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Update am Abend:Lindemann und die Unschuldsvermutung
von Jan Schneider
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Guten Abend,
"bösen Zungen glaubt man nicht. Die Wahrheit, die kommt doch eh ans Licht". Mit diesen Worten hat Rammstein-Sänger Till Lindemann am Dienstag das dritte ausverkaufte Konzert in Folge beendet - erneut vor mehr als 60.000 Fans. Den Zuschauerzahlen haben die Vorwürfe von sexuellen Übergriffen auf Aftershow-Partys keinen Abbruch getan.
Und Lindemann hat im Kern recht: Die Wahrheit soll ans Licht kommen. Und ob er für mutmaßliche Taten zur Rechenschaft gezogen wird, das muss ein Gericht entscheiden. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung. Darauf pochte gestern bei "maybrit illner" auch der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Julian Nida-Rümelin:
Was ist die Unschuldsvermutung überhaupt?
Die Unschuldsvermutung besagt, dass jede Person, die wegen einer Straftat angeklagt ist, als unschuldig gelten muss, bis ihre Schuld durch einen Strafprozess anhand der gesetzlich festgelegten Verfahrensregeln bewiesen ist. Diese Verpflichtung steht beispielsweise in Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention oder in Artikel 48 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union. Auch Ermittlungsbehörden müssen diesen Grundsatz beachten. Allerdings kann er auch eingeschränkt werden, wenn dafür ausreichende Gründe bestehen, zum Beispiel, indem ein Verdächtiger in Untersuchungshaft genommen wird.
Diese Unschuldsvermutung verpflichtet allerdings nur Staaten - keine Privatpersonen oder Unternehmen. Bei der Gerichtsberichterstattung durch Medien gilt aber auch, dass Verdächtige oder Angeklagte nicht vorverurteilt werden dürfen.
Geht das in der Praxis überhaupt?
Doch wie lässt sich die Unschuldsvermutung in den Alltag von medialen Debatten, Protesten und Gegenprotesten übertragen. Hält die Öffentlichkeit die Zeit bis zu einem Urteil aus, ohne selbst zu urteilen?
Ein Blick auf andere Fälle zeigt, wie schwer es ist, die Unschuldsvermutung aufrechtzuerhalten:
- Von den ersten Vorwürfen gegen Filmproduzent Harvey Weinstein bis zu seiner Verurteilung sind etwa fünf Jahre vergangen. In dieser Zeit haben sich mehr als 100 Schauspielerinnen zu dem Fall gemeldet und Vorwürfe geäußert. Vier Dokumentations- oder Kinofilme sind schon vor oder kurz nach der Verurteilung erschienen. In der Öffentlichkeit war Weinstein also schon lange vor dem offiziellen Urteil für schuldig erklärt worden.
- Auch beim King of Pop Michael Jackson wurde die Dokumentation "Leaving Neverland" des TV-Senders HBO von vielen als ultimatives Urteil aufgefasst. Auch wenn er zu Lebzeiten für den ihm vorgeworfenen Missbrauch nie verurteilt wurde.
- In Deutschland gilt der Fall von Jörg Kachelmann als Negativ-Beispiel für mediale Vorverurteilung: Dem Moderator und Meteorologen wurde eine schwere Vergewaltigung und Körperverletzung vorgeworfen. In der Presse wurden intimste Details eines Lebens ausgebreitet, sodass sogar das Gericht zu dem Schluss kam, dass es der Öffentlichkeit nicht möglich gewesen sei, sich eine unvoreingenommene Meinung zu dem Fall zu bilden. Erst sieben Jahre nach seiner Festnahme wurde er als unschuldig freigesprochen.
Allein die Nennung Lindemanns im Umfeld von Weinstein und Jackson kann als Vorverurteilung aufgefasst werden. Gerade im Bereich von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch ist die Beweissuche jedoch oft so kompliziert, dass Verfahren sehr lange dauern. Die Herausforderung der Unschuldsvermutung bleibt also noch eine Weile bestehen.
Was heute im Ukraine-Krieg passiert ist
Ukraine verwendet bereits US-Streumunition: Die Ukraine hat laut US-Regierung bereits damit begonnen, die von den Amerikanern gelieferte Streumunition einzusetzen. Das wirke sich bereits auf russische Verteidigungsstellungen und Offensivmanöver aus.
"Neue Agenda für den Frieden" vorgestellt: UN-Generalsekretär António Guterres will die Vereinten Nationen auf aktuelle Konflikte einstellen. Die Periode nach dem Ende des Kalten Krieges sei vorüber, sagte Guterres bei der Vorstellung seines Positionspapiers.
