Beschluss zu Ukraine: "Verpasste Chance" bei Nato-Gipfel?

    Interview

    Reaktionen auf Ukraine-Beschluss:"Verpasste Chance" bei Nato-Gipfel?

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    Die Nato will der Ukraine vorerst keine formelle Einladung aussprechen - für den CDU-Sicherheitspolitiker Kiesewetter eine falsche Entscheidung. Grünen-Chef Nouripour hält dagegen.

    Screenshot aus Video: Roderich Kiesewetter (CDU) spricht im ZDF Morgenmagazin
    Man hätte sagen sollen, "eine Nato-Aufnahme, sobald die Sicherheitsbedingungen es zulassen." Das wäre "ein klares Signal an Putin" gewesen, so Roderich Kiesewetter, CDU.12.07.2023 | 5:15 min
    CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter hat die ausgebliebene formelle Einladung der Nato an die Ukraine kritisiert. Im ZDF Morgenmagazin sagte er:

    Ich denke, es ist eine verpasste Chance für die europäische Sicherheit, sehr klar Putin deutlich zu machen, dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine nach dem Krieg unzweifelhaft ist.

    Roderich Kiesewetter, CDU-Sicherheitspolitiker

    Kiesewetter sagte weiter: "Man hätte es auch besser formulieren können, in dem man gesagt hätte: Eine Nato-Aufnahme, sobald die Sicherheitsbedingungen es zulassen, hinreichend konkret für die ukrainische Bevölkerung und ein klares Signal an Putin, dass man das nicht mehr verhandeln kann."
    Omid Nouripour  Bündnis 90/Die Grünen | Parteivorsitzender
    "Das Versprechen ist da, dass die Ukraine nach dem Krieg [in die Nato] aufgenommen wird", so der B'90/Grüne-Vorsitzende Omid Nouripour zum Nato-Gipfel in Vilnius.12.07.2023 | 5:56 min

    Nouripour verteidigt Nato-Entscheidung 

    Grünen-Chef Omid Nouripour wandte sich im ZDF Morgenmagazin gegen die Aussage Kiesewetters, die Nato habe mit dem Verweigern einer Einladung und eines Zeitplans eine Chance verpasst. Nouripour sagte:

    Die Chance ist ja nicht weggegeben worden. Es ist sehr klar zum Ausdruck gebracht worden: die Ukraine wird der Nato angehören - und zwar sehr bald. Und das ist auch in Russland gehört worden.

    Omid Nouripour, Grünen-Chef

    Grünen-Chef: Krieg muss vor Aufnahme zu Ende sein

    Er verstehe die Ungeduld der ukrainischen Seite, sagte Nouripour. Aber "dass Regularien eingehalten werden müssen, ist eine Selbstverständlichkeit." Es gebe einen "sehr klaren Fahrplan", sagte Nouripour weiter. Nach Ende des Kriegs solle dem Land mit Sicherheitsgarantien beigestanden werden.

    Der Krieg wird zu Ende sein müssen, damit man ein Land aufnehmen kann. Das ist glaube ich auch von der ukrainischen Seite immer gesehen worden. Die haben auch nicht gesagt, dass sie sofort aufgenommen werden wollen, sondern dass sie einen sehr festen Zeitplan haben wollen.

    Omid Nouripour, Grünen-Chef

    Nouripour sprach sich auch gegen die von den USA angekündigte Lieferung von Streumunition an die Ukraine aus. Streumunition sei "de facto Verminen von ganzen Landstrichen", sagte er.

    Kein Zeitplan für Aufnahme der Ukraine

    Zur Enttäuschung der Ukraine hatten die Teilnehmer des Nato-Gipfels in Litauen am Dienstag keinen Zeitplan für einen Beitritt des Landes zum Militärbündnis festgelegt. Die Ukraine solle der Nato beitreten, wenn die Verbündeten dem zustimmten und die Bedingungen erfüllt seien, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisierte das Fehlen eines Zeitplans als absurd.
    Die Nato hat der Ukraine schon 2008 eine Beitrittsperspektive eröffnet, seitdem aber wenig unternommen, um dieses Ziel zu erreichen. Moskau hat seinen Krieg gegen das Land unter anderem damit begründet, einen Beitritt der Ukraine zur Nato verhindern zu wollen.
    Nato-Gipfel in Vilnius
    Ganz zur Enttäuschung der Ukraine gibt es beim Nato-Gipfel in Vilnius keine konkrete Beitrittsperspektive für das Land. Und dennoch ging die Ukraine nicht ganz leer aus.12.07.2023 | 2:06 min

