Nida-Rümelin zu Lindemann: Unschuldsvermutung beachten

    Fall Lindemann bei "illner":Nida-Rümelin: Es gilt Unschuldsvermutung

    Florence-Anne Kälble
    von Florence-Anne Kälble
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    Mit Blick auf den Fall Till Lindemann, hat Julian Nida-Rümelin die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien angemahnt. Der Philosoph erntete dafür bei "maybrit illner" auch Kritik.

    In der Diskussion um ein mögliches Verbot von Auftritten der Band Rammstein hat der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Julian Nida-Rümelin, die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien angemahnt. Nida-Rümelin sagte am Donnerstag in der ZDF-Sendung "maybrit illner":

    Die Regeln des Rechtsstaates, die Unschuldsvermutung: Das ist nicht irgendwie ein juristisches Spiel.

    Julian Nida-Rümelin, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates

    Man könne Dinge widerlich finden und ablehnen, und dennoch verhindere der Rechtsstaat, "dass Volksstimmungen durchschlagen". Rechtsfrieden heiße, "es gibt erstmal Unschuldsvermutung". Dann sei es Sache der Gerichte, die Vorwürfe zu klären. Solche Verfahren endeten "in manchen Fällen" auch unbefriedigend. Das aber berechtige "uns nicht, an die Stelle des Rechtsstaats zu treten und zu sagen, so, jetzt nehmen wir das mal in die Hand".
    Rammstein-Frontmann Till Lindemann werden unter anderem sexuelle Übergriffe vorgeworfen.

    Erosion des demokratischen Fundaments?

    Öffentliche Debatten seien in Ordnung, aber "canceln, entlassen, Sanktionen verhängen" müsse der institutionellen Struktur der Demokratie anvertraut bleiben. "Sonst erodieren die Grundlagen, und zwar sehr schnell auch von rechts", warnte der Philosoph.
    Gegen Mitglieder von Rammstein stehen Vorwürfe sexuellen Missbrauchs im Raum. Gegen Frontmann Till Lindemann hat die Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Im Vorfeld dreier Konzerte in Berlin war eine bundesweite Debatte darüber entbrannt, ob die Auftritte nicht abgesagt werden müssten.
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    "Frau Löwenherz" zur Causa Rammstein

    In der Idealvorstellung würden Menschen nicht hingehen, dann wäre das Thema gegessen. "Aber, soweit sind wir als Gesamtgesellschaft nicht", erklärte Leonie Plaar, Queere Influencerin, Journalistin und "Frau Löwenherz" auf TikTok und Instagram zur "Causa Rammstein". Es reiche, dass ein Mann sage, er sei es nicht gewesen und "schon wird mit der Unschuldsvermutung um sich geworfen", konstatierte sie.
    Aus eigener Erfahrung wisse sie, wie schwer es sei, so eine Tat zu realisieren. "Ich habe vier Jahre gebraucht, um es überhaupt als Vergewaltigung betiteln zu können, weil ich überhaupt nicht verstanden habe, was in dem Moment passiert ist, ich war unter so starkem Alkoholeinfluss, dass ich weder in der Lage war, ja oder nein zu sagen", offenbarte die Queere Influencerin. Hätte sie mit 21 Jahren eine Anzeige erstattet, wäre nichts passiert. "Heißt das, dass diese Person diesen Übergriff an mir nicht begangen hat? Natürlich nicht", fügte Plaar hinzu.
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    Das Thema sei generell schwer beweisbar und nur ein kleiner Bruchteil, der wegen sexueller Übergriffigkeit, besonders wegen Vergewaltigung, angezeigt werde, wird überhaupt verurteilt. "Ich glaube lieber einer Lügnerin als einem Vergewaltiger", fügte die Journalistin hinzu.

    Debatte über Meinungsfreiheit

    Ein weiteres Thema der Sendung war die Problematik von Meinungsfreiheit und Cancel Culture. Düzen Tekkal, Autorin, Politikwissenschaftlerin, kurdisch-jesidischer Abstammung, betonte, dass die Menschen nicht empfindlicher seien, sondern sich einfach nur der Diskurs erweitert hätte. Nach Ansicht von Tekkal sei verbieten nicht der richtige Weg, man müsse es vorleben.

    Tekkal: Erfahrung zählt, nicht Betroffenheit

    "Vor Witzen mit dem Z-Wort sollte erklärt werden, dass den Großeltern vor dem Vergasen das Wort eingeritzt wurde, so denkt jemand dreimal nach, ob er so einen Witz erzählen möchte", ist sich die Politikwissenschaftlerin sicher. Es zähle die Erfahrung, nicht die Betroffenheit.

    Der Diskurs muss erweitert werden, denn wenn wir nur über uns reden dürfen, geht etwas verloren.

    Düzen Tekkal, Autorin

    Die Möglichkeit eines Shitstorms schwebe dabei immer wie ein Damoklesschwert über allem. Wichtig sei deshalb, ganz genau zu zuhören und die "ismen" zu bekämpfen, denn "nicht jede Meinung ist gleich Cancel Culture". Düzen Tekkal forderte, dass über Probleme konkreter gesprochen werden müsse, um diese zu lösen, müsse man in Graustufen sprechen. Die Autorin machte deutlich: "Das Leben ist nicht sanft, dazu gehört Mut."

    Kerkeling: Sind auf dem falschen Weg

    "Wenn man dieser Diskussion, die bis jetzt geführt wurde, zuhört, und nicht weiß, in welcher Gesellschaft wir heute leben, müsste man annehmen, dass wir auf dem besten Wege sind, so eine Art "liberales Paradies" zu schaffen (...) - das Gegenteil ist aber der Fall", konstatierte Hape Kerkeling, Entertainer und Autor.
    Seiner Ansicht nach gehe es gerade in die falsche Richtung. Man müsse die Menschen mitnehmen. "Radikal Kinderbücher umschreiben ist nicht der richtige Weg, das muss man anders angehen." Kerkeling gab auch zu bedenken, dass beim Beschreiten des sanftes Wegs nicht vergessen werden sollte, dass die Gegenseite militant ist.

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