Putin will laut CIA Rache an Wagner-Chef: Der russische Präsident denke darüber nach, wie er sich am besten an Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin rächen könne, sagt CIA-Direktor Burns. Putin glaube, Rache werde "am besten kalt serviert".
Weitere News-Updates zur Lage und zu Reaktionen erhalten Sie jederzeit auch in unserem Liveblog zu Russlands Angriff auf die Ukraine.
Was darüber hinaus wichtig ist
Löwin in Berlin ist vermutlich ein Wildschwein: Die Gemeinde Kleinmachnow und die Brandenburger Polizei gehen nicht mehr davon aus, dass eine Löwin oder ein anderes Raubtier in Berlin oder Brandenburg unterwegs ist. Zwei Tage wurde intensiv nach dem Tier gesucht. Hunderte Polizeibeamte waren beteiligt, teilweise mit Maschinenpistolen und Schilden, sogar Hubschrauber mit Wärmebildkameras wurden eingesetzt. "Die teuerste Safari der Welt" wurde der Fall in unserer Redaktion kommentiert, die Verantwortlichen halten die Maßnahmen aber nach wie vor für gerechtfertigt. Es hätte ja auch tatsächlich eine Löwin sein können, die da durchs Berliner Unterholz gewandert ist.
Gilt das Deutschlandticket bald im Ausland? Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist mit Nachbarstaaten im Gespräch, dort geplante nationale Varianten des Deutschlandtickets gegenseitig anzuerkennen.
Darum geht's beim Bürgerrat: Erstmals soll es in diesem Jahr einen vom Parlament einberufenen Bürgerrat in Deutschland geben - und zwar zum Thema Ernährung. 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden ausgelost. Starten soll der Rat Ende September.
21.07.2023 | 1:42 min
Juli könnte Jahrtausend-Hitzemonat werden: Der Chef-Klimaforscher der US-Raumfahrtbehörde Nasa geht davon aus, dass der Juli 2023 ein Rekordmonat für Hitze sein wird. Schuld daran sei nicht nur das Wetterphänomen El Niño.
Highlights vom Sport
Bei der Fußball-WM der Frauen starten zwei Top-Teams ins Turnier: Die USA ist im Spiel gegen Vietnam (3 Uhr/MESZ) ebenso hoher Favorit wie England gegen Haiti (11.30 Uhr). Von beiden Spielen - wie auch von Sambia gegen Japan (9 Uhr) und Dänemark gegen China (14 Uhr) - gibt’s gleich nach Abpfiff ein Highlight-Video.
Weitere Schlagzeilen
- Sorge um geflohenen US-Soldaten: Der Mann ist nach Nordkorea geflüchtet, um militärischen Disziplinarmaßnahmen zu entgehen.
- Ausschreitungen nach Netanjahu-Rede: Die bevorstehende Abstimmung über ein Kernelement der umstrittenen Justizreform schürt weitere Proteste in Israel.
- Französischer Senat droht mit Tiktok-Verbot: Die chinesische Plattform könne die Demokratie und die Psyche Jugendlicher schädigen, so der französische Senat.
Cartoon des Tages
Quelle: ZDF
Zahl des Tages
738.819. So viele Kinder wurden 2022 in Deutschland geboren. Das waren deutlich weniger als noch 2021. Die durchschnittliche Kinderzahl je Frau sank gegenüber dem Vorjahr um 8 Prozent auf 1,46 Kinder - den niedrigsten Stand seit zehn Jahren.
Gesagt
Deutschland wird immer älter, gleichzeitig werden weniger Kinder geboren. Das bringt die gesetzliche Rente in Schieflage. Obwohl das lange bekannt ist, fehlt es an Reformen, erklärt die Ökonomin Dr. Silke Übelmesser von der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Interview mit ZDFheute.
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Streaming-Tipps für den Feierabend
Scheitern, Aufstehen und neuer Druck: Das verlorene EM-Finale 2022 hat bei den Fußballerinnen der deutschen Nationalmannschaft Wunden hinterlassen. Wie gehen sie damit um? Die Doku-Serie "Born for this - mehr als Fußball" berichtet aus dem Innenleben des DFB-Teams. (61 min)
14.07.2023 | 61:02 min
Erniedrigungen, Mobbing, sexualisierte Übergriffe - im Wissenschaftsbetrieb häufen sich Fälle von Machtmissbrauch. Haben unsere Unis und Hochschulen ein #MeToo-Problem? "Die Spur" hat recherchiert.
19.07.2023 | 28:56 min
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