Lieferdienste für Lebensmittel: Das wurde aus Flink und Co.

    Lebensmittel von Flink und Co.:Lieferdienste: Das wurde aus dem Corona-Hype

    von Karen Grass
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    In der Pandemie traten neue Start-ups mit dem Claim an: Wir bringen dir Lebensmittel in zehn Minuten. Die Vision: nicht weniger als eine Einkaufsrevolution. Wo ist die geblieben?

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    Während Corona waren sie plötzlich überall: Schnelllieferdienste wie Gorillas, Getir, Flink oder Grovy. Werbeclaims wie "Flink's dir" oder "Gorillas - faster than you" an jeder Straßenecke. Die Start-ups witterten in der Pandemie ihre Chance. "Die Stimmung in der Szene war: Da geht was, vielleicht kann man die Welt des Lebensmitteleinkaufs dauerhaft umkrempeln", erinnert sich Ronny Gottschlich, Ex-Manager des Lieferdienstes Gorillas.

    Millioneninvestments pushen die Start-ups

    Lieferung per Rad in zehn Minuten direkt an die Tür, mit kaum Aufpreis auf den Supermarkteinkauf - und quasi ohne Infektionsrisiko. Das klang auch für viele Investor*innen bestechend. Sie butterten Hunderte Millionen in die Start-ups und machten etwa Gorillas in Rekordzeit zum "Einhorn" - so nennt man Firmen mit einer Unternehmensbewertung ab einer Milliarde Euro.

    Da herrschte Goldgräberstimmung, wo die Lebensmittelbranche doch sonst als Investitionsobjekt nie sonderlich sexy war.

    Ronny Gottschlich, Ex-Manager beim Lieferdienst Gorillas

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    Blitzlieferungen verursachen hohe Kosten

    Es gab nur ein Problem: Für ihre Blitzlieferungen brauchten die Start-ups viele dezentrale Lager und sehr viel Personal. Um bekannter zu werden, steckten sie außerdem massiv Geld in Werbung und lieferten sich Rabattschlachten.
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    Reinholen konnten sie diese ganzen Kosten aber erstmal nicht. Denn: "In Deutschland hat man bei Lebensmitteln traditionell eine geringe Ertragsquote, die Menschen sind da sehr preissensibel", sagt Prof. Erik Maier von der Leipzig Graduate School of Management. "Mit jeder Kundenbestellung über 20, 30 Euro dürften die Start-ups anfangs mehrere Euro Verlust gemacht haben."

    • Für das Zehn-Minuten-Lieferversprechen musste jede Bestellung händisch zusammengestellt und einzeln ausgefahren werden, das produzierte hohe Kosten.
    • Viel einsparen ließ sich aber nicht. Das Personal verdiente vielfach nur auf Mindestlohn-Niveau und Gorillas beispielsweise hatte ohnehin schon Stress mit sich organisierenden Beschäftigten, die eher Verbesserungen forderten und der Firma Negativschlagzeilen einbrachten.
    • Stattdessen die Preise hochzusetzen, hätte in der Startphase - zumal bei der hohen Konkurrenzdichte - aber wohl Kundschaft gekostet.
    • Diverse Studien und Fachleute kommen deshalb zu dem Schluss, dass sich Blitzlieferungen in Deutschland kaum profitabel anbieten lassen.
    • Branchenkenner Ronny Gottschlich analysiert rückblickend: Das Modell kann wirtschaftlich eigentlich nur in Märkten mit einer kaufkräftigen Mittelschicht und gleichzeitig niedrigen Arbeitsstandards funktionieren, zum Beispiel in Saudi-Arabien.

    Eine Wette auf die Zukunft

    Warum machen Firmen so etwas? Das Kalkül geht so: Hat die Kundschaft ein Angebot erstmal lieb gewonnen, ist sie nach und nach womöglich bereit, mehr zu bezahlen - und länger zu warten. "Ich nehme die Startverluste in Kauf, weil ich weiß: Diese Phase dauert vielleicht zwei Jahre, aber danach kann ich profitabel agieren", erklärt Ex-Manager Gottschlich.
    Nur: Diese Phase erreichten die meisten Start-ups nie, denn die Rahmenbedingungen änderten sich: "Corona endete langsam, alles hat sich normalisiert", so Gottschlich. Grovy meldete 2022 Insolvenz an, Gorillas wurde Ende desselben Jahres vom Konkurrenten Getir übernommen. 2024 gab auch der sein Business in Deutschland auf. Gottschlich verließ Gorillas schon deutlich vor dieser Abwärtsspirale und wurde wieder Branchenberater.
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    Radikale Marktbereinigung

    Die Marktbereinigung dürfte Millionen Investitionsgelder und etliche Jobs vernichtet haben. Vom ersten Hype ist quasi nur Flink übrig, wo der Einzelhändler Rewe eingestiegen ist. Heute gibt es dort je nach Warenkorb und Entfernung abgestufte Gebühren und man wartet auch mal 70 Minuten auf die Lieferung. Flink gibt an, so operativ profitabel zu sein.

    Langsamer, aber dennoch auf der Überholspur erobern nach dem Blitzlieferhype andere Player wie Picnic oder Knuspr den Markt:
    • Der Onlinesupermarkt Knuspr verspricht beispielsweise Lieferungen ab drei Stunden Wartezeit.
    • So kann er mehr Bestellungen bündeln und stark mit Automatisierung arbeiten. Das kann Kosten sparen und sich nach Schätzung von Fachleuten eher rechnen.

    Um Kosten zu sparen und zu wachsen, geht der Trend am Liefermarkt aktuell zur Zusammenarbeit:
    • So kooperiert etwa Knuspr mit Amazon und ist dort mit seinem Angebot in die App integriert.
    • Flink macht es ähnlich mit dem Speiselieferdienst Lieferando: Über die Lieferando-App lassen sich jetzt auch Lebensmittel bestellen, die Flink ausliefert.
    • Auch Lieferdienste wie Wolt fahren bereits seit einiger Zeit Lebensmittel aus - etwa aus einigen Edeka-Filialen.
    • Fachleute schätzen, dass sich auf Dauer eine Aufgabenteilung ergibt und dass einige Dienste sich rein auf die Logistik spezialisieren könnten, während andere zum Beispiel den Vertrieb übernehmen.

    Zuletzt spekulierten Medien, Rewe wolle Flink womöglich komplett übernehmen. Sinn ergäbe das laut Branchenkenner Gottschlich durchaus: "Dann könnte man in einer App das Flink-Angebot als schnelle Lieferoption mit ordentlich Aufpreis anbieten, den eigenen Rewe-Lieferdienst mit etwas weniger Aufpreis und Click & Collect als günstigste Option." Rewe dementierte Übernahme-Gerüchte, betonte aber, das Lieferbusiness sei ein Zukunftsmarkt und man positioniere sich dafür.
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    Karen Grass ist Redakteurin fürs ZDF-Magazin "WISO".

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