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Messerattacke in Aschaffenburg:Hätten Behörden Angriff verhindern können?
von Jan Schneider, Oliver Klein
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Angriffe wie in Aschaffenburg werfen die Frage auf, wie der Staat die Bevölkerung vor solchen Taten schützen kann. Welche Maßnahmen wären in dem konkreten Fall möglich gewesen?
Die Gewalttat in Aschaffenburg wirft wichtige Fragen auf: War sie vermeidbar? Der Täter war als gewalttätig und psychisch krank bekannt. Die Behörden stehen unter Druck.24.01.2025 | 2:02 min
Der tödliche Messerangriff auf eine Kindergartengruppe in Aschaffenburg hat die gesellschaftliche Debatte über den Umgang mit potenziellen Gewalttätern erneut angefacht. Bei dem Angriff am Mittwoch waren ein Kleinkind und ein Mann getötet worden.
FDP-Chef Christian Lindner spricht in diesem Zusammenhang von einem "veritablen Staatsversagen". Aber welche Möglichkeiten hat der Staat bei der Gratwanderung zwischen dem Schutz der Allgemeinheit und der Wahrung individueller Freiheitsrechte? Warum war der Tatverdächtige noch frei? ZDFheute hat Stimmen von Rechtsexperten und -expertinnen zusammengetragen und beantwortet die wichtigsten Fragen.
- Messerattacke auf Kita-Gruppe: Was bisher bekannt ist
Warum wurde der Tatverdächtige nicht abgeschoben?
Laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hätte der Ende 2022 nach Deutschland eingereiste Afghane eigentlich schon im Jahr 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden sollen. Das Land wäre nach den Dublin-Regeln für seinen Asylantrag zuständig gewesen, dort hatte der Mann zum ersten Mal EU-Boden betreten. Gescheitert sei die Abschiebung aber, weil eine Frist dafür abgelaufen war, sagt Herrmann.
Nach dem Angriff in Aschaffenburg fordert die Union "mehr Funktionalität" bei Abschiebungen, so Thorsten Frei, erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion.24.01.2025 | 7:13 min
Hätte der Täter in Abschiebehaft genommen werden können?
Victoria Rietig, Migrationsexpertin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), erklärte in der ZDF-Sendung Markus Lanz die komplizierte Gesetzeslage: Der Verdächtige habe 30 Tage Zeit gehabt, um nach der Ablehnung seines Asylantrags freiwillig aus Deutschland auszureisen. Tut er das nicht, könne die Ausländerbehörde sogenannte "aufenthaltsbeendende Maßnahmen" anordnen.
Heißt konkret: "Es kann ein Gewahrsam angeordnet werden, es kann die Abschiebung angeordnet werden." Aber: Die Haft könne nur dann angeordnet werden, "wenn wahrscheinlich ist, dass die Abschiebung tatsächlich durchgesetzt werden kann." Das sei bei Afghanistan derzeit nicht der Fall, so Rietig.
Zur Messerattacke von Aschaffenburg, die asyl- und migrationspolitische Programmatik von CDU/CSU, die Flüchtlingssituation in Europa sowie über die aktuelle Lage im Bürgerkriegsland Syrien.23.01.2025 | 74:39 min
Warum ist der Mann nicht freiwillig ausgereist?
Diese Absicht hatte der 28-Jährige den Behörden zwar im Dezember 2024 laut Innenminister Herrmann schriftlich kundgetan. Aber für die Reise zurück nach Afghanistan brauchte er entsprechende gültige Papiere - und die hatte der Mann laut Hermann wohl bis zum Tag des Angriffs in Aschaffenburg vom Generalkonsulat seines Heimatlandes nicht bekommen.
Warum war der 28-Jährige auf freiem Fuß?
Eigentlich hätte der Verdächtige Ende Dezember für mehr als einen Monat ins Gefängnis kommen sollen, weil er gegen ihn verhängte Geldstrafen nicht zahlte. Er trat diese Ersatzfreiheitsstrafe aber laut Staatsanwaltschaft Schweinfurt nie an. Grund: Weil gegen den Mann mehrere Verfahren liefen, hätte das Gericht eine sogenannte Gesamtstrafe bilden müssen, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Da dies nicht geschehen war, war die Länge der Haftstrafe bzw. die Höhe der Geldstrafe unklar.
Im deutschen Strafrecht bezeichnet die "Gesamtstrafe" die Rechtsfolge, wenn jemand mehrere Straftaten begangen hat und deswegen zu mehreren Einzelstrafen verurteilt wird. Anstatt diese Strafen nacheinander zu vollstrecken, werden sie durch eine Gesamtstrafe zusammengefasst. Geregelt ist das im § 54 StGB. Die Gesamtstrafe darf dabei die Summe der Einzelstrafen nicht übersteigen.
Die Berechnung der Gesamtstrafe erfolgt nach dem sogenannten Absorptionsprinzip: Die schwerste Strafe bildet die Grundlage, zu der Zusatzstrafen unter Berücksichtigung von Umfang und Schwere der weiteren Taten hinzukommen.
