Schützengräben: Warum Nässe für Soldaten das Schlimmste ist

    Militärexperte über Kriegswinter:Warum Soldaten Regen fürchten

    Katharina Schuster
    von Katharina Schuster
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    Der Ukraine steht der zweite Kriegswinter bevor. Kälte in Kombination mit Nässe sei "das Schlimmste in den Schützengräben", so Militärexperte Gressel. Über die Lage an den Fronten.

    Im Süden und im Osten der Ukraine gibt es weiterhin schwere Kämpfe. Die russischen Truppen versuchen die Stadt Awdijiwka einzunehmen - unter erheblichen Verlusten. Gleichzeitig gelingt es den Ukrainern im Süden im Gebiet der Stadt Cherson die Russen zurückzudrängen.
    Dennoch sei der Krieg für die Ukraine aktuell in einer "enorm schwierigen Phase", sagt Militärexperte Gustav Gressel bei ZDFheute live. Die Hoffnung, dass die Offensive im Süden operativ entscheidende Geländegewinne bringe, habe sich bisher nicht erfüllt.
    Außerdem mache sich die Ukraine Sorgen, wie lange der Westen seine Unterstützung aufrecht erhalten könne. Durch nordkoreanische Waffenlieferungen habe die russische Artillerie-Tätigkeit wieder stark zu genommen. "Das verhilft der russischen Armee, die Initiative vor allem im Osten zurückzuerlangen", so Gressel.

    Gustav Gressel zugeschaltet via Zoom
    Quelle: ZDF

    ... ist Politikwissenschaftler und Militärexperte. Zu seinen Themenschwerpunkten gehören Russland, Osteuropa und Verteidigungspolitik.

    Russen greifen Awdijiwka von zwei Seiten an

    An die ostukrainische Stadt Awdijiwka rücken die russischen Streitkräfte von beiden Flanken an.
    Eine "schwierige Lage" für die Ukrainer, aus mehreren Gründen:
    • Die Vorstöße an beiden Flanken machten die Versorgungswege eng. So könnten Truppen schwieriger abgelöst werden.
    • Außerdem könnten Verwundete schwieriger aus der Stadt transportiert werden.
    Awdijiwka sei aus russischer Sicht ein "wunder Dorn in der Flanke, sehr nah an Donezk". Das wolle Russland bereinigen. Doch dabei erleide die russische Armee "immens hohe Verluste" - vor allen Dingen bei dem Versuch die Stadt schnell zu erobern und schnell einzukesseln.

    Mit so hohen Verlusten kann das selbst Russland mit seiner Kriegswirtschaft und seinen großen Depots nicht lange durchhalten.

    Gustav Gressel, Militärexperte

    Süden: Ukraine mit drei Brückenköpfen

    Im Süden sei es den ukrainischen Streitkräften gelungen, drei Brückenköpfe am Fluss Dnipro auszudehnen, stellt Gressel fest. Unter einem Brückenkopf verstehe man "eine Gegend, in die man später mal vorhat eine Brücke zu schlagen".
    Wenn man sich den Fluss als Teilung zwischen der russischen und ukrainischen Seite anschaue, sei der Brückenkopf eine "kleine Delle auf der 'russisch besetzten' Seite, wo ukrainische Kräfte das Ufer halten, umringt von russischen Soldaten".

    Kann die Ukraine ihre Stellung am Dnipro ausbauen?

    Ob die Ukraine ihre Stellung am Dnipro weiter ausbauen kann, sei eine Frage des Nachschubs. Die russische Armee greife in diesem Gebiet unter hohem Materialeinsatz an. "Das verlangt den Ukrainern viel ab", sagt Gressel. Sie bräuchten Artillerie-Munition, um die Angriffe abzuwehren.
    Der Erfolg der Ukraine liege außerdem in der Hand von lokalen Akteuren, so Gressel. Diese seien "stark auf sich alleine gestellt", eine Lücke, eine Schwachstelle in den russischen Linien zu finden. Und: Es komme zudem darauf an, ob es der Ukraine gelinge, rasch neue Kräfte über den Fluss zu bringen.

    Gressel rechnet mit vielen russischen Angriffen im Osten

    Die Prognose des Militärexperten für die nächsten Monate:

    Ich erwarte, dass die russische Angriffstätigkeit im Osten stark zunimmt.

    Gustav Gressel, Militärexperte

    Außerdem geht Gressel davon aus, dass "die Ukraine die Geländegewinne gering halten wird".
    In den nächsten Monaten vermutet Gressel, müsse die Ukraine Awdijiwka räumen. Nichtsdestotrotz werde die Ukraine der russischen Armee "hohe Personalverluste" zufügen. Und das sei das Entscheidende. "Die geben ihnen im nächsten Frühjahr Handlungsspielraum, selbst offensiv tätig zu werden."

    Kälte in Kombination mit Nässe - "das Schlimmste in den Schützengräben"

    Ein sehr harter, kalter Winter würde beiden Seiten ermöglichen, Offensiven vorzutragen. Denn, wenn der Boden gefroren sei, könne man selbst auf versumpften Geländen mit Panzern fahren. Doch dies sei in den vergangenen Jahren aufgrund des Klimawandels selten in der Ukraine vorgekommen.
    Für die Soldaten sei tatsächlich aber nicht Schnee und Eis am kritischsten, sondern eine andere Kombination: Nässe und Kälte.

    Wir haben das im letzten Winter gesehen, Drohnen-Bilder etwa von russischen Soldaten, die sich in diesen Bedingungen selbst das Leben nehmen.

    Gustav Gressel, Militärexperte

    "Das ist für die Soldaten jetzt das Schlimmste in den Schützengräben", sagt Gressel. "Schnee kann man rausschaufeln, Eis kann man entfernen, aber dieses Wasser, das dann in der Nacht gefriert und dann bei Minusgraden die durchnässte Kleidung dann durchgefrieren lässt, das ist für die Gesundheit der Soldaten, für ihre Stellungen, das Grauenhafteste."

    Grade diese Herbstmonate und die frühen Frühlingsmonate sind die allerhärteste Zeit. Da ist mit sehr vielen Kranken, mit sehr vielen Toten durch Erfrierungen zu rechnen.

    Gustav Gressel, Militärexperte

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    Update
    Quelle: ZDF
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