    Nato fordert Reformen von Ukraine

    In einer am Dienstag beim Gipfel im Vilnius beschlossenen Erklärung der 31 Mitgliedstaaten heißt es zwar: "Die Zukunft der Ukraine ist in der Nato." Eine Einladung sei aber erst möglich, "wenn die Verbündeten sich einig und Voraussetzungen erfüllt sind". Als konkrete Beispiele werden Reformen "im Bereich der Demokratie und des Sicherheitssektors" genannt.
    Kiesewetter, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, betonte im ZDF, dass die Ukraine in diesen Bereichen bereits viel tue. Er bezeichnete die Formulierung, dass sich die ukrainischen Streitkräfte modernisieren müssten, als "am schlimmsten". "Wenn es eine moderne Streitkraft auf europäischem Boden ist, sind es die ukrainischen Streitkräfte. Das kam schon einer Verhöhnung gleich."
    Ines Trams | ZDF-Korrespondentin in Vilnius / Litauen
    "Es geht um den Demokratisierungsprozess in der Ukraine und den dortigen Kampf gegen die Korruption", berichtet ZDF-Korrespondentin Ines Trams vom Nato-Gipfel in Vilnius.12.07.2023 | 2:42 min

    Kiesewetter: Wie viel Provokation wollen wir zulassen?

    Er sei in diesem Zusammenhang als Deutscher von der Bundesregierung sehr enttäuscht, die die Fehler von 2008 wiederholt habe.

    Es ist keine Verbesserung zu 2008 - im Gegenteil: Putin hat ja seinerzeit eskaliert, weil man glaubte, wenn man es vage hält, greift er nicht an. Und nun sind wir mitten im Krieg.

    Roderich Kiesewetter, CDU-Sicherheitspolitiker

    Kiesewetter sagte: "Wie viel Provokation und Eskalation von Russland wollen wir denn noch zulassen? Soll Putin das Tempo der Aufnahme der Ukraine in die Nato bestimmen? Und vor allen Dingen: Es geht hier um Kriegsverbrechen, es geht um Menschen, die ihre Kinder verloren haben, die entführt wurden. Und es geht um eine Ukraine, die unsere Freiheit verteidigt und die eine Zusage braucht."

    Kiesewetter: Putin könnte Ukraine in "Abnutzung zwängen"

    Der Sicherheitspolitiker warnte davor, dass Putin den Krieg hinziehen könnte, wenn die Nato erst nach Kriegsende bereit ist, die Ukraine aufzunehmen. "Das ist ja genau der Fehler, der gestern begangen wurde. Ich würde es hinreichend unbestimmt lassen, sobald die Sicherheitsbedingungen es zulassen. Und das kann sehr bald sein."

    Aber entscheidend ist, dass nicht Putin den Krieg verzögert, wenn er weiß, die Nato-Mitgliedschaft ist nach dem Krieg, muss er ja nur immer und immer wieder den Krieg fortsetzen und die Ukraine in eine permanente Abnutzung zwängen.

    Roderich Kiesewetter, CDU-Sicherheitspolitiker

    Die Nato müsse aber auch Forderungen an Russland wie den Abzug der Nuklearwaffen aus Kaliningrad stellen, damit man überhaupt Verhandlungsgegenstände habe. All diese Forderungen habe es vom Nato-Gipfel nicht gegeben. "Im Grunde genommen eine Einladung an Putin, weiterzumachen."

    Und die Nato-Mitgliedschaft darf nicht verhandelbar sein.

    Roderich Kiesewetter, CDU-Sicherheitspolitiker

    Der Nato-Gipfel ist auch in Russland Thema - die russische Sicht:

    Propaganda im Staatsfernsehen
    :Wie der Nato-Gipfel in Russland verkauft wird

    Der Kreml will "zeitnah" auf den Nato-Gipfel reagieren. Die aggressiveren Töne kommen aus den Staatsmedien, die das Treffen als Niederlage des Westens verkaufen. Das hat Kalkül.
    von Nina Niebergall und Sebastian Ehm
    Blick auf den Kreml durch einen Bogen des GUM
    mit Video

    Deutschland als Bremser?

    Kiesewetter bezeichnete das von der Bundesregierung angekündigte weiteres Paket mit Militärhilfen für die Ukraine im Volumen von 700 Millionen Euro als "schöne Ankündigung". Es werde aber bis zum Jahresende dauern. Auch die im Mai erteilten Zusagen über Militärhilfe im Umfang von 2,7 Milliarden Euro wirkten "sich noch lange nicht aus".
    Großbritannien verachtfache die Munitionsproduktion, Frankreich liefere weitreichende Raketen.

    Deutschland ist da sehr zurückhaltend. Und der selbstangemaßte Führungsanspruch wird nicht deutlich. Im Gegenteil: Deutschland ist Bremser.

    Roderich Kiesewetter, CDU-Sicherheitspolitiker

    Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

    Russland greift die Ukraine an
    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
    Update
    Quelle: ZDF, dpa, AFP

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