Die Berechnung der Gesamtstrafe erfolgt nach dem sogenannten Absorptionsprinzip: Die schwerste Strafe bildet die Grundlage, zu der Zusatzstrafen unter Berücksichtigung von Umfang und Schwere der weiteren Taten hinzukommen.
Der Mann war bereits wegen zahlreicher Gewalttaten und Drogendelikte aufgefallen und deshalb auch mehrfach in psychiatrische Kliniken eingewiesen worden. Unter anderem soll er die Bewohnerin einer Flüchtlingsunterkunft in Alzenau mit einem Messer verletzt haben. Gegen ihn laufen Ermittlungen wegen tätlicher Angriffe und Widerstands gegen Polizisten, vorsätzlicher Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung. Nach jedem Vorfall kam er wieder auf freien Fuß.
Der 28-jährige Afghane, der die beiden Morde von Aschaffenburg verübt hat, war ausreisepflichtig. Nun dreht sich die Debatte darum, warum er immer noch in Deutschland war.
24.01.2025 | 2:40 min
Die Begründung: In keinem der Verfahren seien die Voraussetzungen für eine strafrechtliche einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gegeben gewesen, hieß es von der Staatsanwaltschaft. Im bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) ist unter anderem geregelt, unter welchen Bedingungen Menschen mit psychischen Erkrankungen in Fachkliniken untergebracht werden können, wenn sie das Allgemeinwohl gefährden. Der Kriminologe Ralf Poscher vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht erklärte gegenüber ZDFheute:
Diese Entscheidung sei für Ärztinnen und Ärzte aber äußerst schwer und Taten wie in Aschaffenburg seien in den meisten Fällen nicht vorhersehbar.
19. November 2022: Einreise nach Deutschland.
13. März 2023: Afghane stellt Asylantrag.
19. Juni 2023: Ablehnung des Asylantrags durch das BAMF, Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien im Dublin-Verfahren.
26. Juli 2023: Die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde Unterfranken erfährt von der Entscheidung des BAMF und der Frist zur Abschiebung bis 3. August 2023.
3. August 2023: Frist zur Abschiebung endet - die bayerische Ausländerbehörde sah sich nicht in der Lage, binnen einer Woche die Rückführung zu organisieren.
8. August 2023: Da der Mann nicht innerhalb der Frist nach Bulgarien abgeschoben wurde, ist nun Deutschland und damit das BAMF wieder für den Asylantrag zuständig.
4. Dezember 2024: Der Tatverdächtige erklärt schriftlich, freiwillig ausreisen zu wollen.
13. März 2023: Afghane stellt Asylantrag.
19. Juni 2023: Ablehnung des Asylantrags durch das BAMF, Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien im Dublin-Verfahren.
26. Juli 2023: Die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde Unterfranken erfährt von der Entscheidung des BAMF und der Frist zur Abschiebung bis 3. August 2023.
3. August 2023: Frist zur Abschiebung endet - die bayerische Ausländerbehörde sah sich nicht in der Lage, binnen einer Woche die Rückführung zu organisieren.
8. August 2023: Da der Mann nicht innerhalb der Frist nach Bulgarien abgeschoben wurde, ist nun Deutschland und damit das BAMF wieder für den Asylantrag zuständig.
4. Dezember 2024: Der Tatverdächtige erklärt schriftlich, freiwillig ausreisen zu wollen.
4. März 2023: Verletzung eines anderen Bewohners in einem ANKER-Zentrum, Strafbefehl wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Geldstrafe.
7. Juni 2023: Mutmaßliche Verletzung eines anderen Bewohners in einem ANKER-Zentrum, Einstellung des Verfahrens wegen widersprüchlicher Angaben.
11. April 2023: Körperliche Auseinandersetzung im ANKER-Zentrum, Verfahren eingestellt, da Notwehr nicht ausgeschlossen werden konnte.
18. Januar 2024: Sachbeschädigung im ANKER Zentrum, Verfahren läuft. Polizeiliche Unterbringung im Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie Werneck.
12. Februar 2024: Fahren ohne Fahrschein - Strafbefehl und Geldstrafe.
12. Mai 2024: Polizeiliche Unterbringung in der Psychiatrischen Klinik Aschaffenburg, zuvor soll es zu "Tätlichkeiten gegen Beamte" gekommen sein, drei Polizisten werden verletzt.
2. August 2024: Mutmaßliche Sachbeschädigung in Alzenau, der Beschuldigte tritt auf dem Weg in die Klinik später mutmaßlich Rettungssanitäter und Polizeibeamte.
3. August 2024: Polizeiliche Unterbringung in der Psychiatrischen Klinik Aschaffenburg.
9. Dezember 2024: Anordnung einer Betreuung durch das Amtsgericht Aschaffenburg, u.a. in rechtlichen Fragen. Der Betroffene erscheint nicht zum vereinbarten Termin. Weitere Versuche der Kontaktaufnahme waren laut Amtsgericht erfolglos.
