Ukraine: Hoffen auf Getreidekorridor im Schwarzen Meer
Nach Ende des Getreideabkommens:Ukraine hofft auf Korridor im Schwarzen Meer
von Anne Brühl
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Ein aufgekündigtes Abkommen, Angriffe auf Lagerhallen und Häfen: Die Ukraine sucht nach Wegen, um ihr Getreide zu exportieren. Hoffnung liegt auf einem Korridor im Schwarzen Meer.
Mitte September ermöglichte es ein Korridor Schiffen, in ukrainische Häfen einzulaufen.
Quelle: epa
Es war mehr als nur ein Symbol, als Präsident Wolodymyr Selenskyj am vergangenen Freitag den Hafen in Odessa besuchte. Immer wieder gibt es in der Region russische Angriffe auf Lagerhallen und die Hafeninfrastruktur.
Seit Juli treffen russische Raketen und Drohnen immer wieder Odessa. 17 solcher Angriffe haben die ukrainischen Behörden gezählt.
Getreidekorridor als sicherer Weg aus den Häfen rund um Odessa?
Nachdem die Russen im Juli das Getreideabkommen aufgekündigt haben, sucht die Ukraine nach neuen Möglichkeiten, um den Export ihres Getreides aufrechtzuerhalten.
Das Zauberwort heißt Getreidekorridor: Ein sicherer Weg aus den Häfen rund um Odessa, durchs Schwarze Meer und weiter auf den Weltmarkt.
Bislang haben nur 21 Schiffe diesen Korridor genutzt - ihre Ladung stellt einen Bruchteil der ukrainischen Ernte dar, denn die beträgt 77 Millionen Tonnen allein in diesem Jahr. Getreide, das auch in afrikanische Länder gegangen wäre. Länder, in denen Menschen hungern.
Selenskyj sucht nach Partnern
Dem ZDF gegenüber betont Selenskyj:
Deshalb sucht er nach Partnern, der niederländische Premier Mark Rutte ist in Odessa an seiner Seite. Es geht um Luftverteidigung, die die Ukraine aus verschiedenen westlichen Unterstützerländern bekommt.
Selenskyj aber geht es um mehr: Um Versicherungen, damit die Schiffseigentümer die gefährliche Reise unternehmen, um Begleitung für die Schiffe zu ihrem Schutz.
"Der Getreidekorridor funktioniert nicht," sagt uns Anatolij Artemenko. Er ist Landwirt, baut Weizen, Mais, Sonnenblumen an - auf insgesamt 1.500 Hektar. Früher hat er die Hälfte seiner Ernte direkt in die Häfen gebracht - jetzt liegt alles noch auf seinem Hof. 2.000 Tonnen Mais: eine volle Halle.
Auch seinen Weizen muss er lagern. Und weil der Platz nicht reicht, zeigt er uns die neueste Errungenschaft: den "Getreideärmel" - ein riesiger Plastikschlauch, in dem er jetzt mitten auf seinem Hof das Getreide lagert.
Ausgedacht hat sich das die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen. Es ist keine langfristige Lösung - maximal für ein Jahr, sagt Artemenko. Viel länger kann er das Getreide nicht aufheben.
Es ist ein Dilemma: Getreide, das er nicht los wird - und wenn dann zu Preisen, die 30 Prozent unter denen des Vorjahrs liegen. Schon jetzt, sagt er, seien die Kosten für Diesel, für seine Mitarbeiter und für Düngemittel höher als das, was er am Ende verdiene.
Russland, sagt Anatolij Artemenko, nutze Getreide wie eine Waffe.
Ukraine braucht Einnahmen aus Getreideexport
Oleg Kostyk ist Chef eines großen Logistikunternehmens, "Global Transport Investments". Von seinem Büro schaut er direkt auf den Hafen von Odessa und auf ein Hotel-Hochhaus, das die Russen bei ihrem letzten Angriff zerstört haben.
Seit Beginn des russischen Angriffkriegs auf die Ukraine ist das Geschäft seines Unternehmens auf ein Zehntel geschrumpft. Der Export von Getreide per Lkw ist mühsam und auch die drei Donauhäfen sind kaum eine Alternative. Auch sie werden immer wieder angegriffen.
Zudem können die Fluss-Schiffe nur sehr viel weniger Ladung aufnehmen als die großen Getreidefrachter, die die Häfen rund um Odessa ansteuern.
Ukraine braucht Getreide-Einnahmen
Alles hängt mit allem zusammen: Die Bauern, die keine Einnahmen haben, die Transportunternehmer, die nicht ausgelastet sind - sie alle haben vor dem Krieg zum wirtschaftlichen Erfolg der Ukraine beigetragen.
Normalerweise machen die Einnahmen aus dem Verkauf des Getreides die Hälfte der ukrainischen Exporteinnahmen aus.
Und das Land ist auf Einnahmen angewiesen. Es braucht Geld: für Waffen, für Munition, für die Armee. Denn vor allem das hat in der Ukraine immer noch Priorität: sich mit allen Mitteln gegen die russischen Angreifer zu verteidigen.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.