"Tugendgesetz": Taliban bestrafen Frauen für zu lautes Reden
Neues "Tugendgesetz":Taliban bestrafen Frauen für zu lautes Reden
von Jenifer Girke, Nesar Fayzi
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Ein neues Gesetz verbietet Afghaninnen laut zu reden. Ihre Stimme würde Männer provozieren. Wer dagegen verstößt, muss mit Geld- und Haftstrafen rechnen. So geht es Betroffenen.
Die Taliban schränken die Rechte von Frauen in Afghanistan immer weiter ein. Das neue „Tugendgesetz“ verbietet es Frauen jetzt sogar zu singen oder laut zu sprechen.09.09.2024 | 2:43 min
Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 wurden die Rechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan zunehmend eingeschränkt. Immer neue Dekrete werden erlassen, die die weibliche Bevölkerung aus dem öffentlichen Leben drängen. Seit neuestem dürfen sich Frauen in der Öffentlichkeit nicht mehr laut äußern. Frauen sind verzweifelt und fordern von der internationalen Gemeinschaft mehr Unterstützung.
Singen verboten - Stimme sei intim
"Ich breche aus diesem Käfig aus" singen zwei Frauen, auf dem Boden sitzend, irgendwo versteckt in Afghanistan. Ihre Körper vollverschleiert mit einer blauen Burka. Über die sozialen Medien verbreiten sich solche Videos, werden tausendfach geklickt. Sie sind ein Protest, denn Frauen in Afghanistan ist das Singen untersagt.
Seit dem neuen "Tugendgesetz" ist auch lautes Reden verboten. Die Begründung: Die weibliche Stimme sei verführerisch und würde Männer provozieren. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss mit Strafen rechnen, darunter Gefängnis.
Muslimische Frauen sind verpflichtet, ihren Körper und ihr Gesicht vor Nicht-Mahram-Männern (= männliche Begleitpersonen) zu verbergen
Es ist Männern verboten, den Körper und das Gesicht von Frauen zu betrachten und umgekehrt
Wann immer eine Frau das Haus verlässt, ist sie verpflichtet, ihr Gesicht und ihren Körper zu verhüllen
Frauenstimmen (lautes Singen von Liedern, Versen und Rezitationen) sind in der Öffentlichkeit verboten
Auch an Männer richten sich einige Vorgaben, zum Beispiel eine bestimmte Bartlänge einzuhalten.
Seit drei Jahren sind die Taliban in Afghanistan an der Macht. Der Alltag der Bevölkerung ist geprägt von Versorgungskrisen, Unterdrückung und Hunger. 13.08.2024 | 5:59 min
Afghaninnen harren zu Hause aus
Sima Ahmadi singt zwar nicht, aber auch sie trauert um ihre Freiheit. Vor der Machtübernahme hat sie studiert. Ihr Traum: Journalistin werden. Simas Brüder dürfen in die Schule, für Mädchen ist nach der sechsten Klasse Schluss. Ausnahmen gibt es kaum.
Afghaninnen bleibt oft nichts anderes übrig, als zu Hause auszuharren. "Mental geht es uns sehr schlecht", so die 22-Jährige.
In Afghanistan fehlt es an dem Nötigsten. Die Wirtschaft liegt lahm, vor allem Frauen haben keine Chance auf eine Weiterbildung.15.08.2024 | 2:31 min
Taliban versprachen mehr Freiheiten für Frauen
Tajwar Kaakar macht das wütend. Die ehemalige Politikerin war Teil der afghanischen Regierung unter Aschraf Ghani. Sie nahm 2021 an den Friedensverhandlungen teil und glaubte auch nach der Machtübernahme der Taliban an eine faire Teilhabe der weiblichen Bevölkerung.
"Die Taliban haben uns Hoffnung gemacht", erinnert sie sich. Mehr Freiheiten für Mädchen und Frauen hätte man ihnen versprochen. Stattdessen wurden Frauenrechte immer weiter eingeschränkt.
Für Kaakar eine Schande für das ganze Land: "In unserer Gesellschaft gibt es Frauen, die Richterinnen, Lehrerinnen, religiöse Führerinnen werden sollten, wir haben gebildete Frauen in allen Bereichen."
Ihr Frust soll gehört werden. Von den Taliban - und von Ländern wie Deutschland: "Deren Vertreter sollten die Taliban treffen und ernsthaft mit ihnen reden." Doch ob die Welt diesem Wunsch nachkommt, ist fraglich. Ohne internationale Hilfe würden afghanische Frauen immer weiter unterdrückt, so Kaakars Sorge.
Deutschland brachte vor einigen Tagen 28 Straftäter nach Afghanistan. Was passierte mit ihnen dort? 06.09.2024 | 1:38 min
Wie umgehen mit den Taliban?
Der UN-Sicherheitsrat forderte am vergangenen Freitag die Abschaffung des neuen "Tugendgesetzes". "Wir verurteilen auf das Schärfste, dass die Taliban Frauen und Mädchen in Afghanistan weiterhin systematisch diskriminieren und unterdrücken", hieß es in einer vom japanischen UN-Botschafter verlesenen Erklärung von zwölf der 15 Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, Südkorea und die USA.
Deutschland ist momentan nicht im Rat vertreten. Die deutsche Vertretung erklärte auf X, "dass es keine Beziehungen mit radikalen Islamisten geben kann". Das neue "Tugendgesetz" versuche "die Hälfte des Landes zum Schweigen zu bringen" und beraube die Frauen in Afghanistan "ihrer Würde, Rechte und Stimme".
X-Post der deutschen Vertretung im UN-Sicherheitsrat
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Wie kann die internationale Gemeinschaft Frauen in Afghanistan helfen, wieder mehr Rechte zu bekommen? Bis diese Antwort gefunden ist, nimmt Sima online an Journalismus-Kursen teil, über ausländische Anbieter.
Frauen in ganz Afghanistan eine Stimme geben. Diesen Traum gibt sie nicht auf.
Jenifer Girke ist Redakteurin und Reporterin im ZDF auslandsjournal. Nesar Fayzi ist Producer aus Afghanistan.
Quelle: ZDF
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