Ukrainische Minen-Opfer: Eine Explosion, die alles verändert

    Ukrainische Minen-Opfer:Eine Explosion, die das ganze Leben verändert

    von Joachim Bartz und Katja Belousova
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    Anton Gladun war Soldat, heute fehlen ihm mehrere Körperteile. Der Grund: eine Mine. Wie deutsche Ärzte Ukrainern wie ihm helfen - und welche Probleme sich dabei stellen.

    Minensucher mit Gerät
    Die Ukraine ist das am stärksten verminte Land der Welt. Damit bedeutet jeder Schritt potenziell Lebensgefahr.19.09.2023 | 11:33 min
    An den Moment, der sein Leben und seinen Körper für immer veränderte, erinnert sich Anton Gladun gut. "Mein Kamerad ist vor mir gelaufen. In der Nähe ist er auf etwas getreten - durch die Bodenerschütterung ist eine Mine hochgegangen. Sie explodierte. Er war sofort tot und ich wurde verwundet - sehr schwer", erzählt der Ukrainer im Gespräch mit ZDF frontal.

    Dann folgten die Amputationen - und ich lag sieben Tage im Koma.

    Anton Gladun, Veteran aus der Ukraine

    Ende März vergangenen Jahres war Gladun noch für die ukrainische Armee im Einsatz, als Sanitäter auf dem Schlachtfeld in der Nähe von Isyum - bis die Mine hochging. Heute ist er ein junger Veteran und sitzt in einem Klinikzimmer in Würzburg, ohne Beine, mit nur einem Arm.
    Minensucher hockt auf einem Film
    Kampfmittelbeseitigung in der Ukraine17.01.2023 | 7:42 min

    EU behandelt Kriegs- und Minen-Opfer aus Ukraine

    Gladun kam, wie viele andere ukrainische Minen-Opfer auch, zur Behandlung nach Deutschland. In der Ukraine ist eine adäquate medizinische Versorgung solch schwerverletzter Patienten wegen des Kriegs aktuell kaum möglich. Daher bietet die Europäische Union humanitäre Hilfe an und behandelt verletzte Menschen aus der Ukraine in den jeweiligen Ländern und Regionen.
    Auch Gladuns Schwester Daria ist nach Würzburg gekommen, um ihrem Bruder beizustehen und sich in dem fremden Land um ihn zu kümmern. "Er war einmal groß und stark. Aber als wir damals zu ihm nach Tscherkassy ins Krankenhaus kamen, war er so dünn, überall waren Verbände", erinnert sie sich an den ersten Besuch nach dem Vorfall in der Ukraine. "Wir hatten Tränen in den Augen."

    Aber wir waren froh, ihn zu sehen und dass er am Leben ist. Das war das Wichtigste für uns.

    Antons Schwester Daria

    Heute geht es Gladun besser, er kann wieder lachen, sieht kräftiger aus als in der ukrainischen Klinik.
    Anton und Darja Gladun
    Anton Gladun und seine Schwester Daria im September 2023 in Würzburg.
    Quelle: ZDF/Joachim Bartz

    Ein Drittel der Ukraine könnte vermint sein

    Je länger Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert, umso mehr solcher Fälle wie Anton Gladun wird es geben. Schon jetzt prägen vielerorts in der Ukraine sichtlich mehr versehrte Männer das Straßenbild. Menschen, denen Körperteile fehlen, Menschen, die an Traumata leiden.
    Ein Grund dafür sind die unzähligen Minen im Land. Ein Drittel der Landesfläche der Ukraine könnten durch Minen und nicht explodierte Kampfmittel verseucht sein. Das ist etwa die Hälfte der Fläche Deutschlands. Aus Angst trauen sich viele Landwirte nicht mehr auf ihre Felder - Eltern warnen ihre Kinder.
    Auch während ihrer aktuellen Offensive sieht sich die ukrainische Armee Minenfeldern ausgesetzt. So haben Russlands Truppen etwa weite Teile des Korridors zwischen Cherson und der Krim vermint - und immer wieder werden Soldaten, aber auch Zivilisten dadurch getötet oder schwer verletzt.
    Zu sehen ist Ex-Nato-General Egon Ramms im Vordergrund. Dahinter eine Grafikkarte des Frontverlaufs der Ukraine sowie ein Kampfpanzer.
    Die ukrainische Gegenoffensive macht Fortschritte, die USA schnüren ein neues Hilfspaket. Wie groß ist der Druck auf Putins Armee? ZDFheute live mit Ex-Nato-General Egon Ramms.08.09.2023 | 31:26 min

    Auswirkungen von Antipersonenminen

    Dr. Christof Burger behandelt einige dieser Menschen an der Uniklinik in Bonn. "Solch eine hohe Anzahl von Schwerstverletzten, mehrfach Traumatisierten im Ukraine-Krieg - die sind natürlich für uns schon neu", erzählt der Chirurg im Gespräch mit ZDF frontal. "Uns schockiert jedes Mal, dass junge Leute derart massiv verstümmelt werden."

