Im Vergewaltigungsprozess in Avignon beginnen heute die Plädoyers der Nebenklägerinnen und -kläger. Zu ihnen zählt in erster Linie das Vergewaltigungsopfer Gisèle Pelicot, die von ihrem Mann immer wieder betäubt und gemeinsam mit fremden Männern vergewaltigt wurde.20.11.2024 | 3:01 min
Im südfranzösischen Avignon wird seit Anfang September ein Vergewaltigungsfall in ungekanntem Ausmaß verhandelt. Es gibt 51 Angeklagte, mehrere tausend Fotos und Videos dokumentieren die erschütternden Taten.
Der Beginn der Plädoyers hat nun die Endphase des
Mammutprozesses eingeläutet. Den Angeklagten drohen bis zu 20 Jahre Haft.
Solidarität mit Opfern sexueller Gewalt
Wenn Gisèle Pelicot sich im Gerichtsgebäude bewegt, begleiten sie Applaus und unterstützende Zurufe. Aus ganz
Frankreich reisen Menschen an, vor allem Frauen, die sie mit ihrer Anwesenheit stärken wollen. Im Übertragungsraum, auf den Straßen von Avignon und weit darüber hinaus schlagen die Betroffenheit und der Schock über die Taten um in Aktivismus und Solidarität mit
Opfern sexueller Gewalt.
"Es wurde bereits viel debattiert, das ist schon eine Art Sieg", sagt Juliette Campion. Als Gerichtsreporterin berichtet sie seit Beginn des Prozesses über den Fall. Wie auch viele Zuschauer*innen hofft sie, dass der Prozess die Definition von einvernehmlichem und nicht einvernehmlichem Sex weiterentwickeln und den
Umgang mit sexualisierter Gewalt schärfen wird. Im Gerichtssaal dürfte es beim Verfolgen des Prozesses jedoch schwerfallen, an dieser Hoffnung festzuhalten.
Im Vergewaltigungsprozess von Avignon wird Giséle Pelicot zur Heldin für Opfer von sexualisierter Gewalt. Sie machte ihren Fall öffentlich und zwingt die Gesellschaft, hinzusehen.22.10.2024 | 2:49 min
Missbrauchsprozess von Avignon: Schockierende Taten
Woche um Woche sitzt Gisèle Pelicot aufrecht hinter ihren Anwälten. Sie verfolgt das Geschehen aufmerksam, tauscht sich mit ihrer Begleitung aus. Gegenüber sitzt Dominique Pelicot, ihr Ex-Mann, hinter einer Glasscheibe. Seit Anfang September spielt sich zwischen ihnen dieser Prozess ab, der schockiert.
Es geht um hunderte Taten, die Dominique Pelicot gestanden hat: Über zehn Jahre hinweg hatte er seine damalige Frau mit Schlafmitteln betäubt, ihren leblosen Körper auf dem Bett drapiert und über das Internet Männer eingeladen, sexuelle Handlungen an ihr auszuführen.
Gisèle Pelicot hat eingefordert, dass die Verhandlungen nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Anhörungen und Befragungen von Expert*innen sind ebenso zugänglich wie die Videos und Bilder der Taten. "Damit die Scham die Seite wechselt", begründete sie zu Beginn des Prozesses ihre Entscheidung. Und: Schämen solle sich nicht das Opfer, sondern die Täter.
In Avignon beginnen die Plädoyers der Nebenklage. Gisèle Pelicot wurde jahrelang von ihrem ihr Ex-Mann Dominique Pelicot betäubt und von ihm und fremden Männern vergewaltigt. 20.11.2024 | 2:11 min
Verteidigungsstrategie: Angeklagte wälzen Schuld ab
Diesen Tätern sitzt Gisèle Pelicot wochenlang gegenüber.
Denjenigen, die angeklagt sind, sie auf "Einladung" ihres Mannes vergewaltigt zu haben. Nur 14 der Angeklagten erkennen die Anschuldigungen an. Die Verteidigungsstrategie der Übrigen: Die Schuld auf Dominique Pelicot abwälzen. Er habe sie in die Irre geführt, manipuliert, angelogen. Kurz: Man habe keine Absicht zur Vergewaltigung gehabt und auch währenddessen nicht gemerkt, dass es sich darum handele.
Mit Protestaktionen wollen Frauen Gisèle Pelicot beistehen, die vielfach vergewaltigt wurde. Ihr Fall ist überaus grausam, schon jetzt ist sie ein Idol für die Frauenbewegung.22.10.2024 | 2:15 min
Stattdessen sei es eine unbewusste Vergewaltigung gewesen, nicht beabsichtigt, es habe keine Gewalt gegeben, man habe Madame doch sogar gestreichelt. Ja, man habe sich über die Situation, ihre Regungslosigkeit, gewundert, aber Dominique Pelicot habe schließlich für seine Frau zugestimmt. Ein Angeklagter spricht davon, erst in Haft den Begriff des "consentement" (Zustimmung zu sexuellen Handlungen) gelernt zu haben.
Jeder weitere Angeklagte liefert eine neue Erklärung für das, was in den tausenden Videos und Bildern dokumentiert ist: Demnach hatten alle sexuellen Kontakt mit Gisèle Pelicot, die reglos auf dem Bett liegt, manchmal leise schnarcht.
Der Vergewaltigungsprozess von Avignon geht in die entscheidende Phase. Der Fall hat Frankreich erschüttert. Wie verändert er das Land?20.11.2024 | 6:25 min
Gisèle Pelicot: "Prozess der Feigheit"
Gisèle Pelicot spricht vor Gericht von einem "Prozess der Feigheit". Sie fordert, dass die "machistische und
patriarchale Gesellschaft", die Vergewaltigungen banalisiere, ihren Blick ändern müsse. Ihre Anwälte plädieren für einen Wandel der Denkmuster: Man müsse aufhören, den Prototyp eines Vergewaltigers zu zeichnen, den gebe es nicht. Auch "normale Männer" könnten zu Vergewaltigern werden.
Nach zweieinhalb Monaten Anhörungen bliebe man gefangen in einem Labyrinth, auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner. "Aber dieser ist unauffindbar", stellt Gisèle Pelicots Anwalt, Antoine Camus, fest. Die Gemeinsamkeit: "Alle haben, zumindest als sie dieses Horrorhaus verlassen haben, verstanden, dass andere vor ihnen kamen und andere folgen würden. Jeder hat in seinem Maß, auf seinem Niveau zu dieser Monstrosität, zu diesem Martyrium dieser Frau beigetragen." Alle 50 neben Pelicots Ex-Mann angeklagten Männer hätten entschieden, einen Körper zu missbrauchen, der keine Einwilligung geben konnte. Sie hätten sich entschieden, ihre eigene Vorstellung von Zustimmung in sexueller Hinsicht durchzusetzen.
Ob die 51 Angeklagten für Vergewaltigung verurteilt werden, entscheidet das Gericht von Avignon in den kommenden Wochen. Die Urteile werden bis zum 20. Dezember erwartet.
Carolin Auen arbeitet im ZDF-Auslandsstudio Paris.
Seit über 100 Jahren gibt es in Deutschland das Frauenwahlrecht. Bis heute sind Frauenrechte auf der Welt jedoch nicht selbstverständlich. Aktuelle Nachrichten und Hintergründe.