Neulich war Jens Stoltenberg mit dem deutschen Verteidigungsminister
Boris Pistorius auf Truppenbesuch in Litauen - da passierte es.
"Was wir in Russland in den letzten Tagen gesehen haben, das demonstriert die
Zerbrechlichkeit des deutschen Regimes", rief Stoltenberg. Woraufhin der deutsche Minister schnell einwarf: "Nein, nicht des deutschen Regimes!"
Stoltenberg schaute kurz irritiert - "Was habe ich gesagt?". Korrigierte sich dann. Und machte weiter im Text.
Stoltenberg: Verlässlich wie ein Uhrwerk
Die Szene ist deshalb so bemerkenswert, weil dem 64-jährigen Norweger sonst so gut wie nie Fehler unterlaufen. Verlässlich wie ein Schweizer Uhrwerk liefert Stoltenberg die Sätze, die er sagen kann und darf. Eine Eigenschaft, die viele in der Allianz an ihm schätzen: in der größten Krise der europäischen Sicherheit kann man sich auf den Mann an der Spitze der
Nato verlassen.
Die Satz-Bausteine, mit denen er hunderte Interviews bestreitet, gleichen sich - ändert sich nur ein Halbsatz, wissen Nato-Beobachter: Da hat sich auch die Haltung in der Nato geändert.
Das sind die Überlegungen der Nato und die Erwartungen der Ukraine:
Seit 2014 prägt der ehemalige Premierminister Norwegens die Nato. Er führt sie - was viele noch heute als seine größte Leistung ansehen - durch den Härtetest, den der ehemalige US-Präsident
Donald Trump ("Die Nato ist überflüssig") der Allianz auferlegte.
Er drängt die Mitgliedstaaten zu höheren Verteidigungsausgaben und mehr Waffenlieferungen an die
Ukraine. Und er führt sie durch die größte Neuaufstellung, die die Nato seit Ende des Kalten Krieges erlebt: zurück zu ihren alten Kern-Aufgaben, Abschreckung und Verteidigung.
Sein Traumjob war eigentlich ein anderer
Dabei hatte Stoltenberg schon einmal, Anfang des Jahres 2022, eigentlich aufhören wollen. Seine Heimat rief: ein lukrativer Job an der Spitze der norwegischen Zentralbank. Es war, sagen Menschen, die ihn gut kennen, Stoltenbergs Traumjob.
Doch mitten in einer solchen Krise den Nato-Generalsekretär auszuwechseln, schien vielen keine gute Idee. Man bat Stoltenberg, ein Jahr dranzuhängen.
Krieg mitten in Europa: Die Nato gerät im Ukraine-Russland-Konflikt unter Zugzwang. Wie schlagkräftig und geschlossen ist das Bündnis angesichts der neuen Herausforderungen?19.12.2022 | 44:05 min
In diesem Jahr aber liegen die Dinge anders. Dass Stoltenberg im September aufhören wollte, war bekannt, Kandidatinnen und Kandidaten für seine Nachfolge gab es.
- Doch der britische Verteidigungsminister Ben Wallace galt den EU-Europäern nach dem Brexit als nicht zustimmungsfähig.
- Die estnische Premierministerin Kaja Kallas fanden vielen im Westen Europas als zu hart im Auftreten gegen Russland.
- Die dänische Premierministerin Mette Frederiksen wiederum wurde von den Osteuropäern in der Allianz abgelehnt: nicht schon wieder eine Nordeuropäerin an der Spitze der Nato.
Nato: Niemand bekam die Zustimmung aller
So viel also hinter den Kulissen geredet wurde, so sehr wurde auch klar, dass niemand die nötige Unterstützung bekam. Sprich: das einstimmige Votum aller.
Und so kam intern schon vor Monaten die Idee auf, Stoltenberg noch einmal zu fragen. Sein Pflichtbewusstsein würde ihn schon nicht zu einem "Nein" verführen.
Tweet von Jens Stoltenberg
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Weiter so: Auch ein Zeichen der Schwäche der Nato
Dass er nun heute tatsächlich im Amt bestätigt wird - aus der Nato wird das mit Sicherheit als Zeichen der Stärke verkauft werden. Dabei ist es, bei näherem Hinsehen, mindestens genauso eines der Schwäche. In einer Allianz, die auf Einstimmigkeit beruht, kann schon ein einzelner Mitgliedstaat alles aufhalten.
Vor allem aber verschiebt die Nato die Entscheidung über die Stoltenberg-Nachfolge damit in eine ungewisse Zukunft: in den Sommer 2024, wo in der
EU gewählt wird und auf EU-Ebene zahlreiche Jobs vergeben werden. Und wo im Herbst 2024 die
US-Wahl potenziell erneut katastrophale Folgen für die Nato haben könnte. Es wird nicht leichter.
Jens Stoltenberg bleibt ein weiteres Jahr Generalsekretär der Nato. Die Bündnisstaaten verlängerten seine Amtszeit bis Oktober 2024.