Leichtathletik-WM: Joshua Hartmann will den nächsten Rekord
Leichtathletik-WM - 200 Meter:Joshua Hartmann: Der Mann mit dem Bounce-Fuß
von Susanne Rohlfing
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Der deutsche 200-Meter-Rekordhalter peilt in Budapest eine Zeit unter 20 Sekunden an. Warum der 24-Jährige vom ASV Köln dafür keine Hightech-Schuhe braucht, erklärt sein Coach.
Joshua Hartmann knackt bei den Deutschen Meisterschaften den Rekord über 200 Meter. Bei der WM in Budapest soll nun die nächste Bestmarke fallen.
Quelle: Imago
Joshua Hartmann trägt mit voller Absicht veraltetes Schuhwerk. Die modernen Hightech-Spikes mit Carbonplatten und Superschaum in den Sohlen hat er ausprobiert - und gleich wieder aussortiert.
Was der Schuh kann, kann Hartmanns Fuß besser. "Der Benefit war bei Josh nicht gegeben", so erklärt es sein Heimtrainer Jannick Engel.
Die 19 soll vors Komma
Der Deutsche Rekord über 200 Meter, den Hartmann bei den Deutschen Meisterschaften in diesem Jahr aufstellte, dürfte damit eine der wenigen Lauf-Bestmarken der jüngeren Vergangenheit sein, die rein gar nichts mit den neuesten Tüfteleien der Schuhhersteller zu tun haben.
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Interview
So altmodisch beschuht startet der 24-Jährige vom ASV Köln am Mittwoch bei der Leichtathletik-WM in Budapest eine verwegene Mission: Er will die 19 vors Komma zaubern. Mit 20,02 Sekunden hatte er die 18 Jahre alte Bestmarke (20,20) von Tobias Unger pulverisiert.
Eine 19er Zeit, das wäre weltklasse - und sollte ihm nach Ansicht seines Leverkusener Coaches das Ticket fürs WM-Finale bescheren.
Hartmann fällt auf im Reigen der muskelbepackten Weltelite, die von Noah Lyles aus den USA angeführt wird, dem frisch gekürten 100-Meter-Weltmeister von Budapest und Titelverteidiger über die 200 Meter.
Er ist Spitzenreiter der Weltjahresbestenliste mit 19,47 Sekunden, seine Bestleistung steht bei 19,31 Sekunden - er strebt nach dem Weltrekord (19,19) von Usain Bolt. Verglichen mit manchem 100-Meter-Spezialisten ist Lyles ein filigraner Läufer. Verglichen mit Hartmann ist er ein wuchtiges Kraftpaket.
Antilope unter den Tigern
"Josch ist der reaktive, bouncige Typ", sagt sein Coach: "Sein Vorteil ist ein ideales Kraft-Last-Verhältnis." Er ist die Antilope unter den Tigern, schmal und elegant anstatt breitschultrig und vor Kraft strotzend. Größere Muskelberge würden mehr Maximalkraft mit sich bringen, aber eben auch mehr Gewicht, das bewegt werden muss.
"Das ist ein schmaler Grat", sagt Engel. Zumal das System bei Hartmann so gut austariert ist, dass seine Sehnen im Fuß, vor allem die Achillessehne, "viel Energie speichern und wieder abgeben können".
So beschreibt es Engel, der Hartmann als Zwölfjährigen bei einer Talentsichtung des ASV Köln entdeckte und ihn seit dessen erstem Jahr in der U16 betreut.
Moderne Spikes speichern Energie
Energie speichern und beim Abdruck des Fußes wieder abgeben - genau das ist das Prinzip der modernen Spikes. Sie belasten die Strukturen des Athleten-Fußes dabei allerdings deutlich stärker als herkömmliche Schuhe.
"Sie sind orthopädisch ein Risiko", sagt Engel. Deshalb verlässt Hartmann sich lieber auf seine naturgegebenen Bounce-Fähigkeiten. Und auf seine neu entwickelte Akribie im Training. Im vergangenen Jahr wurde er bei der EM in München Fünfter über 200 Meter.
"Das hat ihm gezeigt, dass für ihn mehr möglich ist als bei Großereignissen in der deutschen 4x100-Meter-Staffel dabei zu sein", sagt Engel.
Die große Bühne ist bereitet
Hartmann habe sein Leben inzwischen voll auf seinen Sport ausgerichtet. Wann er aufsteht, wann er schlafen geht, wann und was er isst. "Er ist in allem sehr straight", so sein Coach, "und er ist immer der Erste auf dem Trainingsplatz und der Letzte, der wieder geht."
Das Resultat: der Deutsche Rekord. Und hätte Hartmann dabei nicht schon verfrüht jubelnd den Arm ausgefahren, hätte er seine Mission 19-vor-dem-Komma wohl schon in Kassel vollenden können.
Er nahm den Fauxpas jedoch gelassen und bekundete kurz darauf im aktuellen sportstudio: "Das habe ich mir für noch ein bisschen größere Bühnen aufgehoben."
Engel: Hartmann fit wie nie
Eine solche ist in Budapest bereitet. Engel erklärt, Hartmann sei fit wie nie. Und die Gefahr einer die Geschwindigkeit beeinträchtigenden Jubelgeste sei ja auch eher nicht gegeben. Dafür ist die internationale Konkurrenz zu stark.
Hartmann wird in jedem Lauf alles geben müssen, um vom Vorlauf (23. August, 12.15 Uhr) über das Halbfinale (24. August, 20.20 Uhr) ins Finale (25. August, 21.50 Uhr) zu rennen. Gelingt ihm das, wäre er der erste Deutsche in einem WM-Endlauf über 200 Meter seit Tobias Unger 2005.