Quellen: dpa, ZDF
7. Juni 2023: Mutmaßliche Verletzung eines anderen Bewohners in einem ANKER-Zentrum, Einstellung des Verfahrens wegen widersprüchlicher Angaben.
11. April 2023: Körperliche Auseinandersetzung im ANKER-Zentrum, Verfahren eingestellt, da Notwehr nicht ausgeschlossen werden konnte.
18. Januar 2024: Sachbeschädigung im ANKER Zentrum, Verfahren läuft. Polizeiliche Unterbringung im Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie Werneck.
12. Februar 2024: Fahren ohne Fahrschein - Strafbefehl und Geldstrafe.
12. Mai 2024: Polizeiliche Unterbringung in der Psychiatrischen Klinik Aschaffenburg, zuvor soll es zu "Tätlichkeiten gegen Beamte" gekommen sein, drei Polizisten werden verletzt.
2. August 2024: Mutmaßliche Sachbeschädigung in Alzenau, der Beschuldigte tritt auf dem Weg in die Klinik später mutmaßlich Rettungssanitäter und Polizeibeamte.
3. August 2024: Polizeiliche Unterbringung in der Psychiatrischen Klinik Aschaffenburg.
9. Dezember 2024: Anordnung einer Betreuung durch das Amtsgericht Aschaffenburg, u.a. in rechtlichen Fragen. Der Betroffene erscheint nicht zum vereinbarten Termin. Weitere Versuche der Kontaktaufnahme waren laut Amtsgericht erfolglos.
Quellen: dpa, ZDF
Bayern will nun die Maßstäbe für die Unterbringung von psychisch Kranken überprüfen, kündigte Ministerpräsident Markus Söder an: "Wir werden das Thema Psychiatrie, das PsychKHG, noch einmal für uns überprüfen und es härten."
Welche Maßnahmen können Behörden noch ergreifen?
Der Rechtsstaat verfügt über verschiedene Mechanismen und Instrumente, um Gewalttaten wie in Aschaffenburg zu verhindern. Bei Taten, die von mehreren Personen geplant und durchgeführt werden, sei die frühzeitige Aufklärung und Verhinderung sehr erfolgreich, sagt Ralf Poscher. Schwieriger sei es bei Taten, denen keine Vorbereitung vorangeht und bei der einzelne Personen alleine handeln.
SPD-Bundesminister für besondere Aufgaben, Wolfgang Schmidt, kritisiert heftig die CDU-Pläne zu Grenzschließungen bei "maybrit illner".23.01.2025 | 1:49 min
"Behörden bewegen sich in einem schmalen Korridor," meint Martin Rettenberger von der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden.
Die Polizei verfügt bereits heute über ein Instrument zur Erkennung und Prävention extremistischen Gewalttaten - die sogenannten RADAR-Konzepte. RADAR steht dabei für "Regelbasierte Analyse potentiell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos". Poscher sieht Potenzial, solche Konzepte auch für Menschen zu entwickeln, die durch Gewalt auffallen, weil sie psychisch krank sind. Bei rund 200.000 Gewaltstraftaten jährlich seien solche selektiven Instrumente unerlässlich, um Risikopersonen frühzeitig zu erkennen und präventiv zu handeln, so Poscher.
Das polizeiliche Präventivkonzept RADAR wird aktuell vor allem zur Früherkennung und Prävention von Radikalisierung im Deliktbereiche islamistischer Terrorismus und Rechtsextremismus genutzt. Es zielt darauf ab, potenzielle Gefährder frühzeitig zu identifizieren und Radikalisierungsprozesse zu unterbrechen. Das Konzept basiert auf einer systematischen Risikobewertung, bei der Verhaltensauffälligkeiten und Risikofaktoren in verschiedenen Lebensbereichen analysiert werden.
Die Methodik umfasst eine umfassende Informationssammlung und Netzwerkanalyse, um Personen zu identifizieren, die Gefahr laufen, sich politisch oder religiös zu radikalisieren. Nach der Identifizierung setzt RADAR auf individuelle Interventionsstrategien, die nicht nur polizeiliche Überwachungs-, Kontroll- und Abwehreingriffe umfassen, sondern auch aufsuchende Gespräche, Deradikalisierungsmaßnahmen und soziale Unterstützungsangebote.
Die Methodik umfasst eine umfassende Informationssammlung und Netzwerkanalyse, um Personen zu identifizieren, die Gefahr laufen, sich politisch oder religiös zu radikalisieren. Nach der Identifizierung setzt RADAR auf individuelle Interventionsstrategien, die nicht nur polizeiliche Überwachungs-, Kontroll- und Abwehreingriffe umfassen, sondern auch aufsuchende Gespräche, Deradikalisierungsmaßnahmen und soziale Unterstützungsangebote.
Quelle: mit Material von dpa
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