Aschaffenburg: "Es gibt keine einfachen Lösungen"

    Interview

    Flüchtlingsrat zu Aschaffenburg:"Es gibt keine einfachen Lösungen"

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    Die Tat von Aschaffenburg erschüttert auch Jana Weidhaase vom Flüchtlingsrat Bayern. Dahinter stehen viele Fragen - und strukturelle Probleme in der Migrationspolitik in Bayern.

    Candles, flowers and soft toys are left at a makeshift memorial of candles, flowers and stuffed animals for the victims of a knife attack
    Nach der tödlichen Messerattacke in Aschaffenburg stellen sich nun Fragen. Haben die Behörden im Umgang mit dem Täter versagt und welche Konsequenzen müssen nun folgen?23.01.2025 | 2:22 min
    ZDFheute: Der Tod eines Kindes und eines Mannes von einem offenbar psychisch kranken Afghanen in Aschaffenburg hat viele Menschen erschüttert ...
    Jana Weidhaase: Mich auch. Ich bin schockiert über die Tat und dass schon wieder so etwas passiert ist. Ich kann die Reaktionen völlig verstehen, sie sind menschlich. Und es ist menschlich, dass nun viele Menschen fordern: alle Afghanen raus - oder alle Straftäter, alle Geflüchteten raus. Das wären einfache Lösungen.

    Aber einfache Lösungen gibt es nicht.

    Jana Weidhaase, Flüchtlingsrat Bayern

    Jana Weidhaase
    Quelle: Bayerischer Flüchtlingsrat

    ... arbeitet in der Geschäftsstelle München des Flüchtlingsrats in Bayern. Sie berät Geflüchtete, einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. Der Flüchtlingsrat versteht sich als Menschenrechtsorganisation, die sich für Geflüchtete einsetzt. Flüchtlingsräte gibt es in allen Bundesländern.

    ZDFheute: Welche gibt es denn?
    Weidhaase: An einer solchen Tat wie in Aschaffenburg sieht man, welche strukturellen Probleme es gibt.
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    ZDFheute: Welche sind das?
    Weidhaase: Menschen, die gut eingebunden sind, die ein soziales Netzwerk oder Unterstützungsnetz haben, verüben normalerweise solche Taten nicht. Wir hatten keinen Kontakt zu dem Mann in Aschaffenburg, wir wissen noch zu wenig. Menschen, die solche Taten verüben, sind oft psychisch schwer krank und oft schlecht oder nicht betreut. Die haben keinen Zugang zu den wenigen Angeboten, die es für diese Menschen gibt.
    ZDFheute: Das heißt, die meisten der psychisch Kranken unter den Geflüchteten fallen nicht auf?
    Weidhaase: In Bayern betreut in den Unterkünften ein Sozialarbeiter 150 Geflüchtete. Da kann gar nicht jeder psychologische, psychiatrische oder sozialpädagogische Hilfen bekommen.
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    Das Thema Migration ist laut Umfragen in Deutschland das Problem Nummer eins.14.01.2025 | 9:35 min
    ZDFheute: Der Täter von Aschaffenburg soll in psychiatrischer Behandlung gewesen und betreut worden sein.
    Weidhaase: Das kann sein, aber das kann viel bedeuten. Bei vielen Menschen, die ich betreue, heißt das, dass die Menschen vom Hausarzt, Facharzt oder in einer Klinik behandelt wurden und danach psychiatrische Medikamente bekommen. Eine Psychotherapie muss genehmigt werden, es braucht muttersprachliche Therapeuten oder Dolmetscher. Betreuung und Behandlung kann also viel heißen.
    ZDFheute: Welche strukturellen Probleme gibt es noch?
    Weidhaase: Es gibt keine Systematik, dass psychische Erkrankungen von Anfang an erkannt werden können. Es gibt zwar eine EU-Regelung, dass vulnerable Gruppen identifiziert werden müssen. Die wurde aber nicht in Deutschland umgesetzt, das funktioniert nur im Einzelfall. Psychisch Kranke fallen erst auf, wenn etwas passiert ist. Wie leider in Aschaffenburg.
    ZDFheute: Was heißt erfasst? Werden die Menschen nicht untersucht?
    Weidhaase: Ja, es gibt keine Diagnostik, keine systematische Abfrage in irgendeiner Form. In Bayern kommen alle Menschen in ein Ankerzentrum, erst danach in Unterkünfte in den Kommunen. In diesen Aufnahmeeinrichtungen gibt es zwar vorgeschriebene Gesundheitsuntersuchungen. Aber keine auf psychische Erkrankungen. Manche haben Glück, dass sie an eine Sozialberatung oder Ärzte kommen, die diese erkennt. Aber bei einem Schlüssel von 1:150 kann nicht jeder ein langes Gespräch bekommen.

    Die soziale und psychiatrische Versorgung ist einfach unzureichend.

    Jana Weidhaase, Flüchtlingsrat Bayern

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    Weidhaase: Der politische Wille fehlt, das zu verbessern. Am Geld scheitert es nicht. Es gibt andere Sachen, wofür viel Geld ausgegeben wird - wie für die Bezahlkarte zum Beispiel. Es spielen auch andere Faktoren eine Rolle, wie die Größe der Unterkunft, das Arbeitsverbot, die Länge des Asylverfahrens zum Beispiel. Auch traumatische Gewalterfahrungen im Heimatland oder auf der Flucht. Der Druck: Kann ich bleiben oder muss ich wieder gehen?
    ZDFheute: Also es geht ja nicht nur um die Früherkennung?
    Weidhaase: Die Früherkennung ist wichtig für die Prävention. Es ist sehr schwer, später jemand aus akuten Gründen in eine Psychiatrie zu vermitteln. Es muss schon eine erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung geben, damit eine Person dort behalten wird. Nach unserer Erfahrung werden sie im Schnitt nach einer Woche oder spätestens nach zehn Tagen wieder entlassen.
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    ZDFheute: Hat der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz Recht, wenn er sagt, in Deutschland würde eine große Tätergruppe wie der Mann von Aschaffenburg frei rumlaufen?
    Weidhaase: Die Statistik möchte ich gerne mal sehen!
    ZDFheute: Wie viele sind es denn?
    Weidhaase: Ich weiß da nicht mehr als andere in Deutschland. Fatal ist, dass diese schreckliche Taten wie in Magdeburg und Aschaffenburg politisch ausgenutzt werden. Nach dem Motto: Hätten wir keine Geflüchteten, keine Afghanen, keine Straftäter, wären alle Probleme gelöst. Messerattacken werden aber zur Hälfte von Deutschen begangen. Selbst wenn man jetzt also die Migration komplett stoppt, würde es sie weiter geben.
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    ZDFheute: Das wird die Angehörigen der Opfer in Aschaffenburg wenig trösten. Sie wollen, dass sich Politik kümmert.
    Weidhaase: Das will ich auch. Ich bin selbst Mutter und stelle mir vor, mein Kind würde in einer Kita-Gruppe angegriffen. Meine erste Reaktion wäre genauso: Vielleicht wäre es besser, wenn alle gehen. Schnelle und einfache Lösungen können vielleicht trösten. Es ist aber komplexer. Vielleicht sollte Politik mit pauschalen Äußerungen nach einer solchen Tat etwas vorsichtiger sein.
    Das Interview führte Kristina Hofmann, ZDF-Hauptstadtstudio

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