Hansi Flick bei DFB-Elf zwischen Aufbruch und Abbruch
Kapitänswechsel soll Job retten:Hansi Flick zwischen Aufbruch und Abbruch
von Frank Hellmann
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Bundestrainer Hansi Flick verspürt große Lust, die Nationalmannschaft zu betreuen. Um seinen Job zu retten, macht er Ilkay Gündogan zum Kapitän und entmachtet Joshua Kimmich.
Bundestrainer Hansi Flick steht vor den Spielen gegen Japan und Frankreich gewaltig unter Druck.
Es hätte ein Verhör werden können, die Pressekonferenz am Freitag im Pavillon für Nutzfahrzeuge mitten im Herzen der Autostadt Wolfsburg. Wenn Fußballlehrer dermaßen in Bedrängnis geraten wie Hansi Flick vor den Länderspielen gegen Japan (Samstag 20.45 Uhr) und dann gegen Frankreich in Dortmund (Dienstag 21 Uhr), sind bohrende Fragen unvermeidlich.
Flick eher locker als gestresst
Vorweg: Der Bundestrainer hat den Pflichttermin rhetorisch zwar nicht mitreißend abgespult, aber er wirkte auch nicht miesepetrig. Im Gegenteil: Dafür, dass speziell für ihn so viel auf dem Spiel steht, kam er fast locker rüber.
War das wirklich derselbe Flick, der die deutschen Nationalspieler während der Fußball-WM in Katar wie Schulbuben abgekanzelt hatte? Mit dem verlorenen Auftaktspiel eben gegen Japan (1:2) nahm die am Ende auf allen Ebenen vermasselte WM-Mission ihren Anfang.
Flick kommt in Doku nicht gut weg
Detailliert belegt eine seit Freitag abrufbare TV-Doku auf Prime Video die Misstöne und Verstimmungen; mittendrin ein ohne Kompass durch die Wüste irrender Bundestrainer, der schroff das Team anbrüllt und doch kaum Gehör findet.
Die vier Teile unter dem Titel "All or nothing" habe er sich nicht angeschaut, raunte Flick, dem der Zeitpunkt der Veröffentlichung natürlich nicht gepasst haben kann.
Flick macht Ilkay Gündogan zum Kapitän der DFB-Elf
Aber auch darüber beklagte sich der 58-Jährige nicht mehr: "Der DFB hat keinen Einfluss darauf." Wenn man dem Projekt zustimme, müsse man sich an Verträge halten. Flick selbst verspürt angeblich großes Verlangen, seine vertragliche Vereinbarung trotz des WM-Frusts bis zur EM 2024 zu erfüllen.
Um das Vergnügen nicht zu verlieren, habe er sich ein bisschen abgekapselt: "Ich lese kaum noch etwas, das tut mir gut."
Nun stellte Flick einen Hierarchiewechsel vor, der nicht ohne Brisanz ist: "Ich habe mich entschieden, Ilkay Gündogan die Kapitänsbinde zu geben, gemeinsam mit Joshua Kimmich ist das unser Führungsduo: Das gibt uns eine neue Energie."
Freie Auswahl auf der Sechser-Position, Mangel auf Rechts. Diese Situation kann dazu führen, dass Joshua Kimmich in der DFB-Elf versetzt wird. Erfreut wäre er darüber wohl nicht.
Die Entmachtung des oft von ihm oft genug bevorzugten Bayern-Blocks wird also mit aller Konsequenz vorangetrieben, denn hinter Gündogans Beförderung steckt natürlich Kalkül.
Klar, dass der neben ihm sitzende 32-Jährige von einer großen Ehre berichtete, denn seine DFB-Karriere ist von so vielen Höhen und Tiefen durchsetzt, dass sich daraus mindestens ein eigener Film drehen ließe.
Nur warme Worte für Joshua Kimmich
Der gebürtige Gelsenkirchener mit türkischen Wurzeln, der bei Manchester City ebenfalls das Kapitänsamt unaufgeregt ausführte und sich nach eigenem Bekunden beim FC Barcelona bereits richtig wohlfühlt, gilt als die integrativere Figur als der mitunter überehrgeizige Kimmich, der vor seinem 80. Länderspiel nicht nur die schwarz-rot-goldene Binde, sondern auch die zentrale Mittelfeldrolle los ist.
In einem Geheimtest gegen die eigene U20 spielte der 28-Jährige rechts hinten. Flick formulierte geschickt:
Schon beim Champions-League-Titel 2020 hatte Flick eben Kimmich als Rechtsverteidiger aufgestellt. Eine Einsatzgarantie erhalten in der Innenverteidigung überdies Antonio Rüdiger und Niklas Süle.
Endlich kündigen sich also klare personelle Leitplanken an. Und angeblich habe man sich als Lehre aus der WM auch auf eine Spielphilosophie geeinigt:
Eine neuerliche Niederlage gegen den vierfachen Asienmeister darf sich Flick nicht leisten, denn die würde vielleicht DFB-Präsident Bernd Neuendorf, nicht aber Liga-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke mehr goutieren.
Dass sich die beiden wichtigsten Bosse noch über den Kinderfußball zanken, passt irgendwie ins desaströse Bild für die Aushängeschilder des deutschen Fußballs.