Reformstau: Warum die Rente nur bedingt sicher ist
Interview
Reformstau bei Altersvorsorge:Warum die Rente nur bedingt sicher ist
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Deutschland wird immer älter, gleichzeitig werden weniger Kinder geboren. Das bringt die gesetzliche Rente in Schieflage. Obwohl das lange bekannt ist, fehlt es an Reformen.
Die gesetzliche Rente könnte weiter sinken.
Quelle: dpa
Immer weniger Erwerbstätige, immer mehr Rentenbezieher*innen: Die Grundlage der gesetzlichen Rentenversicherung gerät ins Wanken
Fehlender politischer Mut für Reformen: Mit dem Thema "Rente" gewinnt man keine Wahlen
Reformansätze sind überschaubar: Die eine Lösung, die keinem weh tun wird, gibt es nicht
ZDFheute: "Die Rente ist sicher" - daran ließ Norbert Blüm 1986 keinen Zweifel. Wie steht es um den wohl bekanntesten Satz des einstigen Bundesarbeitsministers heute?
Silke Übelmesser: Mittlerweile kann man den Satz nicht mehr so einfach stehenlassen. Deutschland befindet sich inmitten eines tiefgreifenden demografischen Wandels. Die Menschen im Land werden immer älter, gleichzeitig werden weniger Kinder geboren.
... ist Inhaberin des Lehrstuhls für Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem öffentliche Finanzen und Sozialpolitik.
Die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten "Babyboomer", gehen peu á peu in den Ruhestand. Dies hat Auswirkungen auf die Tragfähigkeit der Sozialsysteme und bringt erhebliche Probleme und Herausforderungen insbesondere für die gesetzliche Rentenversicherung mit sich. Die Grundlage, auf der diese fußt, gerät ins Wanken.
Bevölkerung nach Altersgruppen
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ZDFheute: Die demografische Entwicklung ist seit Jahrzehnten bekannt. Warum tut sich die Politik so schwer damit, eine Antwort auf diese Herausforderungen zu geben?
Übelmesser: Mit dem Thema "Rente" gewinnt man keine Wahlen. Ganz im Gegenteil: Zunächst entstehen Kosten und Zumutungen, die Erträge sieht man erst in ein paar Jahren oder gar Jahrzehnten.
Ein Blick in den aktuellen Koalitionsvertrag reicht. Da steht vorwiegend drin, was nicht gemacht werden soll: Das Rentenniveau soll stabil bleiben, weder der Beitragssatz noch das Rentenalter sollen weiter steigen.
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Die Kritik geht aber nicht nur an die amtierende Ampel. Auch in der letzten oder vorletzten Legislaturperiode hat der Mut gefehlt, vorausschauend zu handeln.
ZDFheute: Welche Reformansätze sind notwendig und denkbar?
Übelmesser:
Es braucht ein Bündel an Maßnahmen, das die gesetzliche Rentenversicherung betrifft, aber auch die private und betriebliche Altersversorgung stärkt. Ein erster Schritt ist die allerdings noch mit vielen Fragezeichen versehene Idee, ein Generationenkapital aufzubauen.
Eine andere Stellschraube wäre, durch Zuwanderung mehr Erwerbspersonen zu gewinnen, die in die Rente einzahlen. Letztendlich sind sowohl die langfristigen Optionen als auch die kurzfristigen Stellschrauben überschaubar.
... hieße, aus öffentlichen Mitteln einen Kapitalstock zu schaffen, dessen Erträge die Rentenbeiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung mit stabilisieren können. Bis dieser soweit ist, braucht es Jahrzehnte. Geklärt werden muss, ob die Mittel für den weiteren Aufbau auch in den nächsten Jahren bereitgestellt werden und die Erträge dafür ausreichen.
... könnte zu mehr Einzahlenden in die Rentenkasse führen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz versucht Deutschland für Menschen außerhalb der Europäischen Union attraktiver zu machen. Es bleibt zu sehen, wie erfolgreich sich Deutschland im internationalen Wettbewerb um Zuwander*innen behauptet.
Den weiteren Möglichkeiten das Renteneintrittsalter, den Beitragssatz und den Bundeszuschuss zu erhöhen, steht die Option das Rentenniveau zu senken gegenüber. Wichtig ist, alle Möglichkeiten im Blick zu behalten.
Übelmesser: In der Diskussion des Vorschlags von Monika Schnitzer ist leider etwas untergegangen, dass sie die Witwen- und Witwerrente nicht abschaffen, sondern neu regeln möchte. Zudem geht es, wenn überhaupt, um neue Ehen. Vertrauensschutz ist hier sehr wichtig.
Mit Blick auf die Herausforderungen für die Rente sehe ich an der bisherigen Ausgestaltung schon auch zwei Probleme: Zum einen entstehen unbefristete Rentenansprüche für Hinterbliebene, selbst wenn diese selbst nie in die Rentenversicherung eingezahlt haben.
Das heute journal hat Menschen, die nach 2045 in Rente gehen, nach ihren Erwartungen gefragt.25.11.2016 | 2:59 min
Zum anderen wird ein eigenes Einkommen bis dato jenseits eines Freibetrags angerechnet. Das führt zu einem geringeren Anreiz, selbst zu arbeiten. Für die Rentenversicherung ist das wiederum schlecht, weil wir ja die Anzahl an Erwerbspersonen dringend erhöhen müssen.
ZDFheute: Wie ist es um die gesellschaftliche Akzeptanz von Reformmöglichkeiten bestellt?
Übelmesser: In der Gesellschaft wird die Notwendigkeit und Dringlichkeit für Reformen bislang noch nicht wirklich gesehen, teilweise bedingt durch die beruhigende Rhetorik der Politik.
Circa 13 Millionen Erwerbspersonen werden in den nächsten 15 Jahren das gesetzliche Rentenalter erreichen.
Folge: Kamen im Jahr 2000 noch 27 Personen über 65 Jahren auf 100 Personen zwischen 20 und 64, werden es 2035 wohl 49 ältere auf 100 Personen zwischen 20 und 64 Jahren.
Um das derzeitige Rentenniveau halten zu können, müsste der Beitragssatz bis 2050 von heute 18,6 Prozent auf fast 26 Prozent steigen.
Der durch Steuern finanzierte Bundeszuschuss müsste ebenfalls weiter erhöht werden, was wohl Einschnitte an anderen Stellen zur Folge hätte.
Bereits heute werden 121 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt für Zahlungen für die Rentenversicherung und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung verwendet. Zum Vergleich: Für Investitionen sind 2023 lediglich 54 Milliarden Euro eingeplant.
Deshalb sind die Entscheidungsträger*innen gefragt. Sie müssen die Bürger*innen von der Notwendigkeit der Reformen überzeugen. Es muss gelingen, stärker ins Bewusstsein zu rücken, wie der demografische Wandel auch mit der Rentenversicherung zusammenhängt und dass Reformen notwendig sind.
Mehr Informationen helfen, dass die Akzeptanz für nötige Maßnahmen steigt, auch wenn diese womöglich weh tun. Das haben wir an der Friedrich-Schiller-Universität Jena in einer Studie - gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie vom Fördernetzwerk Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung, -gemeinsam mit der Universität Mannheim gezeigt. Diese fragt nach der Akzeptanz in der Bevölkerung für Reformen der Alterssicherung.