe sexuell verfügbar zu sein.
Der Prozess stößt eine Debatte über Missbrauch an
Viele Demonstrantinnen, mit denen wir gesprochen haben, berichteten uns, dass sie selbst oder jemand aus ihrem Umfeld missbraucht worden war. Doch auch jenseits der Demos hat der Prozess eine vorsichtige Debatte angestoßen. Etwa darüber, ob die Definition von Vergewaltigung im Strafrecht geändert und künftig an fehlende Zustimmung geknüpft werden könnte: Bleibt ein explizites Ja aus, darf nicht vom Einverständnis zum Sex ausgegangen werden. Schweden und Spanien haben das so festgeschrieben, Frankreich bisher nicht.
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Im Gesundheitswesen beginnt eine Aufklärung darüber, wie Vergewaltigung unter Betäubung besser erkannt werden kann: mehr Tests, mehr Labore, um die Tests auszuwerten und vor allem eine Sensibilisierung der Ärzte. Dass Frauen und auch Männer, mit K.O.-Tropfen oder Drogen betäubt und vergewaltigt werden, vermutet man oft in Clubs oder schummrigen Bars. Doch viel öfter finden diese Übergriffe im privaten Umfeld statt. In Frankreich spricht man von "chemischer Unterwerfung".
Gisèle Pelicot bedankt sich bei Unterstützern
Um kurz vor 13 Uhr, einige Stunden nach Verkündung der Urteile, tritt Gisèle Pelicot vor die Presse. Bedankt sich bei ihrer Familie, denjenigen, die sie während des Prozesses unterstützt haben. "Das, was ihr mir anvertraut habt, hat mich sehr bewegt, daraus habe ich die Kraft gezogen, mich jeden Tag wieder den langen Anhörungen zu stellen." Ihre Entscheidung, den Prozess öffentlich zu machen, habe sie nicht bereut.
Und verlässt wenig später, unter donnerndem Applaus, das Gericht von Avignon.
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FAQ
Quelle: ZDF
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