Putins Scharfmacher: Was will Medwedew?

    Aggressive Rhetorik gegen Westen:Putins Scharfmacher: Was will Medwedew?

    von Sebastian Ehm und Nina Niebergall
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    Er flucht, droht dem Westen und beschimpft die Ukraine: Dabei war Dmitri Medwedew einmal Russlands liberaler Hoffnungsträger. Warum benimmt er sich so und was treibt ihn an?

    Dmitri Medwedew
    Dmitri Medwedew schimpft auf den Westen und die Ukraine. (Archivbild)
    Quelle: dpa

    Am Morgen nachdem der Kachowka-Staudamm in der Ukraine gesprengt worden war, meldete sich Dmitri Medwedew per Telegram zu Wort. Er tat dies so, wie er es immer tut. Derbe in der Wortwahl, ohne diplomatische Zurückhaltung. Sein Motto: Attacke.
    Er wirft der Ukraine vor, sich vom Westen instrumentalisieren zu lassen, gegen Geld Russland anzugreifen. Anschließend beschimpft er die ukrainische Staatsspitze als Nazis, Kokain-Bande und Drogenabhängige, die man irgendwann aufknüpfen müsse, wie einst Mussolini.

    Medwedew hat sich radikalisiert

    Es ist nicht überraschend, dass sich der russische Ex-Präsident Medwedew so äußert. Es ist mittlerweile zur Normalität geworden. Seit Russland in die Ukraine einmarschiert ist, hat sich Medwedew radikalisiert. Mal fabuliert er über die Aufspaltung der Ukraine, dann droht er mit dem dritten Weltkrieg oder er bezeichnet die westlichen Staats- und Regierungschefs als "Zirkus der Arschlöcher".
    "Medwedew ist ein Chamäleon, das versucht, sich an neue Umstände anzupassen", erklärt Abbas Galljamow, ehemaliger Redenschreiber von Wladimir Putin. "In den 2000er-Jahren, als sein Aufstieg begann, war es vielversprechend, sich in der liberalen Nische zu bewegen." Die Situation habe sich radikal verändert, die Nische sei vollkommen marginalisiert.

    Um in dieser neuen Situation zu überleben - und zwar nicht nur im politischen, sondern wahrscheinlich sogar im wörtlichen Sinne - ist Medwedew zu diesem Ultranationalismus übergegangen.

    Abbas Galljamow, ehemaliger Redenschreiber Putins

    Dmitri Medwedew kommt aus gutbürgerlichem Haus. Sein Vater war Professor, seine Mutter Lektorin. Er selbst schon in frühen Studienjahren ein angesehener Jurist an der Universität von St. Petersburg. Dort lernt er auch Wladimir Putin kennen. Seit den späten 90er-Jahren kennen sich die beiden.

    ... ist Politikwissenschaftler. Von 2008 bis 2010 war er Putins Redenschreiber. Anschließend war er als politischer Berater tätig. 2023 wurde er zum "ausländischen Agenten" erklärt. Nachdem er sich zu den Verbrechen an der Zivilbevölkerung im ukrainischen Butscha geäußert hatte, wurde er wegen der Verbreitung von Falschmeldungen über die russische Armee auf die Fahndungsliste gesetzt. Jetzt lebt er mit seiner Familie in Israel.

    Im Im engsten Kreis von Putin

    Medwedew verhalf Putin als Wahlkampfmanager bei dessen erster Wahl zum Sieg. Danach gehörte er zum Inner Circle des Präsidenten. Im Juni 2000 stieg er zum Ersten stellvertretenden Leiter der russischen Präsidialverwaltung auf und war verantwortlich für Putins Tagesplanung. Ein mächtiger Job in Moskau.
    Als Wladimir Putin nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte, wurde Medwedew Ende 2007 zum Kandidaten ernannt. Putin unterstützte diese Kandidatur ausdrücklich. Viele Beobachter dachten damals, Medwedew könne jemand sein, der die russische Politik auf Jahre hinaus prägen und modernisieren könne.

    Modern, offen, liberal?

    Tatsächlich inszenierte sich Medwedew zunächst als moderner und offener Präsident. Er reiste in die USA und besuchte das Silicon Valley. Es gibt Selfies von ihm mit Steve Jobs. Er ging mit Barack Obama Burger essen und beschrieb sich als Fan britischer Rock-Bands wie Pink Floyd und Led Zeppelin.
    Er stieß Reformen an, versuchte auch den Einfluss von Polizei und Sicherheitsorgane zu beschneiden. "Der Konflikt zwischen den Sicherheitskräften und den Liberalen fand auf ideologischer Ebene statt, aber es gab auch eine reale Komponente des Machtkampfes", erklärt Abbas Galljamow.

    Medwedew versuchte, den Einfluss der Sicherheitsorgane auf die Wirtschaft zu begrenzen. Die Sicherheitsorgane verziehen ihm nicht.

    Abbas Galljamow, Politikwissenschaftler

    Viele Oppositionelle und unabhängigen Journalisten waren misstrauisch, hielten ihn für eine Marionette Putins. Aber es gab auch diejenigen, die auf Medwedew hofften, die dachten, er würde für eine zweite Amtszeit kandidieren. Als er im September 2011 ankündigte, das nicht zu tun, Putin vielmehr für eine dritte Amtszeit kandidieren würde, protestierten im ganzen Land Tausende gegen Putins Rückkehr.
    [Weiterer Prozess gegen Nawalny: Wie ist die Lage der russischen Opposition?]

    Medwedew als Nachfolger Putins?

    Als Medwedew 2012 zum Ministerpräsidenten ernannt wurde, hielt er sich demonstrativ aus der Politik Putins raus. 2020 wurde er von Michail Mischustin abgelöst und zum Vizechef des Sicherheitsrates ernannt.

    Es schien, als hätte Putin Medwedew eine zweite Chance gegeben. Dass er vielleicht sogar Putins Nachfolger werden würde.

    Abbas Galljamow, Politikwissenschaftler

    "In Russland droht Bürgerkrieg der Eliten", meint die ehemalige Korrespondentin Sabine Adler bei Maybrit Illner:
    Dass Medwedew wieder eine politische Zukunft für sich sieht - darauf deutet seine aggressive Rhetorik seit Beginn des Ukraine-Kriegs hin. Er übererfülle damit Putins Ansprüche an einen möglichen Nachfolger, glaubt Galljamow. Ob es noch was bringt? Der Haftbefehl des Den Haager Strafgerichtshofs gegen Putin habe viel verändert.
    "Vielleicht hatte Putin gehofft, den Problemen durch die Aufnahme von Verhandlungen und die Rückgabe des Territoriums zu entgehen", meint Abbas Galljamow.

    Jetzt sind die Chancen, da rauszukommen, dramatisch gesunken. Und so sind die Chancen, dass er die Macht überträgt natürlich gesunken.

    Abbas Galljamow, Politikwissenschaftler

    Auch wenn Medwedew schon einmal seine Loyalität unter Beweis gestellt habe, als er für Putin den Präsidentenposten wieder freigemacht hat - der russische Präsident kann ihn inzwischen kaum mehr zum Nachfolger machen. Die Sicherheitsorgane trauen ihm nicht und das liberale Russland erst recht nicht.
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    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
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    Sebastian Ehm und Nina Niebergall berichten als ZDF-Korrespondenten über Russland, die Kaukasus-Region und Zentralasien.

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