Europäisches Parlament: Bröckelt die Brandmauer nach rechts?
Streit im Europäischen Parlament:Bröckelt die Brandmauer nach rechts?
von Clara Andersen, Brüssel
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Eine Venezuela-Resolution sorgt für Streit im Europa-Parlament: Der EVP wird eine Zusammenarbeit mit Rechtsextremen vorgeworfen.
Mit einer Brandmauer im EU-Parlament wollte man sich klar von den rechten Parteien distanzieren. Bröckelt diese nun?
Quelle: dpa
Während des Europawahlkampfes war es die Frage aller Fragen: Wie rechts wird das neue Europaparlament und welchen Einfluss bekommen die Extrem-Rechten? Der befürchtete Rechtsruck bewahrheitete sich letztendlich: In fast allen großen EU-Staaten, darunter auch in Deutschland, haben rechte Parteien deutlich zugelegt. Immer wieder forderten Parteien der Mitte die konservative Europäische Volkspartei (EVP) deshalb dazu auf, sich klar zur Brandmauer nach rechts zu bekennen.
Und immer wieder bekräftigte die EVP: Die Brandmauer stehe. Doch kaum hat der parlamentarische Betrieb richtig begonnen, steht genau diese Brandmauer im Zentrum eines Streits im Europäischen Parlament.
Die Brandmauer - oder der Cordon Sanitaire, wie es auf Französisch heißt - gilt im EU-Parlament gegenüber den "Patrioten für Europa" (PfE) und dem "Europa Souveräner Nationen" (ESN), denen etwa die Fidesz-Partei von Viktor Orbán und die deutsche AfD angehören.
Das bedeutet, es gilt eine informelle Vereinbarung, dass in keinem Fall mit diesen Fraktionen zusammengearbeitet wird. Es gab zwar Debatten darüber, ob der Cordon Sanitaire auch gegenüber der Fraktion "Europäische Konservative und Reformer" (EKR) gelten müsse, darauf konnten sich die anderen Parteien jedoch nicht klar einigen.
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Europäische Resolution zur Wahl in Venezuela
Wie üblich saß die EVP mit den Liberalen (Renew), den Grünen und den Sozialdemokraten (S&D) zusammen, um sich auf einen gemeinsamen Resolutionstext zur Wahl in Venezuela zu verständigen.
In Venezuela regiert seit 2013 der autoritäre Linkspolitiker Nicolás Maduro. Auch in diesem Jahr wurde er zum Sieger der Präsidentschaftswahl im Juli erklärt - ungeachtet internationaler Kritik und Betrugsvorwürfen der Opposition.
Denn nach Angaben der Opposition erhielt ihr Präsidentschaftskandidat Edmundo González Urrutia, der inzwischen in Spanien Asyl beantragt hat, mehr als 60 Prozent der Stimmen. Tausende Menschen protestierten deshalb gegen Maduro und mehrere Staaten forderten die Veröffentlichung der Wahlunterlagen.
Bei der Verurteilung des autokratischen Herrschers Venezuelas Nicolás Maduro waren die Fraktionen sich zwar einig, doch in einem Punkt gestalteten sich die Verhandlungen schwierig: Die EVP, der auch die deutsche CDU/CSU angehört, forderte die Anerkennung des venezolanischen Oppositionellen Edmundo González Urrutia als Wahlsieger und damit rechtmäßigen Präsidenten. Das wollten Liberale, Grüne und Sozialdemokraten jedoch nicht mittragen.
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EVP: Antrag mit rechten Fraktionen gestellt
Wie der sozialdemokratische EU-Abgeordnete René Repasi erklärt, sei der Grund dafür die negative Erfahrung, die man 2019 bei der übereilten Anerkennung des venezolanischen Oppositionsführers Juan Gaidó als Wahlsieger gemacht habe. "Das erwies sich später als strategischer und diplomatischer Fehler", erklärt Repasi.
Und so stellten die Christdemokraten ihren eigenen Resolutionsantrag - mitgetragen von der EKR und den Patrioten für Europa (PfE) - die dem rechtspopulistischen bis rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind.
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Allerdings habe die EVP dabei keine Änderungen in Zusammenarbeit mit den rechten Fraktionen vorgenommen, wie der Sprecher der EVP-Fraktion betont: "Die Fraktionen EKR und PfE schlossen sich unserem Text ohne jegliche Änderungen an. Es gab weder Verhandlungen noch Zusammenarbeit", so Pedro López de Pablo.
Mitte-Parteien verurteilen Zusammenarbeit von EVP und Rechten
Für Liberale, Grüne und Sozialdemokraten ist das jedoch nicht der entscheidende Kritikpunkt. Der grüne Europaparlamentarier Daniel Freund sagt, selbst wenn "jedes einzelne Wort" des Antrags von der EVP geschrieben wurde, habe sie sich letztendlich bewusst dazu entschieden, den Antrag gemeinsam mit rechten Parteien einzureichen.
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Abstimmung mit rechts statt Kompromiss?
Auch die darauffolgende Abstimmung mit Fraktionen des rechten Spektrums sei laut Liberalen nicht das eigentliche Problem gewesen - schließlich könne man sich nicht dagegen wehren, wer für einen Antrag abstimmt und wer nicht - sondern vielmehr das vorherige, gemeinsame Stellen des Antrags.
Dass ein solcher Kompromiss der Mitte-Parteien nicht gefunden werden konnte, habe dazu geführt, dass die EVP "allein gelassen" worden sei, verteidigt der EVP-Europaabgeordnete Michael Gahler das Vorgehen seiner Fraktion.
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Der Inhalt des Antrags sei aber unproblematisch gewesen, deshalb habe man ihn schließlich mit der EKR und den Patrioten gestellt; auch wenn es natürlich "optisch unschön" sei, dass die beiden Fraktionen dadurch mit auf dem Text standen, sagt Gahler.
Grüne: Zusammenarbeit unter keinen Umständen
Liberale, Grüne und Sozialdemokraten sehen darin jedoch mehr als einen Schönheitsfehler. Dass die Fraktionen sich nicht mit der EVP einigen konnte, rechtfertige keine Zusammenarbeit mit Rechtsaußen, sagt der sozialdemokratische EU-Abgeordnete René Repasi. "Genau das ist der Sinn und Zweck eines Cordon Sanitaire: Dass man grundsätzlich nicht zusammenarbeitet, selbst wenn man inhaltlich mal übereinstimmt", so Repasi.
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Der EVP-Abgeordnete Gahler sagt, es sei "das Ziel", dass solche gemeinsamen Abstimmungen "nicht zur Regel" werden. Doch die Grünen befürchten genau das: "Jetzt macht man mal einen gemeinsamen Antrag und was kommt dann als Nächstes?", stellt der Grüne-Abgeordnete Freund infrage.
Freund sagt, es sei im Zweifel besser gewesen, wenn gar nichts beschlossen worden wäre, als mit rechten Parteien zusammenzuarbeiten. "Am Ende geht es darum, bestimmte Prinzipien zu wahren", so Freund.
Quelle: ZDF
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