    Das ist leider sehr oft, dass schon primär die Amputationen durch Minen, durch Geschosse stattfinden. Diese Patienten sind extrem belastet, leiden extrem, haben massive Schmerzen gehabt.

    Dr. Christof Burger, Chirurg Uniklinik Bonn

    Vor allem Antipersonenminen seien aus medizinischer Sicht "das Schlimmste, was man sich vorstellen kann". Ihre Splitter dringen überall in den Körper ein und hinterlassen Schäden.

    Nicht nur am Bewegungsapparat,, den Weichteilen, Knochen, sondern auch an Augen, dem Kopf, im Hirn.

    Dr. Christof Burger, Chirurg Uniklinik Bonn

    frontal
    Quelle: ZDF

    Sehen Sie mehr zu dem Thema bei frontal. Am 19. September um 21 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek.

    Kiew dementiert Einsatz von Antipersonenminen

    Im Krieg kommen sie massenhaft zum Einsatz - vor allem von russischer Seite sind viele solcher Einsätze dokumentiert. Auch die Ukraine könnte laut UN-Bericht Antipersonenminen bei der Rückeroberung ihres Landes einsetzen. Das ukrainische Verteidigungsministerium dementiert dies in einer Antwort an ZDF frontal jedoch.

    [Die Ukraine] ist und wird immer den Grundsätzen der Einhaltung des Ottawa-Übereinkommens und der Verhütung von Verstößen gegen dieses Übereinkommen verpflichtet sein.

    Ukrainischer Verteidigungsministerium

    Der Einsatz von Antipersonenminen ist international geächtet. Das Ottawa-Abkommen von 1997 verbietet Herstellung, Lagerung und Einsatz bestimmter Minenarten, die gegen Menschen gerichtet sind. Russland zählt neben China und den USA zu jenen Ländern, die dieses Abkommen nicht unterzeichnet haben. Die Ukraine ratifizierte es 2005.

    3,3 Operationen nötig

    Laut einer Studie, die Burger unter anderem mit dem Kollegen Christian Prangenberg in seiner Klinik durchgeführt hat, sind bei Kriegsversehrten 3,3 Operationen pro Aufenthalt nötig. Die Daten erschienen in diesem Jahr in der Zeitschrift für Orthopädie und Unfallchirurgie. Darin heißt es auch: "Die Behandlung von kriegsverletzen Patienten aus der Ukraine stellt eine besondere Herausforderung dar."

    Sie erfordert zwingend ein interdisziplinäres Behandlungskonzept, das neben spezieller unfallchirurgischer und orthopädischer Expertise, plastische-rekonstruktive, mikrobiologische und nicht zuletzt psychologische Mitbetreuung voraussetzt.

    Studie aus der Uniklinik Bonn

    "Das sind - in Anführungszeichen - sehr teure Patienten", sagt Burger. Im Schnitt würden - gemessen am deutschen Abrechnungssystem - 35.000 Euro pro Patient anfallen. "Politisch ist entschieden worden, dass diese Patienten - da die keine eigene Versicherung mitbringen und die ukrainischen Versicherungen da nicht greifen - bei uns vom Staat bezahlt werden", erklärt der Arzt.

    Also das Sozialamt ist zuständig.

    Dr. Christof Burger, Chirurg Uniklinik Bonn

    Sorgen bei Kliniken wegen Behandlungskosten

    Doch nicht jedes Sozialamt würde zeitig zahlen - sodass Kliniken immer die Sorge hätten, auf den Behandlungskosten sitzen zu bleiben. Für ukrainische Kriegsversehrte, die dringend Behandlung benötigen, könnte das zum Problem werden, wenn Kliniken sich zweimal überlegen sollten, sie aufzunehmen.
    Und auch nach der erfolgreichen Behandlung stellen sich neue Probleme. Das zeigt das Beispiel Anton Gladuns. Für ihn ist klar: Er will zurück in die Ukraine. Doch welcher Arbeit er dort ohne Beine, mit nur einem Arm nachgehen soll, weiß er nicht - ebenso wenig wie unzählige andere kriegsversehrte Ukrainer.
    Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

    Russland greift die Ukraine an
    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
    Auf dem Bild sieht man ukrainische Soldaten von hinten.
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