Afghanen in Deutschland: Offener Brief nach Aschaffenburg

    Nach Angriff in Aschaffenburg:Afghanen in "tiefer Trauer und Bestürzung"

    von Julia Theres Held
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    Nach dem Angriff in Aschaffenburg sind Afghanen in Deutschland in Trauer, Sorge und Schock. In einem offenen Brief bekunden sie ihr Beileid. Und sie wollen mehr tun.

     Menschen legen Blumen und Kerzen am Tatort eines Messerangriffs in einem Park in Aschaffenburg, Deutschland, ab, 26. Januar 2025.
    Menschen legen Blumen und Kerzen am Tatort eines Messerangriffs in einem Park in Aschaffenburg ab
    Quelle: epa

    Nasim Ahmadi* ist immer noch fassungslos. Der Messerangriff eines afghanischen Geflüchteten am Mittwochmittag hat den 40-Jährigen tief erschüttert. "Schon wieder war es ein Afghane", sagt Ahmadi. Auch der Attentäter der Bluttat von Mannheim Ende Mai sei schließlich aus Afghanistan gekommen. "Was werden die Menschen in Deutschland jetzt von uns denken?"
    Nasim Ahmadi erzählt von der Bestürzung und Trauer in der afghanischen Community - und von der Angst, dass sie jetzt alle für diese Tat in Mithaftung genommen werden. Gemeinsam mit etwa 50 anderen Exil-Afghanen in Deutschland haben sie deshalb eine WhatsApp-Gruppe gegründet - nur wenige Stunden nach dem grausamen Messer-Angriff in Aschaffenburg. "Wir, die afghanische Diaspora in Deutschland muss reagieren", heißt es dort in der ersten Gruppen-Nachricht. "In Solidarität und Mitgefühl mit den Opfern und der Bevölkerung in Deutschland müssen wir diese grausame Attacke verurteilen. Wir müssen etwas tun."
    Kerzen in Gedenken an die Opfer Aschaffenburgs
    Nach dem Messerangriff von Aschaffenburg kocht die Migrationsdebatte weiter hoch. Dort stand heute bei einer Gedenkfeier nicht die Politik im Vordergrund, sondern die Trauer.26.01.2025 | 1:58 min

    Afghanen in Deutschland: Können nach Aschaffenburg nicht untätig bleiben

    Es sind Journalisten, Menschenrechts-Aktivisten, ehemalige Regierungsmitarbeiter und Parlamentsmitglieder aus Afghanistan, die sich hier vernetzt haben. Sie seien sich sofort einig gewesen, dass sie diesmal nicht untätig bleiben können, erzählt Ahmadi. "Wir alle haben in unserer Heimat gegen genau solche Grausamkeiten gekämpft. Genau deshalb mussten wir fliehen."

    Wir sind traurig und beschämt, dass einer, der auch aus Afghanistan gekommen ist und hier Schutz gefunden hat, so etwas Grauenhaftes tut.

    Nasim Ahmadi

    Ahmadi beobachtet Debatte um Umgang mit ausländischen Straftätern

    Die deutsche Debatte um den Umgang mit ausländischen Straftätern beobachtet Ahmadi genau. Er hat in den USA und in Afghanistan Recht studiert und als Strafverfolger in hoher Position gearbeitet. Er ist überzeugt:

    Jedes Land muss die Sicherheit seiner eigenen Bevölkerung zur obersten Priorität machen.

    Nasim Ahmadi

    Ein Mann stellt eine Kerze zu zahlreichen anderen Kerzen, Blumen und Plüschtieren im Park Schöntal als Zeichen der Anteilnahme. In dem Park waren am 22.01.2025 ein zweijähriger Junge und ein 41-jähriger Mann bei einem Messerangriff getötet sowie weitere Menschen schwer verletzt worden.
    Friedrich Merz will die Migrationspolitik massiv verschärfen. Woher die Stimmen im Bundestag dafür kommen, sei ihm nicht wichtig. Einige sehen die Brandmauer zur AfD fallen.24.01.2025 | 2:52 min
    Die WhatsApp-Gruppe ist währenddessen zu einem Schauplatz kontroverser Diskussionen geworden. Über 300 Nachrichten sind es inzwischen. Sie wollen eine Botschaft senden an das Land, das ihnen Schutz gegeben hat und vor allem an die Angehörigen der Opfer. Doch wie kann diese Botschaft aussehen? Was kann der richtige Weg sein, auf eine solch grausame Tat zu reagieren? Vor allem, wenn die Stimmung im Land so aufgeheizt ist?
    Kerzenmeer
    Der 28-jährige Afghane, der die beiden Morde von Aschaffenburg verübt hat, war ausreisepflichtig. Nun dreht sich die Debatte darum, warum er immer noch in Deutschland war. 24.01.2025 | 2:40 min

    Offener Brief und Hilfsangebot als Botschaft

    Einige sind dafür, am Tatort, dem kleinen Park in Aschaffenburg, zusammen zu kommen - Blumen niederzulegen. Andere raten ab. Sie sind unsicher, ob die Geste richtig ankommen würde. Am Ende entscheiden sie sich erstmal für einen offenen Brief, den sie auch an die Bundesregierung schicken.
    "Beileidsbekundung der afghanischen Diaspora" steht über dem Schreiben. Und weiter: "Mit tiefster Trauer und Bestürzung sprechen wir den Familien der Opfer unser aufrichtiges Beileid aus." 144 Afghaninnen und Afghanen haben unterschrieben. Das klinge nach nicht viel, gibt Ahmadi zu. Aber es hätte schnell gehen müssen. Und tatsächlich ist klar: Diese Art der Vernetzung ist nicht üblich in der afghanischen Community. In einer Gesellschaft, die Verfolgung und Überwachung gewöhnt ist, braucht es besonders großen Mut, den eigenen Namen auf eine Unterschriftenliste zu setzen.
    Aber es geht der Gruppe nicht nur um Worte. "Wir möchten der deutschen Regierung, sozialen Organisationen sowie zivilgesellschaftlichen Institutionen unsere Unterstützung anbieten", heißt es in dem Brief. Die Idee sei unter anderem, sich in künftigen Programmen zur psychischen Gesundheit Geflüchteter zu beteiligen. Die Hoffnung:

    Vielleicht können auch wir dazu beitragen, solche Taten künftig zu verhindern.

    Nasim Ahmadi

    *Nasim Ahmadis Namen haben wir aus Sicherheitsgründen geändert

    Die Autorin ist seit Jahren in Kontakt mit Nasim Ahmadi und seiner Familie. Sie hat die Ahmadis bei Dreharbeiten für das ZDF in Herat kennengelernt. Held hat mitbekommen, wie die Taliban den ehemaligen Regierungsbeamten bedroht haben; wie sich die Familie über Monate in Afghanistan versteckt halten musste. Sie hat ihre Flucht über den Iran verfolgt und die Bemühungen, in Deutschland Schutz zu bekommen. Aufgrund seiner Zusammenarbeit mit deutschen Behörden galt Ahmadi als besonders gefährdet und erhielt deshalb eine Aufnahmezusage.

    Als die Familie im April 2023 in Berlin am Flughafen ankam, war die Autorin vor Ort. Sie sah, wie Nasim Ahmadi in Tränen ausbrach aus Erleichterung und Dankbarkeit, endlich in Sicherheit zu sein. Nach dem Angriff in Aschaffenburg meldete sich Ahmadi bei der Autorin und berichtete ihr von der Trauer, dem Mitgefühl und den Sorgen der afghanischen Exil-Community.

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